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"Die Sinti sollen sichtbar werden"

Nina Werkhäuser21. Mai 2014

Romeo Franz ist der erste deutsche Sinto, der für das Europaparlament kandidiert. Der 47-jährige Musiker und Grünen-Politiker kämpft gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland und Europa.

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Der Sinto Romeo Franz, Politiker bei den Grünen, Foto: Rainer Christian Kurzeder
Bild: Rainer Christian Kurzeder

DW: Herr Franz, Sie leben in Ludwigshafen und sind ein Pfälzer Sinto. Welche Geschichte hat Ihre Familie?

Meine Familie lebt seit mehr als 600 Jahren in Deutschland. Wir Sinti sind eine anerkannte nationale Minderheit wie die Friesen oder Sorben. Derzeit leben etwa 80.000 Sinti in Deutschland. Zu Hause sprechen wir das deutsche Romanes. Meine Großmutter und Mutter sind Überlebende des Holocaust, ich habe sechs Familienmitglieder in Auschwitz verloren. Diese Geschichte hat mich schon als Kind beeinflusst und auch politisiert. An meiner ersten Demonstration habe ich mit 14 Jahren teilgenommen. Das war vor dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden, wo man die Namen der Sinti seinerzeit unter "ZN", also Zigeunername, gespeichert hat.

Bei den Grünen kandidieren Sie auf Listenplatz 12 für einen Sitz im Europaparlament. Seit wann engagieren Sie sich politisch?

Ich habe zunächst fast 20 Jahre Bürgerrechtsarbeit gemacht, unter anderem im Vorstand des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma. 2010 bin ich dann zu den Grünen gestoßen, die mich mit offenen Armen empfangen haben. Es macht mich glücklich, dass die Partei meine Erfahrungen und Kompetenzen nutzt. Mein Engagement hat dazu geführt, dass viele Sinti sich nun ebenfalls politisch engagieren.

Viele Sinti verschweigen in der Öffentlichkeit, dass sie Sinti sind. Warum?

Der Grund dafür ist der latente Rassismus und starke Antiziganismus in der deutschen und europäischen Gesellschaft. Ein Freund von mir ist bei der Mordkommission und bekam starke Probleme, nachdem er sich als Sinto geoutet hatte. Mein eigener Sohn möchte sich in der Schule nicht als Sinto zu erkennen geben. Das muss ich akzeptieren, auch wenn es mir schwerfällt. Es gibt viele Beispiele, auch von Prominenten. Zum Beispiel hat die Sängerin Marianne Rosenberg lange nicht gesagt, dass sie Sintezza ist. Sie fürchtete, ihre Karriere könnte zu Ende sein, wenn sie darüber spricht.

Auch in vielen Ländern der EU sind Sinti und Roma Anfeindungen und offener Ablehnung ausgesetzt. Hat die EU in dieser Frage versagt?

Die EU hat ein Kompetenzproblem: Wenn sie über Minderheiten spricht, dann muss sie mit und nicht über die Menschen sprechen. Ich war im letzten Jahr in Serbien und Bulgarien und habe mich über die Situation der Roma informiert. Da herrschen Zustände, die ich im Europa des 21. Jahrhunderts nicht erwartet hätte. Diese Menschen haben größtenteils keine Lebensgrundlage. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir zuerst die Fluchtursachen analysieren müssen. Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, in ihrer Heimat zu bleiben, sie brauchen einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist schwierig, weil der Antiziganismus in diesen Ländern sehr stark ist. Den zu bekämpfen, ist eine Mammut-Aufgabe, aber wir müssen sie anpacken.

Auf ihrem Parteitag in Dresden (Februar 2014) wählten die Grünen Romeo Franz zum Kandiaten für die Europawahl, Foto: Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz
Romeo Franz nach seiner Kür zum Kandidaten für die EuropawahlBild: Bündnis90/Die Grünen-Rheinland-Pfalz

Wenn Sie ins Europaparlament gewählt werden, was wollen Sie dann erreichen?

Ich möchte, dass wir aus der Situation des unsichtbaren Volkes herauskommen, dass wir sichtbar werden. Ich möchte darüber aufklären, dass Sinti und Roma keine homogene, sondern eine heterogene Gruppe sind. Sie sind Teile der jeweiligen Gesellschaften in verschiedenen Ländern, werden aber bis heute ausgegrenzt. Das ist ein Fehler.

Geht es Ihnen in erster Linie um Aufklärung?

Es wäre toll, wenn dieses Thema auch in den Schulen behandelt würde. Außerdem kann es nicht sein, dass Zuwanderung in der EU zum Teil stark negiert wird. Wir brauchen Zuwanderung und sind als Deutsche besonders verpflichtet, Zuwanderern human zu begegnen. Menschen, die Hilfe brauchen, muss geholfen werden. Asylbewerber, die hierherkommen, müssen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Die dürfen nicht mit vier oder fünf Personen in einem Zimmer eingepfercht und zur Untätigkeit verdammt werden. Das ist keine Teilhabe und keine Integration.

Welche Wirkung zeigt Ihr persönliches politisches Engagement bisher?

Meine Partei hat das Thema aufgegriffen und treibt es voran. In den Reihen der Grünen gibt es prominente Politiker, die voll und ganz hinter dem Thema stehen, zum Beispiel Claudia Roth oder Irene Alt, die Integrationsministerin von Rheinland-Pfalz. Für uns Sinti ist wichtig, dass man sieht: Diese Menschen stehen hinter uns, obwohl sie selbst nicht zu unserer Minderheit gehören. Wir brauchen beides - sowohl Vorbilder in unseren eigenen Reihen als auch Unterstützer in der Mehrheitsgesellschaft.

Der Musiker Romeo Franz (47) war Meisterschüler des großen Sinti-Geigers Schnuckenack Reinhardt. Seit mehr als 20 Jahren ist er mit seinem eigenen Ensemble erfolgreich. Für das Berliner "Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas" komponierte er die Melodie "Mare Manuschenge". 2010 schloss Franz sich den Grünen an und kandidiert jetzt als erster deutscher Sinto für das Europaparlament.

Die Fragen stellte Nina Werkhäuser.