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Forschende finden Ursprung des Stotterns im Gehirn

11. Juni 2024

Finnische Forschende fanden bei stotternden Menschen strukturelle Veränderungen in Knotenpunkten eines Gehirnnetzwerks. Ermöglicht dies neue Behandlungsmethoden? Wie verhält man sich im Gespräch mit stotternden Menschen?

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Stottern Symbolbild Feder vor Gehirn
Stottern eine neurologisch bedingte Störung des Redeflusses, bei der die Regulierung der Sprachproduktion im Gehirn beeinträchtigt ist. Bild: Sherbrooke Connecti/ Cultura/Image Source/picture alliance

Stottern ist für Betroffene sehr belastend, vor allem weil Mitmenschen oftmals kränkend, aggressiv oder falsch auf diese Redeflussstörung reagieren. Die unfreiwilligen Wiederholungen von Silben und Lauten, die Dehnungen von Lauten und die wahrnehmbaren oder auch "stummen" Blockaden können Betroffene verunsichern. Das Unwohlsein kann sich auch körperlich etwa durch Erröten oder Schwitzen bemerkbar machen.

Dabei lässt Stottern keinerlei Rückschlüsse auf den Charakter oder die Intelligenz der betroffenen Person zu. Wer stottert, weiß zwar genau, was er sagen will, aber er kann es für den Moment nicht flüssig aussprechen.

Lange hielt man Stottern für eine psychische oder seelische Störung. Tatsächlich aber ist Stottern eine neurologisch bedingte Störung des Redeflusses, bei der die Regulierung der Sprachproduktion im Gehirn beeinträchtigt ist.

Ursprung des Stotterns lokalisiert

Finnische Forschende glauben nun die Gehirnregion lokalisiert zu haben, wo Stottern entsteht.  Bei stotternden Menschen entdeckten sie strukturelle Veränderungen in Knotenpunkten eines Gehirnnetzwerks.

Dessen Zentrum liegt nach Ansicht des Teams um Juho Joutsa von der Universität Turku in einem Bereich des Putamens. Das Putamen gehört zu den Kerngebieten des Großhirns und ist Teil der Grauen Substanz des Gehirns. Es ist für vor allem für die Motorik im Gesicht, also für die Mimik, wichtig.

Verschiedene Ursachen fürs Stottern

Die Redeflussstörung kann verschiedene Ursachen haben. Es gibt eine genetische Veranlagung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Auftreten von Stottern führen kann, aber nicht muss. Zudem können neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Schlaganfälle Stottern zur Folge haben. Für die Studie untersuchten die finnischen Forschenden deshalb auch Patienten, die nach einem Schlaganfall zu stottern begonnen hatten. Der Schlaganfall hatte just den Teil des Gehirns betroffen, wo sich das besagte Gehirnnetzwerk befindet.

Bei den Probanden zeigten sich dieselben strukturellen Veränderungen in den Knotenpunkten dieses Gehirnnetzwerks wie bei denjenigen, bei denen sich das Stottern in der Kindheit entwickelt hatte. Laut Studie belege dies, dass das Stottern unabhängig von genetischen oder neurologischen Ursachen stets in diesem Netzwerk entsteht.

Neue Behandlungsmethoden?

Die finnische Studie bestätige eindrucksvoll, dass die linke Gehirnhemisphäre bei der Sprechcodierung und bei der Umsetzung von Gedanken in Sprechen und gesprochene Sprache entscheidend sei, so Prof. Martin Sommer, Oberarzt und Leiter der "Interdisziplinären Arbeitsgruppe Redeflussstörungen" in der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Außerdem zeige die Studie, dass sich die zwei Formen des Stotterns, das neurogene, also etwa durch einen Schlaganfall entstehende Stottern, und das frühkindliche Stottern nicht sonderlich unterscheiden, so Sommer, der selbst vom Stottern betroffen ist und der die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe (BVSS) berät.

Was hilft beim Stottern?

Bislang gibt es keine wirksame pharmakologischen oder neuromodulatorischen Behandlungsmethoden. Die Lokalisierung der strukturellen Veränderung schafft nach Ansicht der finnischen Forschenden neue Therapiemöglichkeiten, etwa eine auf dieses Gehirnnetzwerk ausgerichtete tiefe Hirnstimulation.

Neurophysiologe Sommer begrüßt zwar den neuen Forschungsansatz, hat aber auch Bedenken:  "Daraus eine Behandlung abzuleiten, ist sicherlich möglich, erfordert aber einige Zwischenschritte um zu verstehen, wo man welche Elektrode mit welcher Polung anbringen muss. Das ist nicht so ganz einfach, da sind wir noch nicht", erklärt Sommer.

Stottern ist nichts Seltenes

In Deutschland mit seinen fast 84 Mio. Einwohnern stottern schätzungsweise 800.000 Menschen dauerhaft. Mehr als fünf Prozent der Kleinkinder stottern, also etwa 50 von 1000 Kindern. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.

Das Stottern beginnt oftmals ganz plötzlich zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr. Und meistens verschwindet diese Störung in den kommenden zwei Jahren von selbst. Aber rund 1 Prozent der Betroffenen stottert auch im Erwachsenenalter noch.

Wie wird Stottern behandelt?

Medikamente, Atem- oder Entspannungstherapien oder irgendwelche Heiltherapien wirken nicht wirklich gegen Stottern. "Es gibt immer noch dubiose Behandlungsanbieter, die sozusagen Wunderheilung  versprechen, da muss man vorsichtig sein", so Sommer.

"Selbst schwerstes Stottern ist mit einfachen Methoden wie Me-tro-nom-spre-chen verhinderbar, aber das Stottern ist dann nicht weg, sondern nur hinter einer veränderten Sprechweisen versteckt. Und  wer will schon den ganzen Tag so sprechen? Dann muss man schon aufpassen, dass man nicht den Falschen in die Hände fällt", warnt Sommer.

Sprechverhalten ändern

Wirksam sind dagegen zwei Methoden der  Stottertherapie, die auch kombiniert werden können: Fluency Shaping und Stottermodifikation. Beide Methoden "basieren auf der Idee, dass eine bewusste Steuerung des muskulären Sprechablaufs in Kehlkopf und Mund prophylaktisch bzw. beim Auftreten des Stottersymptoms einen weichen Stimmeinsatz ermöglicht", erklärt Stottertherapeutin Frauke Kern.

Durch diese Methoden könne die Dauer und Stärke des eigentlichen Symptoms verringert und die Angst vor dem Stottern durch die wiedererlangte Kontrolle über den Sprechablauf verringert werden, so Kern. Sie ist im Bundesvorstand des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie.

So verändert die Fluency Shaping-Methode die Sprechweise, etwa durch einen "weichen Stimmeinsatz" zu Beginn eines Wortes oder das bewusste Dehnen einer Silbe oder eines Lautes. Ziel dieser Methode ist es, Stottern beim Sprechen erst gar nicht auftreten zu lassen.

Bei der Methode der Stottermodifikation lernen Betroffene sogenannte Blocklösetechniken, um aus einer Stresssituation "kontrolliert und einigermaßen überschaubar wieder rauszukommen. Das ist eine interessante Methode, die sozusagen das Kennenlernen der Stotterereignisse beinhaltet", so Neurophysiologe Sommer. So werde die Anspannung gesenkt und der Stottermoment überwunden. Therapeutin Kern betont vor allem, dass bei der Stottermodifikation das natürliche Sprechen erhalten bleibt.

Wenn Stottern zur Belastung wird

Sich der Herausforderung stellen

Betroffene versuchen oftmals, bestimmte Wörter oder Sprechsituationen zu vermeiden, aus Scham oder Angst, sich lächerlich zu machen. Das kann dazu führen, dass sich Betroffene aus dem Alltag zurückziehen und sozial vereinsamen.

Stotternde Menschen lernen deshalb auch, sich schwierigen Situationen zu stellen. "Die größte Gefahr beim Stottern ist, den Mund zu halten, das machen auch viele. Aber das ist sehr schade, denn wenn man den Mund hält, dann sieht und hört es keiner. Wer den Mund hält, kommt auch nicht sehr weit. Das Vermeidungsverhalten ist unglücklich, weil es den Menschen in seinen Entwicklungsmöglichkeiten deutlich einschränkt. Deshalb ist es wichtig, nicht den Mund zu halten, sondern das zu sagen, was man sagen will", rät Neurologe Sommer.

Selbsthilfegruppen können helfen, die Scheu vor dem Sprechen zu überwinden. Meist ist es hilfreich, in der Familie, im Freundeskreis oder bei der Arbeit offen und selbstsicher mit dem Stottern umzugehen.

Was hilft stotternden Menschen nicht?

Auf – oftmals gut gemeinte – Ratschläge können stotternde Menschen gut verzichten. Sie müssen nicht tief durchatmen, sich konzentrieren oder sich beruhigen. Solche Ratschläge nerven oder verunsichern nur.

"Also am besten ist Abwarten, Anschauen und Zuhören. Stotternde Menschen brauchen mehr Zeit, das ist halt so! Es gibt immer wieder Leute, die versuchen, dann das Wort oder den Satz fortzusetzen. Das ist erstens sehr verletzend, jemanden zu unterbrechen. Außerdem ist das vielleicht gar nicht das, was ich eigentlich sagen wollte. Dann wird's kompliziert", so Sommer. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund