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Jeder kocht sein Süppchen

Christoph Hasselbach14. Januar 2015

Schlepper erfinden immer neue Methoden, Menschen nach Europa zu schleusen. Jüngst wären fast erneut Hunderte Flüchtlinge auf zwei "Geisterschiffen" gestorben. Die EU reagiert hilflos, zerstritten und engherzig.

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Flüchtlinge auf Frachtschiff Foto: Reuters
Bild: Reuters

Im Jahr 2014 sind mehr als 276.000 Menschen illegal nach Europa gekommen. Das sind fast 140 Prozent mehr als im Jahr davor, so die Zahlen der Europäischen Kommission. Und die große Mehrheit dieser Menschen kam über das Mittelmeer. Die jüngste Methode der Schleuser hat sich als ebenso grausam wie geschäftstüchtig erwiesen. Sie kaufen schrottreife Frachter, pferchen Hunderte Flüchtlinge hinein, kassieren von jedem einzelnen mehrere Tausend Euro und unterwegs verlässt der Kapitän das Schiff und schaltet die Steueranlage auf Autopilot Richtung Italien. Vor kurzem wären zwei solcher "Geisterschiffe", die "Ezadeen" und die "Blue Sky M" mit jeweils mehreren Hundert Flüchtlingen an Bord, fast an der italienischen Felsenküste zerschellt, hätte sie nicht die italienische Küstenwache kurz vorher gestoppt und damit die Menschen gerettet.

Keine wirksame Überwachung mehr

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos forderte jetzt in einer Rede vor dem Europaparlament ein "entschiedenes und koordiniertes Handeln" der EU, um gegen das neue Verhalten der Schleuser vorzugehen. "Europa muss aktiv werden. Wir haben keine Zeit zu verlieren." Gefragt sind hier vor allem die Mitgliedsstaaten, doch wenn es in der Flüchtlingspolitik konkret wird, geht jeder seinen eigenen Weg. Wenn es überhaupt gemeinsame Aktionen gibt, dann sollen sie möglichst wenig kosten. Nachdem Italien im vergangenen Jahr seine Seenotrettungsmission "Mare Nostrum" beendet hat, sollte die EU-Mission "Triton" unter der Koordinierung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an ihre Stelle treten. Aber sie ist kein echter Nachfolger. Vor allem ist das Einsatzgebiet von "Triton" stark eingeschränkt, die Schleuserschiffe können also, solange sie sich in internationalen Gewässern befinden, ziemlich ungehindert fahren.

Seeoffizier schaut durch Fernglas Foto: DW/B. Riegert
Mit Patrouillenschiffen sucht die EU-Grenzschutzagentur Frontex das Mittelmeer nach Flüchtlingsschiffen abBild: DW/B. Riegert

Die Türkei drückt ein Auge zu

Dazu kommt, dass das wichtigste Transitland Libyen mehr als drei Jahre nach dem Sturz von Machthaber Muhammar Gaddafi praktisch keine staatliche Ordnung mehr hat. Es fehlt der EU also der Ansprechpartner, wenn es darum geht, Fluchtbewegungen bereits am südlichen Rand des Mittelmeers zu verhindern. Die EVP-Fraktion im Europaparlament ruft darum die gesamte Europäische Union zum Engagement in dem nordafrikanischen Land auf: "Libyen darf kein zweites Syrien werden." Zusammen mit internationalen Partnern solle die EU beim Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen mithelfen. In der Türkei hat die EU natürlich einen Ansprechpartner, noch dazu einen, der der EU beitreten will und deshalb eigentlich besonders kooperationsbereit sein müsste. Dennoch starten immer mehr Flüchtlingsboote und gerade die "Geisterschiffe" auch von türkischen Häfen aus und offenbar drücken die türkischen Behörden oftmals ein Auge zu. Die EU erwartet, dass die Türkei etwas gegen die Fahrten unternimmt und ist darüber mit Ankara im Gespräch.

Angst vor importierten Konflikten

Das alles wird aber die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, kaum deutlich verringern, zumal Syriens Nachbarländer bereits völlig überfordert sind. Deshalb fordert Avramopoulos die Mitgliedsstaaten auf, angesichts der Not vor allem in Syrien großzügiger zu sein: "Menschen sollten nicht ihr Leben riskieren müssen, um in Europa Schutz zu suchen." War die Aufnahmebereitschaft bisher schon nicht allzu groß, so sind viele Menschen in Europa angesichts islamistischer Gewalt eher noch skeptischer geworden. Manche befürchten, dass mit den Flüchtlingen auch gewaltbereite Extremisten nach Europa kommen. Dem ist der italienische Sozialdemokrat Gianni Pittella im Europaparlament entgegengetreten: "Terroristen haben so eine Überfahrt nicht nötig. Sie werden von Terrornetzwerken finanziert, sie haben Geld", so Pittella.

Polizeifahrzeuge Foto: AFP/Getty Images/T. Samson
Islamische Terroristen wie die in Paris brauchen keine mühevolle Schmuggelfahrt nach EuropaBild: AFP/Getty Images/T. Samson

Reibungslose Weiterreise nach Deutschland

Eine abgestimmte und umfassende europäische Flüchtlingspolitik gibt es nicht. Das Dublin-System, nach dem ein Flüchtling in dem Land um Asyl bitten muss, in dem er europäischen Boden betritt, steht nur noch auf dem Papier - es ist faktisch zusammengebrochen. Das mit Abstand wichtigste Ankunftsland Italien entledigt sich der ungebetenen Gäste auf seine Weise: Es lässt die Flüchtlinge meist einfach Richtung Norden weiterreisen, zum Beispiel nach Deutschland. Grenzkontrollen zwischen den Ländern des Schengen-Raums, zu dem die meisten EU-Staaten gehören, finden ja nicht mehr statt.

Dieter Romann, der Präsident der deutschen Bundespolizei, hat zu Wochenbeginn gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bemängelt: "Wenn illegale Einreisen nicht freizügigskeitsberechtigter Personen derzeit fast ausschließlich über die sicheren Nachbarstaaten der Bundesrepublik stattfinden, spricht das nicht zwingend für ein gut funktionierendes Schengen- und Dublin-System." Zwischen dem Aufgreifen einer Person in Italien und deren Ankunft in Deutschland vergingen oft weniger als drei Tage. Das war eine erstaunlich offene Kritik des Chefs einer deutschen Sicherheitsbehörde.

Immer wieder wird die Forderung erhoben, die EU solle Flüchtlinge fair vor allem nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft ihrer Mitgliedsländer untereinander verteilen. Doch die meisten Länder, die dann mehr Menschen aufnehmen müssten, sperren sich dagegen. Das alte System ist kollabiert, doch bisher ist kein neues absehbar.