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Folgt dem Hurrikan die Ölkrise?

Dennis Stute1. September 2005

Zusätzlich zu den anhaltenden Unruhen im Irak und Spannungen zwischen dem Westen und Iran sorgt "Katrina" für Unruhe an den Ölmärkten. Droht der Weltwirtschaft tatsächlich eine Talfahrt wie in den 1970er-Jahren?

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Gestrandet: Zerstörte Bohrinsel nach dem HurrikanBild: AP
Öl Handel an der Börse in New York
Aufregung beim Ölhandel an der New Yorker BörseBild: AP

Im Golf von Mexiko, in dem mehr als ein Zehntel des amerikanischen Öls gefördert wird, galten nach dem Sturm bis zu 20 Bohrinseln und -plattformen als vermisst. Zudem mussten neun Raffinerien wegen Schäden die Erzeugung von Benzin und Heizöl einstellen, in vier weiteren wurde die Produktion gedrosselt. Zwar fiel der Ölpreis am Mittwoch (31.8.2005) wieder knapp unter 70 Dollar je Barrel (159 Liter), nachdem er am Dienstag auf das Rekordhoch 70,85 Dollar geklettert war. Doch weitere Steigerungen sind keineswegs ausgeschlossen.

Ölarbeiter in Ecuador protestieren
Polizisten bewachen festgenommene Ölarbeiter nach Protesten in EcuadorBild: AP

"Noch sind die Auswirkungen der Verwüstungen nicht klar", erklärt Klaus Matthies, Experte für Rohstoffpreise beim Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). Erst man wisse, wie lange es dauern wird, die Schäden zu beheben, lasse sich die weitere Auswirkung auf den Ölpreis prognostizieren. Doch die Preisbewegungen, die durch Katastrophen, Krisen oder Ereignisse wie den Ölarbeiter-Streik in Ecuador ausgelöst werden, seien lediglich Ausdruck eines tiefer liegenden Problems. "Die Nachfrage nach Öl ist weltweit so stark gestiegen, dass es kaum noch freie Förderkapazitäten gibt", sagt Matthies. "Jeder Krisenfaktor, der hinzukommt, führt deshalb zu heftigen Reaktionen der Märkte." Und der Bedarf von China, Indien und weiteren aufstrebenden Staaten wird weiter steigen.

Der Verbrauch steigt weiter

Anschlag auf Pipeline im Irak
Im Irak zielen die Aufständischen - wie hier im April bei einem Anschlag auf eine Pipeline - darauf ab, die Öl-Infrastruktur zu zerstörenBild: AP

Eine Studie des HWWA geht davon aus, dass der Preis bis 2020 auf 120 Dollar je Barrel klettern wird, während der Verbrauch um rund 50 Prozent zunimmt. Inflationsbereinigt werde der Ölpreis 2020 allerdings lediglich bei rund 60 Dollar liegen, also 60 Prozent über dem Durchschnitt von 2004, erläutert Matthies. Der gegenwärtig extrem hohe Preis, zum Teil durch Spekulation verursacht, erkläre sich damit, dass die Industrie von der Nachfrage überrascht worden sei und es versäumt habe, in neue Förderstätten zu investieren: "Wegen der extrem hohen Kosten tun sich die Unternehmen schwer damit, zumal sie nicht überzeugt sind, dass der hohe Preis erhalten bleibt." Viele hätten inzwischen jedoch mit Investitionen begonnen.

Von Katrina zerstörte Raffinerie
Die Cheveron-Raffinerie Pascagoula in Mississippi wurde von Katrina zerstörtBild: AP

Darin liege ein entscheidender Unterschied zu den siebziger Jahren, glaubt auch Oliver Hülsewig vom Münchener Ifo-Institut: "Damals gab es eine künstliche Verknappung durch die OPEC, heute ist der hohe Ölpreis eine Folge des großen Wirtschaftswachstums und der damit verbundenen Nachfrage." Und noch aus einem weiteren Grund sei die heutige Situation grundsätzlich anders: Auf die damaligen Ölkrisen reagierten die Gewerkschaften mit höheren Lohnforderungen, um Kaufkraftverluste an der Tankstelle auszugleichen. Weil die Unternehmen die gestiegenen Personalkosten an die Kunden weitergaben, begann eine Inflationsspirale, in deren Folge die Zinsen stiegen. Das teurere Geld hielt die Unternehmen von Investitionen und die Verbraucher von Anschaffungen ab, sodass die Wirtschaft weiter ausgebremst wurde.

Gebremstes Wachstum

Einem vom Ifo-Institut entwickelten Schätzmodell zufolge führt ein zehnprozentiger Anstieg des Ölpreises zu einem Wachstumsverlust von rund 0,2 Prozent im darauf folgenden Jahr. Schon jetzt sei klar, dass das Wachstum in den OECD-Staaten in diesem Jahr durch die Preissteigerungen um 0,1 bis 0,3 Prozent geringer ausfallen werde, sagt Enno Harks von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der kommende Woche eine Studie zum Thema veröffentlichen wird. Doch von einer Ölkrise mag auch Harks nicht sprechen. Der derzeitige Barrelpreis liege noch immer deutlich unter dem von 1979, der inflationsbereinigt 80 bis 85 Dollar betrug.

Leere Autobahn
Die Bundesregierung verfügte 1973 aufgrund der Ölkrise, wie hier auf Teilstück der Autobahn Köln/Bonn, ein Fahrverbot an insgesamt vier Sonntagen.Bild: DHM

Zudem werde heute ein Teil der Ausfälle durch steigende Exporte in die OPEC-Länder kompensiert, sagt Harks. In den Siebzigern hätten die Erdöl exportierenden Länder die riesigen Summen nicht absorbieren können und daher einen großen Teil der Petrodollars bei internationalen Finanzinstitutionen angelegt; heute dagegen würden rund 40 Prozent der Mehreinnahmen für Importe verwendet. "Wenn die OPEC-Länder zehn Prozent mehr importieren, steigen beispielsweise die deutschen Exporte in diese Staaten um 13 Prozent", erläutert Harks. Die volkswirtschaftlichen Verluste gleiche dies freilich nicht aus.

Klaus Matthies vom HWWA kann dem Preisschock allerdings auch einen positiven Aspekt abgewinnen: "Er macht deutlich, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen, unsere Abhängigkeit vom Öl zu vermindern."