Fotoserie "Toy Stories": Wie Kinder weltweit spielen
20. Juni 2023Für Pavel aus Kiew(zum Zeitpunkt der Aufnahme fünf Jahre alt) gibt es überhaupt keinen Zweifel: Er will Polizist werden. Pavel liebt seine Waffen, er spielt den ganzen Tag mit ihnen. Sein jüngerer Bruder wird ständig verhaftet. Pavel legt ihm Handschellen an, verhört ihn und beschuldigt ihn, Spielzeugautos zu stehlen. Der Helm eines britischen Polizisten ist ein Geschenk, das ihm die beste Freundin seiner Mutter aus London mitgebracht hat. "Es ist das beste Geschenk, das ich je bekommen habe", sagt Pavel und trägt ihn stolz.
Spielsachen seien die "wertvollsten Besitztümer" von Kindern weltweit - "von Texas bis Indien, von Malawi bis China, von Island über Marokko bis zu den Fidschi-Inseln", sagt der italienische Dokumentarfotograf Gabriele Galimberti. Sein Ziel sei es gewesen, die "spontane und natürliche Freude festzuhalten, die Kinder trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe verbindet" - und zwar ganz gleich, ob ein Kind viele, wenige oder vielleicht gar keine eigenen Spielsachen besitzt. "Der Stolz auf das Spielzeug, den ein Kind hat, ist bewegend, lustig und regt zum Nachdenken an", sagt Galimberti.
"Toy Stories" entstehen per Zufall
Der Startschuss zu seiner Serie "Toy Stories" fiel quasi zufällig, erzählt der Fotograf im Gespräch mit der DW: 2010 und 2011 war er für ein Langzeitprojekt über Couchsurfing für die italienische Zeitung "La Repubblica" zwei Jahre lang in 58 Ländern unterwegs. "Im Grunde bin ich also gereist, habe bei Leuten geschlafen und über Geschichten von überall auf der Welt berichtet".
Wenige Wochen zuvor hatte ihn eine Freundin gebeten, ihre Tochter Alessia zu fotografieren, die damals vier Jahre alt war. Alessia sortierte gerade im Kuhstall ihres Großvaters ihre Spielsachen, als der Fotograf bei ihr ankam. Er half ihr dabei und riet dem Mädchen, die Sachen nach Form und Farbe zu ordnen. So entstand - ohne das in dem Moment zu wissen - das allererste Foto der "Toy Stories".
Das Foto gefiel Galimberti und er beschloss, dieselbe Art von Foto während seiner zweijährigen Reise in jedem Land zu machen. Gesagt, getan. Und bis heute ist die Langzeit-Serie nicht abgeschlossen. "Es ist ein fortlaufendes Projekt", sagt Galimberti. Seinem im November 2014 veröffentlichten Buch "Toy Stories" werde nächstes Jahr, zehn Jahre später, "Toy Stories 2" folgen.
Unterschiede zwischen arm und reich
Er habe sich selbst Regeln für die Aufnahmen gegeben, erzählt Galimberti der DW: "Eine Regel war: Nur Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Weil ich dachte, dass das die Altersgruppe ist, in der man sich nur mit Spielen beschäftigt. Man hat noch nicht dieses, sagen wir mal, Problem des Lernens."
Bei Kindern aus reicheren Familien hätte es manchmal ein bisschen länger gedauert, bis das Vertrauen aufgebaut war, er mitspielen durfte und sich die Kinder am Ende gerne fotografieren ließen. Manchmal seien diese Kinder "ein bisschen besitzergreifender mit dem, was sie haben". Dagegen sei er in ärmeren Regionen, etwa in afrikanischen Ländern, meist schnell und umkompliziert "Teil des Spiels" geworden. Es sei "etwas einfacher gewesen, an Orten zu fotografieren, wo es weniger gibt". Diese Beobachtung wolle er aber auf keinen Fall verallgemeinern.
Ähnlich wie auch in seinen Fotoserien "Ameriguns", "Home pharma", "In her kitchen" und vielen anderen positioniert Galimberti die Objekte (Waffen, Arzneimittel, Küchenutensilien und bei "Toy Stories" eben Spielsachen) sehr akkurat und wohlgeordnet um seine Protagonisten herum. Und das, obwohl gerade Spielsachen in Kinderzimmern - das wissen nicht nur geplagte Eltern - oft eher chaotisch in der Gegend herumfliegen.
Markenzeichen Ordnung: "Eine Art Infografik"
"Vielleicht weil ich Ordnung mag", erklärt der Fotograf im Gespräch mit der DW. "Das ist meine Handschrift. Man sieht natürlich Menschen, aber man sieht auch Zahlen. Eine Art von Infografik. Es ist meine Art, Menschen und Objekte und Besitztümer zu fotografieren."
Die Kinder hätten in 99 Prozent der Fälle großen Spaß daran gehabt, ihre Spielsachen zusammen mit ihm zu sortieren. Sei das nicht der Fall gewesen oder hättendie Kinder sogar geweint, hätte er sich sofort zurückgezogen. Manchmal hätte es dann aber dank der Vermittlung der Eltern beim zweiten Mal geklappt.
Die von ihm gewählte Art der Porträtfotografie sei seine Art, Geschichten zu erzählen, betont er. "Weil ich gerne mit Menschen interagiere. Ich bin nicht wirklich gut im Fotografieren von Landschaften oder Dingen. Aber Menschen, die ich fotografiert habe, sind immer Menschen, zu denen ich eine gewisse Verbindung habe, weil ich Zeit mit ihnen verbringe."
Fotografie ist "eine der lebendigsten und meistgesprochenen Sprachen auf dem Planeten, weil jeder sie spricht", sagt Galimberti. Diese Sprache könne dabei helfen, Entfernungen zu verkürzen und zu einer besseren interkulturellen Verständigung beitragen.
Der italienische Dokumentarfotograf Gabriele Galimberti, geboren 1977, arbeitet für internationale Zeitschriften und Zeitungen wie National Geographic, The Sunday Times, Stern, Geo, Le Monde, La Repubblica oder Marie Claire. Seine Bilder wurden in Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt. Für seine Porträt-Serie "The Ameriguns" gewann er 2021 den World Press Photo Award.