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Freizügigkeit auf Raten

Steffen Leidel26. April 2004

Deutschland will seine Grenzen erst nach langen Übergangsfristen für Arbeitnehmer aus Osteuropa öffnen. Mit der eingeschränkten Freizügigkeit könnten Deutschland dringend benötigte qualifizierte Fachkräfte entgehen.

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Werden bald nur noch Bewerber aus Osteuropa eingestellt?Bild: AP

Vor allem Deutschland und Österreich drängen auf die eingeschränkte Freizügigkeit von Arbeitnehmern nach der Osterweiterung. Damit möchte man vor allem den Ängsten von Arbeitnehmern und Gewerkschaften in Deutschland entgegentreten, die ohnehin schon angespannte Lage am deutschen Arbeitsmarkt könnte durch den Zustrom billiger Arbeitskräfte aus dem Osten noch verschärft werden. In den Grenzregionen zu Tschechien und zu Polen fürchten vor allem kleine Betriebe aus dem Handwerksbereich die Billigkonkurrenz aus dem Osten.

Hoher Anpassungsdruck

"An der Grenze zu Tschechien gibt es ein gewaltiges Lohn- und Preisgefälle, das momentan bei eins zu sieben liegt", sagt der Geschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken, Thomas Koller, im Gespräch mit DW-WORLD. "Würden wir die sofortige Freizügigkeit zulassen, kämen wir unter einen hohen Anpassungsdruck, dem wir nicht gewachsen sind". Dem Handel böten sich durchaus Chancen mit der Osterweiterung, nicht aber dem Handwerk oder dem Baugewerbe. "Da könnten wir unsere Produktivität, Innovationsfähigkeit oder Qualität noch so steigern. Unsere Betriebe hätten gegen die billigen Preise keine Chance", so Koller.

Flexible Übergangsfristen

Die Übergangsregelungen, für die sich die Bundesregierung bei der Kommission einsetzte, tragen deshalb auch die Handschrift der 28 Handwerkskammern, die sich in den Grenzgebieten zum Interessensverband Arge 28 zusammengeschlossen haben. Mit der Kommission hat man sich schließlich auf flexible Übergangszeiten von maximal sieben Jahren bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern geeinigt.

Die Mitgliedstaaten können in dieser Zeit den Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt selbst regeln. Allerdings überprüft die Kommission bereits nach zwei Jahren, ob die Einschränkung der Freizügigkeit noch Bestand haben muss. "Die Staaten, die die volle Übergangszeit in Anspruch nehmen wollen, müssen das auch begründen", so ein Sprecher der Vertretung der Kommission in Deutschland.

Fachkräfte warten nicht

Bislang sieht es so aus, dass nur Deutschland, Österreich und vielleicht Italien die Übergangfristen in Anspruch nehmen werden. Andere Staaten wie Irland oder Schweden haben bereits angekündigt, ihre Grenzen mit dem Beitritt der Kandidaten zu öffnen. Sie hoffen, dass vor allem qualifizierte Fachkräfte aus dem Osten zu ihnen kommen. Zwischen 700.000 und 900.000 Menschen wollen nach der Osterweiterung in die alten EU-Staaten auswandern, heißt es im so genannten Migrationsreport.

Unter den Menschen, die emigrieren wollen, sind auch zahlreiche qualifizierten Fachkräfte. "Die tüchtigen Menschen werden nicht warten bis die Übergangsfristen vorüber sind. Die gehen dann eben in andere Länder, zum Beispiel in die USA oder nach Australien. Dort sind sie willkommen. Für Deutschland wäre dieses Potential dann aber verloren", sagt Rainer Münz, Professor für Bevölkerungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und einer der Herausgeber des Migrationsreports zu DW-WORLD.

Keine Auswanderungswelle

Langfristig sei nicht mit großen Wanderungsbewegungen zu rechnen. Münz rechnet für die nächsten 30 Jahre mit einem Potential von rund vier Millionen Menschen, die aus den neuen Mitgliedstaaten abwandern wollen. "Das ist keine große Summe", so Münz. Bereits in zehn Jahren, wenn Deutschland wegen seiner demographischen Entwicklung auf Zuwanderung angewiesen sei, sei aus den osteuropäischen Ländern nicht mehr viel zu erwarten. "Dann müssen diese Länder wegen der Überalterung ihrer Bevölkerung selbst um Zuwanderer kämpfen", so Münz. Die Übergangsfrist hält der Experte für eine "innenpolitisch gedachte Maßnahme". Mittel- und Langfristig seien die Übergangsfristen nicht die beste Lösung, aber es gehe eben auch darum, Akzeptanz in der Bevölkerung für das historische Projekt der Osterweiterung zu gewinnen.