Frankreich hofft auf schwimmende Windparks
24. November 2022An diesem Morgen hängen dunkle Wolken über der Baustelle in der Hafenstadt Fos-sur-Mer an der französischen Mittelmeerküste. Der Wind bläst so stark, dass die Gruppe Journalisten sich beizeiten dicht um Christine de Jouëtte drängen muss, um sie zu verstehen. "Die Plattformen hier hinter mir sind 45 Meter hoch, an allen drei Seiten 80 Meter lang und 2500 Tonnen schwer", sagt sie und zeigt auf drei riesige, gelb-graue Metallstrukturen.
De Jouëtte ist Angestellte des Energieriesen EDF Renouvelables und Projektleiterin von Provence Grand Large, einem von Frankreichs vier schwimmenden Offshore-Windpilotparks. Das Land hat als erstes weltweit kommerzielle Ausschreibungen für solche schwimmenden Projekte organisiert und will Champion in dem Sektor werden. Doch noch gibt es finanzielle und technische Hürden. Und Frankreich ist nicht das einzige Land im Rennen.
Atomkraft-Champion mit Problemen
Provence Grand Large will man im nächsten Frühjahr an den Projektstandort 17 Kilometer von der Küste entfernt bringen. Die Projektentwickler, zu denen auch die kanadischen Unternehmen Enbridge und CPP Investments gehören, geben insgesamt 300 Millionen Euro für den Windpark aus. Der hat zwar nur eine Kapazität von 25 Megawatt - das ist vierzigmal kleiner als ein Atomreaktor. Dennoch ist Offshore-Windenergie auf schwimmenden Plattformen für de Jouëtte ein Hoffnungsschimmer in Zeiten der Energiekrise, die vor allem durch Russlands Invasion der Ukraine verursacht wurde.
In Frankreich stehen zudem Dutzende Atomreaktoren seit Monaten aufgrund von Wartungsarbeiten still - wobei Nuklearenergie in Normalzeiten rund 70 Prozent der Stromproduktion ausmacht. Die schwimmenden Parks haben dabei laut Experten einen entscheidenden Vorteil: Sie liefern, anders als bisherige Erneuerbare, rund um die Uhr Elektrizität.
"Herkömmliche Offshore-Windparks, die man auf Fundamenten aus Beton oder Metall errichtet, kann man nur in Wassertiefen bis etwa 50 Metern bauen", erklärt die Projektleiterin gegenüber DW. "Bei schwimmenden Offshorewindparks, die man zum Beispiel durch Drahtseile am Meeresboden befestigt, gibt es eine solche Begrenzung nicht. Man kann sie an extrem windigen Orten aufstellen. Diese Energieform könnte einer der Schlüssel auf dem Weg zur Klimaneutralität sein." Am künftigen Standort von Provence Grand Large beträgt die Wassertiefe um die 100 Meter.
Vermehrtes Interesse seit Beginn des Krieges in der Ukraine
Unter den rund 140 Leuten, die auf der Baustelle in Fos-sur-Mer arbeiten, ist auch das Team des niederländischen Unternehmens SBM Offshore. Letzteres hat bisher vor allem Plattformen für den Öl- und Gassektor gebaut. Stephanie St Hill, kaufmännische Leiterin im Bereich der Erneuerbaren, hofft, dass SBM Offshore außer für Provence Grand Large künftig auch für andere schwimmende Offshorewindparks Plattformen liefern wird.
"Unser Ziel ist es, bis 2030 ein Windenergie-Portfolio von zwei Gigawatt zu haben, was dann ein Viertel unseres Geschäfts ausmachen würde", sagt sie im Gespräch mit der DW. "Denn vor allem seit Beginn der Ukraine-Invasion interessieren sich immer mehr Länder für diese Energieform - sie wollen unabhängig werden in Sachen Energieversorgung."
Doch noch ist schwimmende Offshore-Windenergie nicht marktreif - es gibt technische und finanzielle Hürden. "Es existieren mehrere Technologien für die Plattformen und Verankerungen und noch ist nicht klar, welche sich davon durchsetzen wird", meint Anna Creti, Chefin des Lehrstuhls für Klimaökonomie an der Pariser Universität Dauphine, zur DW. "Außerdem braucht man extrem viel Stahl, um die Plattformen zu bauen. Da könnte es künftig zu Engpässen kommen."
Adel El Gammal, Professor für Energie-Geopolitik an der Freien Universität Brüssel und Generalsekretär der Denkschmiede European Energy Research Alliance, fügt hinzu, dass man auch noch die technischen Detailfragen klären müsste. "Schwimmende Strukturen bewegen sich ständig, das nutzt die Komponenten ab", erklärt er der DW. "Um das zu berücksichtigen, sind einige Teile der Pilotprojekte größer, als sie sein müssten. Man muss sie noch auf die passende Größe herunterbringen, um die Kosten zu senken." Bisher kostet die Energie aus schwimmenden Offshore-Windparks mindestens doppelt so viel wie die herkömmlicher Offshore-Windprojekte.
Frankreich muss seinen Ruf retten
Für Frankreich gehe es dabei auch darum, den Rückstand in Sachen herkömmlicher Offshore-Windenergie wettzumachen und seinen Ruf zu retten, so Klimaökonomin Créti. "Bisher sind erst 20 Gigawatt an Windenergie in Betrieb - natürlich fast nur an Land. Dabei haben wir uns das Ziel gesetzt, bis Ende 2023 über 24 Gigawatt zu erreichen", sagt sie. Nur ein herkömmlicher Offshore-Windpark ist bisher im Bau - und das rund ein Jahrzehnt nach dessen Ausschreibung.
Das liegt auch am heftigen Widerstand von Anwohnern gegen die Projekte. Dieser sollte weniger stark bei schwimmenden Windparks sein - sie sind weit weg auf hoher See. Das Land ist jedoch nicht das einzige, bei dem die Vorteile der Windräder Anklang finden. "Es gibt europäische Konkurrenten", sagt El Gammal. "Zum Beispiel Norwegen, wo man schon viel Erfahrung in Sachen Offshore-Plattformen im Öl- und Gassektor hat, aber auch Spanien, Portugal, Schottland und Italien. Hinzu kommen Länder wie Japan, die USA und Südkorea."
Für den Energieriesen EDF Renouvelables ist die erhöhte Konkurrenz nicht unbedingt eine schlechte Nachricht. "Natürlich sind die Pilotprojekte in Frankreich interessant, und wir würden auch gerne die kommerzielle Ausschreibungen gewinnen", sagt de Jouëtte. "Gleichzeitig schauen wir aber auch auf andere Länder wie die USA, China und Taiwan." Das weltweite Potenzial der schwimmenden Offshore-Windenergie schätzen Experten auf etwa 3500 Gigawatt - das entspricht rund 3500 Atomreaktoren. Doch sofort werden die Parks wohl nicht die Energieprobleme lösen: Frankreichs kommerzielle Projekte sollen nicht vor 2030 Strom liefern.