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PolitikAsien

Flüchtlinge in Belarus und die Rolle der Türkei

Hilal Köylü | Daniel Derya Bellut
11. November 2021

Einige tausend Menschen versuchen derzeit, von Belarus aus über die polnische Grenze in die EU zu gelangen. Viele von ihnen sind zuvor aus der Türkei nach Minsk geflogen. Welche Rolle spielt die Regierung in Ankara?

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Grenze Belarus Polen | Migranten-Lager
Flüchtlinge in Belarus erhalten Nahrungsmittel vom belarussischen Roten KreuzBild: Viktor Tolochko/Sna/imago images

Sie kommen aus dem Irak oder Syrien, aus Somalia oder Afghanistan. Tausende Menschen versuchen derzeit, aus Belarus über die polnische Grenze in die EU zu gelangen; polnische Soldaten und Grenzschützer wollen ihr Durchkommen mit allen Mitteln verhindern. Besonders der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko wird von der Europäischen Union für die Eskalation der Situation an der polnisch-belarussischen Grenze verantwortlich gemacht. Polen und andere EU-Staaten werfen der belarussischen Führung vor, Menschen gezielt mit der Aussicht auf Weiterreise in die EU zu ködern und an die Grenze zu bringen, um sich für die jüngsten EU-Sanktionen gegen das Land zu revanchieren.

Mit dem Flieger von Istanbul nach Minsk

Doch auch Drittstaaten wie die Türkei stehen im Fokus. Der Grund: Flüge in die belarussische Hauptstadt wurden von der Regierung in Ankara bisher nicht unterbunden. Vom Flughafen Istanbul starten täglich mehrere Direktflüge nach Minsk - unter den Passagieren sollen sich wiederholt auch Flüchtlinge befunden haben. In Brüssel und Berlin wird befürchtet, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Schutzsuchenden als politisches Druckmittel instrumentalisiert. Wenn Erdogan versuche, "die EU nun mittels zahlreicher Migranten-Flüge nach Belarus zu erpressen", brauche es dafür eine unmissverständliche Antwort, so die Ansage des Fraktionschefs der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.

Mehrere Flugzeuge der Turkish Airlines auf dem Flughafen Istanbul in der Türkei stehen auf dem Rollfeld
Zahlreiche Flüchtlinge sollen per Flugzeug von Istanbul nach Belarus gereist seinBild: Imago Images

Flüchtlinge als Spielball der Politik

Das Misstrauen gegenüber Ankara rührt daher, dass es im März 2020 bereits eine ähnliche Situation gegeben hat: Nachdem der türkische Präsident verkündete, dass er die "Tore öffnen werde", machten sich tausende Flüchtlinge auf den Weg zur Grenze nach Griechenland. Es kam zu Ausschreitungen mit der griechischen Grenzpolizei, die mit Tränengas und Wasserwerfern auf die Menschen schoss. Der türkische Präsident hatte versucht, den Druck auf Brüssel zu erhöhen, um die EU-Staaten zur Zahlung versprochener, aber angeblich ausgebliebener Gelder aus dem sogenannten Flüchtlingsdeal mit der Türkei zu bewegen.

Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze zu Griechenland
Im März 2020 kam es zu Ausschreitungen an der türkisch-griechischen Grenze - die griechische Polizei beschoss Flüchtlinge mit TränengasBild: picture-alliance/AA/H. M. Sahin

"Anschließend", erklärt der mit dem Präsidenten nicht verwandte Migrationsexperte Murat Erdogan von der Türkisch-Deutschen Universität (TAU) in Istanbul, "hat die Türkei ein neues Abkommen mit Brüssel abgeschlossen." Europas Staats- und Regierungschefs zeigten zuletzt Interesse daran, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei neu aufzulegen - Zahlungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro bis 2024 könnten dann in die Türkei fließen. "Die finanzielle Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara wurde ausgebaut." Dies könne einen Nachahmungseffekt für andere Länder haben, so der Migrationsexperte.

Dementi aus Ankara

Ein Beamter aus dem türkischen Außenministerium versicherte der DW, dass es keine abgesprochenen Flüge mit Flüchtlingen von der Türkei nach Belarus gebe. Zudem verwies er darauf, dass die Türkei sich verpflichtet habe, beim Thema Einwanderung mit den EU-Behörden zusammenzuarbeiten. Auch die Fluggesellschaft Turkish Airlines bestreitet in einer öffentlichen Stellungnahme, Migranten gezielt nach Belarus zu befördern.

Basak Yavcan vom Lütticher Migrationsforschungszentrum "The HUGO Observatory" macht vor allem die europäische Migrationspolitik und nicht Ankara für das humanitäre Drama an der polnisch-belarussisch Grenze verantwortlich. Bei Belarus und der Türkei handele es sich "um Länder, die in Demokratie- und Menschenrechtsfragen mit Brüssel im Streit liegen. Trotzdem handelte die EU mit beiden Ländern ein Rückübernahmeabkommen heraus, um ihren Grenzschutz zu verbessern." Dieses Abhängigkeitsverhältnis würde diese Länder nur stärken, findet Yavcan.

Turkish President Tayyip Erdogan in Brüssel Belgien
Erdogan verlangt von der EU mehr Geld für die Versorgung von FlüchtlingenBild: Reuters/J. Thys

Aufnahmekapazitäten ausgeschöpft?

Kaum ein anderes Land der Welt hat mehr Schutzsuchende aufgenommen als die Türkei - alleine aus Syrien befinden sich ungefähr vier Millionen Flüchtlinge im Land. Die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan hat eine weitere Flüchtlingsbewegung in Gang gesetzt - nach offiziellen Angaben sollen trotz des massiven Grenzschutzes an der türkischen Ostgrenze bislang ungefähr 30.000 Afghanen in die Türkei eingereist sein. Die türkische Regierung betont regelmäßig, dass die Aufnahmekapazitäten für Migranten und Flüchtlinge schon lange ausgeschöpft seien. Eine Weiterreise von Flüchtlingen in andere Länder wie Belarus dürfte der türkischen Regierung also zumindest nicht ungelegen kommen.