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Gesellschaft

Kampf gegen verbale sexuelle Belästigung

Tatsiana Weinmann
15. März 2021

Der Tod der Londonerin Sarah Everard hat die Debatte erneut angefacht: Frauen fühlen sich in der Öffentlichkeit nicht sicher. Auch, weil Catcalling nicht bestraft wird. Das will Antonia Quell ändern.

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Catcalling | Anmache in der Stadt
Bild: Christin Klos/dpa/picture alliance

"Ey, Blondie", "Schnecke, komm doch mal rüber" - solche Sprüche auf der Straße gegenüber Frauen betrachten viele Männer immer noch als Kompliment. Doch durch Kuss- und Pfeifgeräusche oder anzügliche Gesten fühlen sich Frauen oft belästigt. Auf Instagram nennen sie Beispiele für Catcalling und mit bunten Ankreide-Aktionen machen sie inzwischen in vielen Städten auf das Problem aufmerksam. Dabei schreiben Frauen ihre schlimmsten Erlebnisse mit Kreide auf die Straße.

Catcalling, deutsch etwa "Katzengeschrei", bezeichnet sexuell anzügliche und unangemessene Kommentare, das Hinterherrufen sowie Nachpfeifen durch Männer gegenüber Frauen. Diese Art der Belästigung durch Fremde geschieht sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Internet in Form von unerwünschten Äußerungen gegenüber Personen, die als Objekt der Begierde wahrgenommen werden.

Bislang bleiben anzügliche sexuelle Bemerkungen von Männern gegenüber Frauen in Deutschland ohne Folgen. Doch das will die 20-jährige Studentin Antonia Quell aus Fulda ändern. Im August 2020startete sie eine Online-Petition, die sich an die Bundesministerien für Justiz und Familie und allgemein an die Bundesregierung richtet. Mehr als 65.000 Menschen haben sie bereits unterzeichnet.

In Deutschland kein eigener Straftatbestand

"Nicht jeder Mann macht es, aber jede Frau kennt es. Catcalling, so wird verbale sexuelle Belästigung genannt. Catcalls sollten nicht mit Komplimenten verwechselt werden. Catcalling ist vielmehr das Ausnutzen von Dominanz und Macht", heißt es in der Petition.

Antonia Quell
Antonia Quell hat eine Petition gegen Catcalling initiiertBild: Antonia Quell

Verbale sexuelle Belästigung ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand. Voraussetzung für sexuelle Belästigung ist sexuell bestimmter Körperkontakt. Die Petition fordert daher, dass verbale sexuelle Belästigung einen eigenen Platz im Gesetz bekommt.

Das deutsche Strafgesetzbuch sieht Strafen für Beleidigung vor: ein Bußgeld oder in besonderen Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. In einigen Fällen gilt dieser Gesetzesartikel auch bei verbaler sexueller Belästigung auf der Straße. "Das ist der Fall, wenn die Äußerung ausdrücklich herabsetzend ist", sagt Anja Schmidt von der Universität Halle-Wittenberg - beispielsweise, wenn eine Frau oder eine transsexuelle Person zum Sexualobjekt herabgewürdigt wird.

Aber Sprüche wie "Du hast eine schöne Figur!" fallen nicht unter diesen Artikel. Sie können nicht als sexuelle Belästigung eingestuft werden, da nach jetziger Definition nur bei physischem Kontakt eine Straftat vorliegt. Die Lage wäre klarer, wenn Catcalling als separate Straftat betrachtet würde, meint die Juristin, zu deren Forschungsschwerpunkt auch das Sexualstrafrecht gehört.

Die Aktivistin Antonia Quell schlägt vor, Catcalling-Fälle mit Bußgeldern zu bestrafen, wie in Frankreich, wo diese Art der verbalen Belästigung schon seit 2018 strafbar ist und mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet wird. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden ist Catcalling illegal.

Belästigung nicht mit Flirt zu verwechseln

Laut einer Umfrage der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) wurden zwei Drittel der Frauen in Deutschland in den letzten zwei Jahren mindestens einmal auf der Straße mit Pfiffen konfrontiert, über 40 Prozent mit Sprüchen, Witzen, sexistischen Beleidigungen oder sexuellen Gesten. Ein Drittel von ihnen sind Frauen unter 25 Jahren.

"Es gibt unterschiedliche Fälle. Natürlich freut man sich über manche Formen der Aufmerksamkeit. Wenn eine Frau sich darüber freut, ist das ihr gutes Recht", betont Antonia Quell im Gespräch mit der DW. Aber Menschen, denen das unangenehm sei und die belastende Erfahrungen gemacht hätten, müsse man Gehör schenken. "Über die Jahre merkt man solche Vorfälle und was auch im Freundeskreis erzählt wird. Ich glaube, dass die meisten Frauen, die in der Stadt wohnen, dieses Phänomen kennen", so die Aktivistin.

Auch Antonia selbst bekam mehr als einmal belästigende Sprüche zu hören. So an einem Abend, als sie mit dem Fahrrad nach Hause fuhr. Ein Auto mit zwei Männern holte sie ein. Einer von ihnen reichte eine Flasche aus dem Fenster und bot einen Schluck an. Doch Antonia riet beiden, das Weite zu suchen. Darauf bekam sie Beleidigungen zu hören. Solche Belästigungen werden oft auch von Aggression begleitet.

Debatte um Nachvollziehbarkeit der Beweislage

Antonia Quell möchte die Sicht auf Catcalling in Deutschland verändern. Vor allem die Erkenntnis, dass solches Verhalten gesetzwidrig ist, ist ihrer Meinung nach entscheidend. In Kommentaren unter Antonias Petition zeigen sich viele Menschen mit ihr solidarisch.

Aber es gibt auch Kritiker. Manch einer bezweifelt, dass die deutsche Gesellschaft dafür reif ist. Andere finden, das Problem sei Interpretationssache, da Belästigung subjektive Wahrnehmung sei. Außerdem würde ein solcher Straftatbestand Raum für Misstrauen, Drohungen und Rache geben. Andere fürchten Schikanen gegen Männer, die mit Catcalling nichts zu tun haben. Diskutiert wird auch über die richtige Definition von verbaler sexueller Belästigung. Viele bezweifeln zudem, dass Belästigung auf der Straße bewiesen und Täter herangezogen werden können.

USA Aktion gegen Catcalling in New York
Ankreide-Aktion gegen Catcalling in New YorkBild: Spencer Platt/Getty Images

Antonia Quell meint, das Problem der Nachvollziehbarkeit der Beweislage bestehe bei fast jeder Straftat, erst recht bei Beleidigung oder sexueller Belästigung. Das sei kein Gegenargument. "Es ist nicht meine Aufgabe zu überlegen, wie man das verfolgen könnte. Das ist Aufgabe der Regierung, von Gesetzgebern", sagt sie.

Der Juristin Anja Schmidt zufolge kommt es auf die Situation und die Form der Äußerung an. Wenn sie nur mündlich erfolgt, sind Aussagen von Zeugen und Zeuginnen oder Aufzeichnungen hilfreich. Wenn soziale Medien für die Äußerungen genutzt werden, ist deren Dokumentation einfacher.

"Zudem braucht es eine Sensibilisierung der Ermittlungsbehörden und Gerichte für diese Formen geschlechtsspezifischer nicht körperlicher Gewalt", betont sie.

Petition nimmt bereits erste Hürde

Schmidt findet, dass jenseits effektiver rechtlicher Sanktionierung gesellschaftliche Positionierungen wie die Petition gegen Catcalling oder die Ankreide-Aktionen, die auf Instagram dokumentiert werden, wichtig sind, um das Bewusstsein für diese Form geschlechtsspezifischer Missachtung zu schaffen.

Die Petition ist bereits von einer ausreichenden Anzahl von Personen unterzeichnet. Jetzt wird sich ein Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag mit dem Thema befassen. Sollte er zum Schluss kommen, dass die jetzigen Gesetze im Bezug auf Catcalling unzureichend sind, kann er eine Debatte im Parlament anstoßen.

Eine ähnliche Kampagne hatte vor kurzem Erfolg. Im Juli wurde Upskirting, also fotografieren und filmen unter dem Rock, vom Bundestag als Straftat eingestuft. Dafür drohen nun entweder eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Gefängnis. Auch hier begann alles mit einer Online-Petition von zwei Frauen aus Süddeutschland.

Adaption: Markian Ostaptschuk