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Deutsche sollen länger arbeiten

15. April 2021

Die Corona-Infektionszahlen steigen, weitere Einschränkungen stehen bevor. Das belastet die Konjunktur. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In der Pandemie ist einiges aus dem Blick geraten. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Symbolbild I Redewendung Eisen im Feuer
Bild: Heinz Hirndorf/ZB(picture alliance

Als die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im vergangenen Herbst auf das Jahr 2021 blickten, fiel die Konjunkturprognose mit einem vermuteten Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent vergleichsweise positiv aus. Ein halbes Jahr später sind es nur noch 3,7 Prozent. "Aufgrund des anhaltenden Shutdowns dürfte die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um 1,8 Prozent gesunken sein", sagte Torsten Schmidt, Konjunkturchef des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). 

Die Länge des Lockdowns habe man im Herbst nicht voraussehen können, so Schmidt bei der Vorstellung des aktuellen Frühjahrsgutachten. Nach wie vor bleibe die Entwicklung der Pandemie das "bedeutendste Abwärtsrisiko" für die Konjunktur. "Sobald die Infektionsgefahren vor allem durch das Impfen gebannt sein werden, wird eine kräftige Erholung einsetzen", versprechen die Wissenschaftler der insgesamt fünf beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute.

Viel Kaufkraft wurde zurückgehalten

Bei ihrer Prognose gehen sie davon aus, dass die Einschränkungen ab Mai nach und nach aufgehoben werden und im Sommerhalbjahr wieder deutlich mehr möglich sein wird. 200 Milliarden Euro haben die Deutschen in den vergangenen Monaten pandemiebedingt nicht ausgegeben. Eine gewaltige Kaufkraft, die dem Konsum einen kräftigen Schub geben könnte, wenn Handel, Dienstleistungen und Gastronomie wieder öffnen und in Schwung kommen.

Bis Jahresende könne der Aufholprozess bereits abgeschlossen sein, sagen die Forscher. Am Ende werde die Entwicklung aber nicht nur davon abhängen, wie schnell Impfstoffe und Corona-Tests flächendeckend verfügbar und nutzbar sein werden. "Das Auftreten neuer Mutationen des Virus könnte die Wirksamkeit der Impfstoffe reduzieren, wodurch der Öffnungsprozess möglicherweise gestoppt werden müsste und damit die wirtschaftliche Erholung abermals zurückgeworfen würde."

Nicht alle Finanzhilfen kommen zielgerichtet an

Dank üppiger Staatshilfen ist die Wirtschaft in Deutschland bislang vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Neue Konjunkturprogramme sind aus Sicht der Wirtschaftsinstitute nicht nötig, in den bestehenden Programmen seien genügend Mittel vorhanden. Allerdings machen die Forscher große Unterschiede in den Folgen für die Betroffenen aus, weil einzelne Branchen geschlossen wurden, die Industrie aber beispielsweise weiterarbeiten konnte. "Es geht nicht um die Volumina, die reichen aus", konkretisiert Forscher Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. "Es geht darum, ob sie auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden."

Deutschland Coronavirus Lockdown
Die Gastronomie ist in Deutschland seit November 2020 geschlossenBild: K. Schmitt/Fotostand/picture alliance

Die staatlichen Zahlungen haben für die Forscher aber auch Schattenseiten. Denn es sind Unternehmen gerettet worden, die schon vor der Pandemie kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr hatten und die es ohne die Krise inzwischen wohl nicht mehr geben würde. "Durch die Hilfen wird der Strukturwandel aufgehalten, und das schwächt das Potenzial", betont Kooths, der die Zukunftsbranchen im Bereich der Erneuerbaren Energien, im Digitalsektor und den Dienstleistungen sieht.

Portraitaufnahme des Wirtschaftswissenschaftlers Oliver Holtemöller
Wirtschaftsforscher Oliver HoltemöllerBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle mahnt, die Finanzhilfen dürften nicht länger "mit der Gießkanne verteilt" werden. "Je länger wir uns in der Krise befinden, umso zielgerichteter müssen die Hilfsmaßnahmen sein."

Länger arbeiten? Daran führt wenig vorbei

Die Infektionslage und ihre Folgen verstellen den Blick auf schon vor der Krise vorhandene Probleme, darin sind sich die Forscher einig. Besonders drängend ist die demografische Entwicklung. Immer mehr Rentnern stehen in Deutschland immer weniger Erwerbstätige gegenüber. Pro Jahr würden demnächst 400.000 Menschen mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden als neue hinzukommen.

Das wird in den kommenden Jahren die Rentenkassen massiv belasten. Die Forscher kritisieren, dass die Politik die verfügbaren Hebel bislang nicht in Bewegung setzen wollte. Rentenbezüge könnten abgesenkt, die Beiträge zur Rentenversicherung und das Renteneintrittsalter erhöht werden. "Die eleganteste Lösung wäre eine langsame, schrittweise Erhöhung des Eintrittsalters", so Oliver Holtemöller. So würden auch mehr Menschen länger auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Finanzpolitisch wird es rauer

"Die Politik wird sich etwas überlegen müssen, um die Rentenversicherung auf solide Füße zu stellen", warnt der Wissenschaftler. Zumal die Zuschüsse zur Rentenkasse der mit Abstand größte Posten im Bundeshaushalt sind. Eine weitere Steigerung sei "der Haupttreiber für Defizite". Die neue Regierung werde zügig daran arbeiten müssen, die enorme Neuverschuldung zurückzufahren und den Haushalt wieder auszugleichen. "Finanzpolitisch werden die Zeiten rauer", prognostiziert Stefan Kooths. Die nächste Regierung werde es nicht so einfach haben.

Die Politiker müssten sich genau überlegen, wofür sie das Geld ausgeben wollten. Für die Wirtschaftswissenschaftler ist klar, dass Investitionen wichtig sind. In den USA würden erhebliche Mittel bewegt, um die Wirtschaft und die Infrastruktur zu modernisieren. "Das ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, ihre Standortqualitäten und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den Blick zu nehmen", warnt Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Die Welt schläft nicht

Zumal die USA, aber auch Asien bislang besser aus der Pandemie heraus finden. "Zu diesem Zeitpunkt werden finanzpolitische Impulse und Erfolge der Impfkampagne für eine sehr kräftige Konjunktur in den USA sorgen", heißt es im Frühjahrsgutachten. Der Euroraum liege weiter zurück. Das gelte auch für Großbritannien, wo zudem der wichtige Handel mit der EU unter den Folgen des Brexit leide. Die wirtschaftlichen Aussichten in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern seien dadurch getrübt, dass der Großteil der Bevölkerung noch bis ins Jahr 2022 hinein nicht geimpft sein wird.