Raus aus der Senke?
15. August 2019WM-Boom? Vision? Masterplan? Fehlanzeige! Während in anderen Nationen der Frauenfußball aufblüht und Millionen fließen, wird die einstige Vorzeige-Liga in Deutschland zum runden Jubiläum stiefmütterlich behandelt.
Sieben Wochen nach dem enttäuschenden Viertelfinal-K.o. in Frankreich startet die Bundesliga am Freitag in ihre 30. Saison - mit neuem TV-Deal und Namenssponsor, aber mit den alten Problemen in puncto Aufmerksamkeit und Professionalisierung.
Mehr Professionalisierung geht offenbar nur über den Weg, dass immer mehr Spitzenteams der Frauen international wie national bei den Männer-Erstligisten unterschlüpfen - wie es der 1. FFC Frankfurt 2020/21 bei der Eintracht machen wird.
"Ökonomisch gesehen zwei völlig verschiedene Sportarten"
Dass es der Frauenfußball in naher Zukunft auf die ganz große Bühne schafft, hält André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing, dennoch für unwahrscheinlich. "Frauen und Männer teilen sich beim Fußball zwar Spielfeld, Regeln und den Ball, aber ökonomisch gesehen sind es zwei völlig verschiedene Sportarten", sagte der Marketing-Professor der Deutschen Presse-Agentur.
Exemplarisch für die mangelnde Aufbruchstimmung: Die Eröffnungs-Pressekonferenz ohne Esprit Anfang der Woche in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Siegfried Dietrich, Manager des 1. FFC Frankfurt, legte dort noch am deutlichsten den Finger in die Wunde: "Wir wollen aus der Senke herauskommen - was die Nationalmannschaften und die Bundesliga angeht. Wir brauchen Gesichter und Persönlichkeiten."
Doch diese müssten mit professionellen Bedingungen in Deutschland gehalten und sorgfältig vermarktet werden. Immer mehr Spielerinnen wandern ins Ausland ab. In diesem Sommer gingen auch die Nationalspielerinnen Sandra Däbritz (Paris Saint-Germain) und Leonie Maier (Arsenal WFC). Seit 2013/2014 sind die Zuschauerzahlen in der Bundesliga rückläufig, zuletzt kamen im Durchschnitt nur 833 Besucher.
Die TV-Präsenz erhöht sich
Immerhin werden die Freitagabend-Spiele künftig bei Eurosport zu sehen sein. Zudem verhandelt der DFB mit der ARD, damit in der Samstag-Sportschau nicht nur Spiele der Männer von Liga 1 bis Liga 3 gezeigt werden. Geplant ist, dass die Fußballerinnen regelmäßiger Bestandteil der Sendung sind.
Für die Auftaktpartie am Freitag zwischen Frankfurt und Turbine Potsdam gibt es knapp 6000 Karten. Noch längst sind nicht alle weg.
Zum Vergleich: Das Eröffnungsspiel der Männer zwischen Bayern München und Hertha BSC werden über 75.000 Zuschauer live im Stadion erleben. "Männerfußball hat sich in der deutschen Sportlandschaft zu einer Monokultur entwickelt", sagte Bühler. "Frauenfußball ist aus ökonomischer Perspektive nur ein Nebenprodukt."
Alle Anstrengungen, diesem Sport eine größere Bühne zu bieten, brachten bisher nicht den erwünschten Erfolg - trotz der WM-Triumphe der DFB-Auswahl 2003 und 2007 sowie des Olympiasiegs 2016. Nach dem WM-Viertelfinal-Aus im Juni in Frankreich kann die Bundesliga kaum Schwung aus dem Turnier mitnehmen.
"Die WM war ein Schuss vor den Bug"
"Wir sind momentan vielleicht in einer Senke drin, aus der wir aber ganz sicherlich mit dem Engagement, das wir zeigen, herauskommen", sagte Frankfurts Manager Dietrich.
"Die WM war schon ein Schuss vor den Bug. Wäre die deutsche Mannschaft ins Finale eingezogen, hätte vielleicht Euphorie entstehen können", sagte Ex-Weltmeisterin Nia Künzer in ihrer "Kicker"-Kolumne.
Eine sich andeutende Veränderung in der Klubstruktur könnte dem Frauenfußball Auftrieb geben. "Die großen Vereine sagen immer häufiger, dass nicht nur der Männerfußball, sondern auch Frauen- und Mädchenfußball zur Vereinsstruktur gehören. Der Vorteil ist, dass bei den Männervereinen ganz andere Strukturen vorhanden sind", sagte Dietrich.
Klassische Frauenfußballvereine würden immer seltener. Davon, dass die Männer-Bundesligisten verpflichtet werden, auch ein Frauenteam aufzunehmen, hält Ralf Kellermann als Sportlicher Leiter des VfL Wolfsburg nichts.
Alle Männerklubs sollen Frauen-Team haben
"Aber vielleicht wäre ein Gespräch mit den Verantwortlichen auf einer gewissen Ebene hilfreich, die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Aspekte zu erörtern", sagte er der "Frankfurter Rundschau". "Wenn man einmal erklärt, wie marginal der Aufwand für solche Vereine ist, tritt vielleicht ein Umdenken ein."
Dietrichs Ziel ist erst einmal: "Die Bundesligaspielerinnen sollen zukünftig von ihrem Beruf leben können." Um die Liga voranzubringen, wird es zukünftig einen Ausschuss beim DFB geben. Erster Vorsitzender soll Dietrich werden. Der Macher vom Main, der im eigenen Klub an der geplanten Fusion mit Eintracht Frankfurt arbeitet, will zukünftig alle Topklubs unter dem Dach von Männer-Bundesligisten sehen und hofft auf einen dritten Startplatz in der Champions League für die Bundesliga.
Der umtriebige Funktionär ist davon überzeugt, "dass in zehn Jahren alle Männer-Bundesligisten auch Frauenfußball betreiben".
al (mit dpa und sid)