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Frankreich am Scheideweg

Johanna Schmeller19. Februar 2014

Bei den deutsch-französischen Regierungskonsultationen trafen die Minister beider Länder zusammen. Die Beziehungen stecken in der Krise - die Volkswirtschaften können allerdings nicht ohneeinander.

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Francois Hollande und Angela Merkel. Bertrand Langlois/AFP
Bild: BERTRAND LANGLOIS/AFP/Getty Images

Das Europakolleg liegt malerisch im belgischen Brügge, mitten in der Altstadt. Die Times bezeichnete es als "europäisches Harvard": Künftige Regierungsbeamte sollten hier herangezogen werden, befähigt, jede Paragraphenwüste zu durchdringen und die Zukunft ihres Kontinents zu gestalten. Die Wirklichkeit sieht derzeit anders aus.

"Wenn ich heute mit meinen Studenten diskutiere, reden sie nur noch davon, ob sie eine Stelle finden", sagt der französische Politikprofessor Olivier Costa, der am Kolleg lehrt. Er stellt einen gesellschaftlichen Wandel fest. Früher, "als die Leute sorgloser waren und in ihre Zukunft vertraut haben", hätte es diese Gespräche nie gegeben. Nun lähmen sie Zweifel.

Merkel und Hollande. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
Angela Merkel und François Hollande: Zweckverbindung ohne AlternativeBild: picture alliance / dpa

Die berufliche Zukunft seiner Studenten, der künftigen französischen Führungselite, scheint eng an die Zukunft der Europäischen Union geknüpft: "Sie haben das Gefühl, dass diese Krise dauerhaft ist, dass sie dafür bezahlen müssen und dass wir ihr hier, auf dem europäischen Kontinent, momentan nichts entgegenzusetzen haben."

Die Zukunft der Europäischen Union wiederum scheint eng an die Stabilisierung Frankreichs geknüpft. Und die Stabilisierung Frankreichs - an die momentane Führungselite.

Europakritische Führungselite

Fast zwei Jahre ist François Hollande bereits im Amt, und seine Popularität ist so niedrig wie nie zuvor. Dazu käme ein "extrem schwacher" Europaminister, dem ein europakritischer Außenminister, Laurent Fabius, gegenüberstehe. Gegen die französische Finanzmisere hat der sozialistische Staatspräsident bisher vor allem mit Steuererhöhungen angekämpft. Ausgabenkürzungen hingegen blieben marginal. Jetzt sollen Reformen - ähnlich wie Gerhard Schröders Agenda-2010-Konzept - Frankreich in einen Export- und Wachstumsmotor verwandeln, wie Deutschland.

Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt der Unicredit Bank, geht davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 2,5 Prozent zulegen könnte - und er begründet das gegenüber deutschen Agenturen auch mit einer leichten Erholung im Nachbarland: "Da Frankreich mit einem Anteil von mehr als neun Prozent der wichtigste Einzelmarkt für deutsche Exportunternehmen ist, verspricht das Gutes für Deutschland und die Eurozone insgesamt", so Rees.

Kohl und Mitterrand. Foto: Lionel Cironneau/AP
Helmut Kohl (li.) und François Mitterrand: Bündnis mit hoher PrioritätBild: AP

Kein starkes Europa ohne ein starkes Frankreich

"Natürlich ist Europa mehr als die deutsch-französische Achse", sagt Markus Beyrer vom Industrieverband Businesseurope im Gespräch mit der DW, "aber in vielen Dingen müssen Deuschland und Frankreich einen Schritt voraus machen. Hier lag schon immer der Beginn des europäischen Fortschritts." Ohne eine Neuorientierung gehe es derzeit nicht - und für die Industrie nicht ohne eine Stärkung der Unternehmen.

"Die nächsten fünf Jahre müssen ganz klar im Sinne eines Wiedergewinns der Wettbewerbsfähigkeit stehen." Hier müsse die deutsch-französische Zusammenarbeit "die treibende Kraft" sein: Nur Binnenreformen, etwa eine steuerliche Entlastung der Industrie, setze Frankreich wieder auf den richtigen Weg - und "ohne ein starkes Frankreich kein starkes Europa".

Leichte Erholung

Auf den ersten Blick stehen die Zeichen dafür wieder etwas besser: Für Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone, haben sich die Statistiker in der letzten Woche leicht nach oben korrigiert. Ende 2013 verzeichnete die französische Wirtschaft erstmals wieder ein Wachstum um 0,3 Prozent. Im Frühjahr 2013 hatte Frankreich den Weg aus der Rezession gefunden, im Sommer stagnierte die französische Wirtschaft. Der erwartete Rückgang blieb aus.

Doch Politologe Costa relativiert: "Wir erleben derzeit mit, dass die Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht, das Wachstum nicht anzieht, und sich die Handelsbilanz nur marginal verbessert - das aber wiederum nur, weil der Binnenkonsum stagniert."

"Keine glaubwürdige Alternative"

Die wirtschaftliche deutsch-französische Zusammenarbeit war daher zentrales Thema der Regierungskonsultationen. Vor fünfzig Jahren waren die regelmäßigen Treffen, an denen neben den Regierungschefs auch die Minister teilnehmen, zur Besprechung von Zeitfragen ins Leben gerufen worden. Europa steht auf der politischen Agenda Frankreichs derzeit allerdings ganz unten, glaubt Costa. "Es gibt keine klare europapolitische Linie. Frankreich ist absorbiert von internen Problemen."

Eine deutsch-französische Europa-Agenda hält er immer noch für möglich - allerdings: " Wenn es irgendeine glaubwürdige Alternative gäbe, wäre die deutsch-französische Freundschaft schon vor 15 Jahren begraben worden."

Außenminister Laurent Fabius in Brüssel. Foto: georges Gobet/AFP
Laurent Fabius, heute französischer Außenminister, früher Kritiker des Maatsricht-VertragesBild: Georges Gobet/AFP/Getty Images