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PolitikEuropa

Folgen von EU-Ölembargo gegen Russland umstritten

Barbara Wesel
4. Mai 2022

Die EU will das 6. Sanktionspaket gegen Russland beschließen - mit einem schrittweisen Ölembargo bis Jahresende. Während der Vorschlag im Europaparlament weitgehend begrüßt wird, bezweifeln Ökonomen die Wirksamkeit.

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Symbolbild I Russisches Gasfeld
Russisches Gasfeld (Symbolbild) Bild: Alexander Nemenov/AFP/Getty Images

Nach zähen Verhandlungen mit den Mitgliedsländern stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das 6. Sanktionspaket gegen Russland jetzt im Europaparlament vor. Neu ist eine Liste von Offizieren und Personen, "die in Butscha Kriegsverbrechen begangen haben" und die für die unmenschliche Belagerung von Mariupol verantwortlich seien. Die Sberbank sowie zwei weitere Banken werden vom Swift-Zahlungssystem ausgeschlossen und damit der russische Finanzsektor vom globalen System abgekoppelt. Es bleibt allerdings die Gazprom-Bank, über die weiter Energiezahlungen abgewickelt werden. Und drei weitere russische Staatssender werden mit einem Verbreitungsverbot belegt.

Kernstück aber ist ein phasenweiser Boykott von russischen Ölimporten. Dabei gehe es um ein vollständiges Einfuhrverbot für sämtliches russisches Öl, ob Seeweg oder Pipeline, so der Vorschlag der Kommission. Rohöl soll innerhalb von sechs Monaten boykottiert werden, Raffinerieprodukte bis Ende des Jahres.

Weitgehende Einigkeit trotz einiger Probleme

Während Deutschland lange als Bremser eines Energieboykotts gegolten hatte, signalisierte Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Wochenbeginn eine Wende in Berlin und hält inzwischen ein Ölembargo, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, für machbar. Widerstand kam zuletzt vor allem aus Ungarn, der Slowakei und Österreich - alle drei hängen ganz oder überwiegend von russischen Ölimporten ab. Für Budapest und Bratislava sollen daher Sonderregelungen gelten.

Raffinerie Leuna
Der Ölboykott zwingt EU-Länder sich umzustellen - hier die mit russischem Öl betriebene Raffinerie LeunaBild: Waltraud Grubitzsch/dpa/picture alliance

Trotz der Vorverhandlungen kam aus Budapest jetzt erneut ein Einspruch: Man sehe in dem Vorschlag keinen Plan, wie Ungarns Energiesicherheit garantiert werden könne, ließ die Regierung erklären. Zuvor hatte allerdings der besonders Putin-nahe ungarische Premier deutlich gemacht, es gehe ihm nicht um einen politischen Widerstand gegen den Ölboykott. Ob das aber stimmt und ob Viktor Orban nur weitere Zugeständnisse von Brüssel will, wird sich jetzt zeigen.

Am Nachmittag begannen die EU-Botschafter als Vertreter der Mitgliedsländer mit den Gesprächen über das Sanktionspaket.  Weil es einstimmig angenommen werden muss, dürften die Verhandlungen schwierig sein. Eine Einigung an diesem Mittwoch wird nicht erwartet. 

Erste Reaktionen weitgehend positiv

Die politischen Parteien im Europaparlament begrüßten zunächst weitgehend den angekündigten Boykott. Für die Sozialdemokraten betonte Jens Geier, der stufenweise Ausstieg gebe der Wirtschaft Zeit, sich umzustellen und mindere die sozialen Härten. Die Regierungen müssten nämlich die Nebenwirkungen berücksichtigen, "wie etwa Preisanstiege oder Schäden in kritischen Wirtschaftsbereichen". 

Brüssel | Ursula von der Leyen | Präsidentin der Europäischen Kommission
Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen stellt im EP den Vorschlag für einen phasenweisen Ausstieg aus russischem Öl vor Bild: Olivier Hoslet/dpa/Pool EPA/AP/picture alliance

Sergey Lagodinksy für die Grünen erklärte, der Ölboykott werde Russland empfindlich treffen und zeige, dass es der EU ernst sei. Ein solches Energieembargo müsse aber wegen steigender Preise in der EU sozial abgefedert werden. Auch Nicola Beer von den Liberalen warnte, dass der Boykott für die EU Folgen haben werde. Allerdings könne und müsse Europa den Preis dafür zahlen, denn es gehe um die Glaubwürdigkeit gegenüber Putin.

Beata Szidlo von der polnischen Regierungspartei PiS kritisierte dagegen, das jetzige Sanktionspaket komme zu spät. Und sie mahnte, die getroffenen Entscheidungen müssten auch vollständig von allen umgesetzt werden - ein Hinweis auf die zu erwartenden Ausnahmeregelungen insbesondere für Ungarn.

Ungarn PK Präsident Viktor Orban
Vor allem Ungarns Viktor Orban leistet Widerstand gegen den EU-ÖlboykottBild: ATTILA KISBENEDEK/AFP

Auch andere Abgeordnete wollen mehr, drängen auf einen Gasboykott und wollen etwa den Einschluss von Nuklearprodukten. Uran bleibt bei dieser Sanktionsrunde noch außen vor. Es gehöre aber unbedingt ins nächste Sanktionspaket, forderte der finnische Grünen-MEP Ville Niinistö: Und zur Nuklear-Technologie gehöre auch, dass "geplante und nicht fertiggestellte Projekte beendet werden". Finnland hatte zuletzt den Bau eines Atomkraftwerks mit Russland storniert. Ungarn hält dagegen bislang an seien Plänen für ein neues russisches AKW fest. 

Wirtschaftsexperten haben Zweifel

Aber trifft der phasenweise Ausstieg aus russischen Ölexporten Putins Kriegswirtschaft tatsächlich so,  wie die Europäer es wünschen? Der Energiewirtschafts-Dienst "Rystad Energy" schätzt, dass sich trotz der zu erwartenden Einschnitte in der russischen Ölproduktion in diesem Jahr Russlands Einnahmen durch den Anstieg der Ölpreise auf 180 Milliarden Dollar erhöhen werden. Das sei fast die Hälfte mehr als im vorigen Jahr und obwohl die Produktion seit Kriegsbeginn bereits um 1,6 Milliarden Barrel gesunken sei. 

"In dieser ersten Phase der Sanktionen und Embargos wird Russland den Nutzen aus dem Preisanstieg gegenüber früheren Jahren haben", stellt Analystin Daria Melnik fest. Allerdings würden mittelfristig die Produktion und die Einnahmen Moskaus sinken, weil eine Umorientierung auf Asien als Abnehmer Zeit und massive Infrastrukturinvestitionen erfordere. Erst Mitte nächsten Jahres, so schätzen die Energieexperten, werde sich die Rohölproduktion in Russland erholen.

Die Wirtschaftszeitung "Financial Times" schreibt dazu in ihrem Leitartikel, es werde schwierig das Ölembargo umzusetzen, "ohne die Preise auf dem Weltmarkt so hochzutreiben, dass sie die Weltwirtschaft zum Absturz bringen". Es gebe derzeit nicht viel frei verfügbares Öl auf dem Weltmarkt und es sei nicht sicher, ob die OPEC und große Produzenten wie Saudi-Arabien bereit seien, die Ausfälle von russischem Öl zu ersetzen. Allein die Ankündigung des drohenden Ölboykotts in der EU hatte den Preis am Mittwoch um drei Prozent hoch getrieben.

Dänemark Greenpeace Protestaktion vor dem Supertanker Pertamina Prime
Greenpeace Protest vor Tanker mit russischem Öl vor Dänemark Bild: Kristian Buus/GREENPEACE/AFP

Zölle wären wirksamer

Auch die Wirtschaftsexperten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel haben Zweifel am Nutzen an einem phasenweisen Ölboykott der EU. Guntram Wolff und Simone Tagliapietra weisen darauf hin, dass die zu erwartende Preissteigerung die schrittweise Reduzierung der Ölexporte sogar überkompensieren könnte. Diesen kurzfristigen Effekt könne Moskau gegenüber seinen Bürgern nutzen, weil der Staatshaushalt rund zur Hälfte aus Energieexporten finanziert werde.

Nur ein unmittelbares und vollständiges Energie-Embargo hätte ausreichend starke Wirkung, so heißt es in einer Stellungnahme der Ökonomen. Der phasenweise Ausstieg aber gebe Russland Zeit, seine Ölexporte umzuorientieren. Strafzölle wären besser, "denn sie könnten je nach politischer Entwicklung leichter angepasst werden". Solche Zölle könnten etwa auf Treuhandkonten eingezahlt und für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden.

Auch Greenpeace weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der langsame Ausstieg Russland zu viel Zeit gebe. Und die Umweltschützer fordern vor allem, mehr Energie zu sparen, statt neue Produzenten zu suchen. Ein Ziel, das in seltener Einigkeit der Verband des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus VDMA teilt: Das Momentum aus der Krise müsse genutzt werden, um erneuerbare Energien und Energieeffizienz schnell voran zubringen. Auch die Maschinenbauer halten das schrittweise Embargo für nicht "nicht ambitioniert genug". Aber obwohl die Industrie selbst davon getroffen werde, sieht der VDMA  "angesichts des aggressiven und menschenverachtenden Verhaltens Russlands" keine Alternative zu einer Verschärfung der Sanktionen.