Freibad trotz Corona: "Großes Experiment"
22. Mai 2020Helen Meier hat es geschafft. Die 38-Jährige ist eine von 500 Personen, die ein Ticket für einen vierstündigen Aufenthalt im Panoramabad Rüngsdorf in Bonn ergattert hat. Noch vor rund einer Stunde ist das Personal durch die leeren Umkleiden und Sanitäranlagen des ältesten Freibads der Stadt gezogen, um sie zu desinfizieren. Jetzt steht Helen Meier bei strahlendem Sonnenschein im Badeanzug im Sandspielbereich neben ihrem eineinhalb-jährigen Sohn und freut sich. "Wir haben keinen Balkon und keinen Garten, wir wohnen beengt mitten in der Stadt und ich habe zwei Kinder." Für die seien die vergangenen Wochen ohne Kontakt zu Freunden und Vereinssport schwierig gewesen. "Ich bin unglaublich erleichtert", sagt Meier über den Start der Freibadsaison.
Auch Kenan Asceric kann es kaum erwarten, wieder schwimmen zu gehen. Der 22-jährige Student steht mit einem Freund nahe der geöffneten Imbissbude. "Sonst könnte man es, glaube ich, während der Sommerzeit nicht aushalten. Vor allem ist der Urlaub jetzt relativ stark eingeschränkt. Ich weiß nicht, wie die Lockerungen sein werden, aber bei 35 Grad will man nicht zu Hause hocken."
Abstandsregeln und Zugangsbeschränkungen
Das "Rüngsi", wie das Bad von den Bonnern liebevoll genannt wird, gehört zu den ersten Freibädern in Deutschland, die im Rahmen der Corona-Lockerungen wieder ihre Pforten öffnen. In den kommenden Wochen dürfen in mehreren Bundesländern die Bäder wieder den Betrieb aufnehmen. Doch längst nicht alle sind ausreichend vorbereitet, um die mitunter kurzfristig beschlossenen Auflagen der Landesregierungen zum Stichtag umzusetzen. In Nordrhein-Westfalen etwa werden nach Schätzung der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen (DGfdB) bis zum kommenden Montag nur ein Fünftel der Bäder öffnen.
Das Panoramabad Rüngsdorf konnte noch rechtzeitig auf Vordermann gebracht werden. Bis zum Tag vor der Eröffnung liefen die Vorbereitungen auf den neuen Alltag auf Hochtouren: Markierungen mussten auf dem Boden aufgeklebt, Hinweisschilder aufgestellt, Sitzbänke abgeklebt und Desinfektionsspender angebracht werden. "Das war viel Arbeit", sagt Marta Wadolny, die an diesem Nachmittag die Einsätze des Personals koordiniert und immer wieder zwischen den Schwimmbecken und dem Eingangsbereich mit Mitarbeitern und Journalisten spricht. Dass die Freibadsaison nun doch im Schatten der Corona-Krise starten kann, stößt bei ihr auf gemischte Gefühle. "Auf der einen Seite ist man zufrieden, auf der anderen Seite haben wir ja alle immer noch Sorgen." Jeder müsse auf sich achten und sich schützen. "Das betrifft aber alle Menschen, nicht nur uns als Mitarbeiter."
Infos zur Nachverfolgung von Kontakten
Der Sprungturm ist im Betrieb, Kinder stehen vor dem Imbiss oder der Wasserrutsche an. Die Kulisse erinnert an einen normalen Freibadtag - und doch ist vieles anders. Die Jugendlichen, Paare, Familien und Senioren, die sich auf den Liegewiesen sonnen, haben reichlich Platz. Während vor Corona an heißen Tagen bis zu 4000 Menschen das Bad besuchten, dürfen sich nun maximal 500 Personen in Zeitfenstern von mehreren Stunden zeitgleich dort aufhalten.
Dafür müssen sie sich vorab online Tickets kaufen und ihre Kontaktdaten zur Kontaktnachverfolgung angeben. Die Vorgabe des Landes NRW, Kundenkontaktdaten zu dokumentieren, sei für einige Freibäder eine Herausforderung sei, sagt DGfdB-Geschäftsführer Christian Ochsenbauer. "Das wurde von einigen sehr schnell realisiert, weil die schon die entsprechende Soft- und Hardware hatten und nur Ergänzungen brauchten, weil ja viele moderne Badbetriebe in den großen Städten schon lange Buchungssysteme online haben für ihre Kunden. Andere arbeiten jetzt noch daran und müssen jetzt gucken, wie sie das alles umsetzen können. "
Respektvollerer Umgang der Besucher
Im Panoramabad Rüngsdorf weisen Plakate und Informationstafeln auf die Abstandsregeln hin. Die gelten auch im Wasser, in dem nach Angaben des Umweltbundesamtes Viren durch die Zugabe von Chlor inaktiviert werden. Im Sportbecken sind Leinen gespannt, hier sollen schnelle Schwimmer außen schwimmen, langsamere in der Mitte. Sammelumkleiden sind geschlossen, auch nicht jede Einzelumkleide ist nutzbar. In einigen Bereichen gilt eine Maskenpflicht.
Helen Meier fühlt sich durch die Maßnahmen nicht eingeschränkt - im Gegenteil. "Ich finde es gut, dass mir niemand so arg auf die Pelle rückt. Ich finde es gut, dass wir den Abstand haben und ich habe das Gefühl, der Umgang miteinander ist respektvoller. In den letzten Jahren war es hier so voll, dass man sich bedrängt gefühlt hat und man hatte das Gefühl, jeder macht, was er will."
Auch Chiherene Laakoubi findet es "angenehm", dass es weniger Besucher gibt. Die 21-Jährige ist mit ihrer ganzen Familie gekommen. Die neue Situation im Freibad sei "seltsam", aber man könne man sich an die Maßnahmen gewöhnen, glaubt sie. "Mit dem Abstandhalten ist es manchmal schwierig, denn man geht ja aneinander vorbei, aber es ist möglich, wenn man darauf achtet." Ihre Schwester Jasmin hatte sogar strengere Regeln erwartet, zum Beispiel "eine Art von Barrieren oder dass man sich nur an bestimmten Stellen aufhalten darf".
Testphase für Pandemie-Saison
Das Konzept der Stadt für die Freibadöffnungen unter Pandemiebedingungen soll laut einer Pressemitteilung "ständig der aktuellen Lage angepasst" werden. Auch der Personalaufwand könnte steigen, sagt Stefan Günther, Leiter des Sport- und Bäderamts. So könnten im Lauf der Saison etwa ein Sicherheitsdienst oder externes Reinigungspersonal zum Einsatz kommen. Die Öffnung des Rüngsdorfer Freibads ist ein Testlauf für die Öffnung weiterer Bonner Bäder ab Ende Mai. Auch im benachbarten Köln ist mit Blick auf die ersten offenen Freibäder von einer "Testphase" die Rede. "Das ist für uns alle eine große Herausforderung und ein großes Experiment", räumt die Bonner Sport- und Kulturdezernentin Birgit Schneider-Bönninger ein.
In Bonn möchte man nun unter anderem nach Lösungen suchen, wie auch weniger Internet-affine Menschen gut an Eintrittskarten kommen - etwa durch Zusammenarbeit mit Schwimmbad-Fördervereinen. Schichtleiterin Marta Wadolny ist optimistisch, dass die Saison gut verlaufen wird, "wenn es so bleibt, wie es heute gelaufen ist. Das kann man schön im Griff haben. Aber wenn noch Lockerungen dazukommen oder mehr Leute reinkommen, dann wird es natürlich schwierig, die Hygieneparameter aufrechtzuerhalten."
Helen Meier und Cherihene Laakoubi wollen trotz der Corona-Pandemie weiter ins Freibad gehen. "Aber nur einmal oder zweimal im Monat" - damit auch genug andere Menschen die Chance auf ein Ticket hätten, sagt Laakoubi. Ihre Familie sei groß, für den Eröffnungstag im "Rüngsi" habe sie gleich sieben Karten gekauft.