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Frankreich rüstet sich für Flüchtlinge

Elisabeth Bryant / kk20. September 2015

Um den Nachbarn Deutschland zu entlasten, nimmt die Regierung in Paris Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak auf. Hilfsorganisationen befürchten eine Benachteiligung der Asylsuchenden, die schon länger in Frankreich sind.

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Flüchtlingscamp in Frankreich (Foto: Elisabeth Bryant)
Bild: DW/E. Bryant

Es stürmt an jenem Morgen, als die Behörden die Unterkunft des 18-jährigen Sudanesen Ahmed zerstörten: ein heruntergekommenes Zeltlager in der Innenstadt von Paris, direkt an der Seine gelegen. Nun soll er zeitweilig in eine andere Unterkunft.

Doch Unterkünfte für Asylsuchende sind rar in Frankreich. Das bekommt auch Nasrullah Daulatzia aus Kabul zu spüren. Mehrere Monate habe er in Parks und Bahnhöfen verbracht, berichtet er. Erst seit wenigen Wochen lebt er in einer ehemaligen Schule, zusammen mit anderen Migranten aus Afghanistan und afrikanischen Ländern. Berge von Müll und Kleidung sind über das Gelände verstreut. Doch Nasrullah ist dankbar für sein warmes Bett. "Es ist großartig - viel besser, als draußen zu schlafen", erklärt er im Gespräch mit der DW.

Migranten warten oft Wochen oder gar Monate auf eine Unterkunft. Eine Situation, die sich in diesen Tagen verschärft, denn Frankreich nimmt die ersten über Deutschland kommenden Syrer und Iraker auf. Es sind die ersten von rund 24.000 Asylbewerbern, die das Land in den kommenden zwei Jahren aufnehmen will.

Von Flüchlingen besetzte Schule in Paris (Foto: Elisabeth Bryant )
Diese Pariser Schule haben Migranten besetzt - und müssen Räumung befürchtenBild: DW/E. Bryant

Iraker und Syrer im Mittelpunkt des Interesses

Hilfsorganisationen stellen sich besorgt die Frage, welche Auswirkungen das für die bereits länger im Land lebenden Flüchtlinge hat. Einige von ihnen gelten als "Wirtschaftsflüchtlinge", während andere vor Konflikten und Unterdrückung in Ländern wie Eritrea und dem Sudan geflohen sind. Ihr Schicksal findet in Politik und Medien längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie das derjenigen Flüchtlinge, die gerade durch Europa ziehen.

"Man hat Quoten für Syrer und Iraker festgelegt, weil diese Länder im Krieg sind", sagt Hervé Ouzzane. Er ist Mitglied einer Gruppe, die Migranten in der ehemaligen Jean-Quarré-Schule im Nordosten von Paris unterstützt. "Doch über Quoten für Menschen aus dem Sudan oder Eritrea redet man nie. Das macht mich wütend."

Doch in einer tief gespaltenen Europäischen Union verbindliche Quoten festzulegen, ist derzeit schwer möglich. Nur wenige Länder, wie etwa Frankreich und Deutschland, unterstützen den Vorschlag, die Flüchtlinge per Quotenregelung zu verteilen. Entsprechend mühen sich die französischen Behörden, Platz für Zehntausende Neuankömmlinge zu finden, die derzeit über andere EU-Länder kommen.

Suche nach Unterkünften

"Der Staat und die Stadt mobilisieren alle nur denkbaren Mittel und Räume, um die Flüchtlinge empfangen zu können", sagt Mathias Vicherat, Stabsleiter der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Er ist gekommen, um die Räumung des Ufercamps zu begleiten - eine von zweien an diesem Donnerstag in Paris. "Diejenigen, die diese Unterkünfte verlassen müssen, werden anderswo untergebracht, bis ihr Status geprüft ist", versichert er.

Frankreich leidet seit langem unter dem Mangel geeigneter Unterkünfte für Asylbewerber. Die jetzt übernommenen Flüchtlinge scheinen aber endlich Anlass zu sein, dass dieses Problem angegangen wird.

Mathias Vicherat (Foto: Elisabeth Bryant)
Mathias Vicherat: "In der Flüchtlingsfrage gibt es unterschiedliche Prioritäten"Bild: DW/E. Bryant

Die Pariser Behörden haben angekündigt, dass in Kürze ein rundes Dutzend neuer Zentren eröffnet werde. In ihnen sollen die zuletzt angekommenen Flüchtlinge untergebracht werden, zusammen mit Hunderten bereits anerkannter Migranten. Zugleich bietet die französische Regierung Städten und Gemeinden im gesamten Land tausend Euro für jedes neue Quartier.

Migrationsdruck zwingt zum Handeln

Aktivisten, die sich um die Rechte der Migranten kümmern, reagieren auf diese Ankündigungen mit gemischten Gefühlen. "Wir haben mit Verwunderung vernommen, dass die Behörden innerhalb weniger Tage tausend Plätze finden konnten, während wir seit vielen Jahren nach Unterkünften suchen", sagt Aurélie Radisson von der Wohltätigkeitsorganisation Secours Catholique. "Die Situation in Europa hat unsere Regierung gezwungen, ihre Position zu ändern und sich um eine Lösung zu bemühen."

Im Pariser Vorort Cergy-Pontoise leben Hunderte neu angekommener Iraker und Syrer nun in einem ruhigen Erholungszentrum. Sie haben zeitlich befristete Dokumente erhalten, wurden ärztlich untersucht und beginnen nun die Landessprache zu lernen.

Für Leila Karaa und ihr Mann Fadel Adafai aus der irakischen Provinz Diyala steht die Unterkunft am Ende einer langen Reise. "Wir sind dem 'Islamischen Staat' entkommen," erzählt Karaa, während ihr Mann ein Bild der französischen Flagge zeichnet.

Glücklich in der neuen Heimat

Wie viele andere berichtet auch das irakische Ehepaar von einer gefährlichen Reise zu Fuß, per Schlauchboot, Bahn und Bus. Besonders ist ihnen der dreitägige Aufenthalt in Ungarn in Erinnerung geblieben. "Die Polizei hat die Leute beleidigt. Man hat uns mit Elektrostöcken geschlagen und getreten", erzählt Karaa der DW.

Als sie aus München schließlich in Paris ankam, wurde sie von einer Frau umarmt. "Die Leute zeigen uns gegenüber große Menschlichkeit", sagt Karaa. "Wir sind Frankreich sehr dankbar."

Doch nicht alle Flüchtlinge sind in Europa so herzlich empfangen worden. Der Afghane Nasrullah Daulatzia lebte sechs Jahre als illegaler Einwanderer in London, dann wurde er in seine Heimat abgeschoben. Nach ein paar Monaten flüchtete er aufs Neue, weil er, wie er erzählt, in seinem Haus in Kabul angegriffen worden sei.

Der afghanische Flüchtling Nasrullah Daulatzia (Foto: Elisabeth Bryant )
Ein Leben im Privosorium: Nasrullah DaulatziaBild: DW/E. Bryant

Hilfsorganisationen fühlen sich alleingelassen

Die besetzte Schule, in der Nasrullah lebt, sei eigentlich für 80 Einwanderer und 80 Pariser Obdachlose gedacht, sagt der Aktivist Ouzzane. "Doch nun lässt man uns hier mit 400 Migranten allein, um die wir uns kümmern müssen."

Mathias Vicherat vom Pariser Bürgermeisteramt bestreitet, dass die Stadt die Flüchtlinge unterschiedlich behandle. "Die Stadt will jedem helfen", sagt er. "Aber es gibt unterschiedliche Prioritäten. Es gibt unterschiedliche Arten von Notfällen, auf die wir auch unterschiedlich reagieren. Menschen, die als politische Kriegsflüchtlinge zu uns kommen, behandeln wir anders als solche, die in besonders traumatischen Umständen gelebt haben."

Im Zentrum von Paris macht sich der junge Sudanese Ahmed derweil auf den Weg zu einer neuen Unterkunft. Der Bus, auf den wartet, ist eingetroffen. Wo mag es hingehen? "Ich weiß es nicht", sagt er.