Fremdenhass: Sachsens Integrationsproblem?
25. August 2015Der Internethetze gegen Flüchtlinge folgt ein gewaltbereiter Mob auf offener Straße - er zieht sich von Meißen über Freital, Heidenau bis nach Hoyerswerda. Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen gegenüber Zuwanderern nehmen zu, besonders in Ostdeutschland. Dort wurden 2014 fast die Hälfte aller rassistischen Gewalttaten begangen (61 von insgesamt 130), obwohl nur 17 Prozent der deutschen Bevölkerung dort leben. Die wachsende Zahl Geflüchteter und anhaltende Attacken gegen Asylbewerber lassen erahnen, dass die Zahl der Übergriffe 2015 nicht rückläufig sein wird. Aber warum scheint der Fremdenhass im Osten Deutschlands, vor allem in Sachsen, besonders groß zu sein?
Ohne Zweifel: Pegida hat in Sachsen eine fremdenfeindliche Stimmung angeheizt. Und nicht zu vergessen: Auch in westdeutschen Städten und Dörfern brennen geplante Flüchtlingsunterkünfte, zum Beispiel in Bayern oder zuletzt in Baden-Württemberg. Doch in Sachsen scheint sich die Wut gegen Fremde besonders heftig zu entladen. Nicht nur der braune Mob - mit Bierflaschen, Feuerwerkskörpern und lauten Parolen bewaffnet - marschiert durch die Straßen ostdeutscher Städte. Begleitet wird er von älteren besorgten Mitbürgern und jungen Familien. Eine Entwicklung, die nicht unterschätzt werden darf, meint der Psychoanalytiker und Buchautor Hans-Joachim Maaz gegenüber der Deutschen Welle und warnt: "Man darf diese Problematik, die sich an den Flüchtlingen entzündet, nicht auf eine kleine Zahl von Radikalen reduzieren."
Fehlende Integration - von Ostdeutschen
Dies sei eine Problematik, über die in der Öffentlichkeit nicht gerne diskutiert werde. "In Ostdeutschland gibt es eine große Zahl 'Vereinigungs-Verlierer', die nach der Wende 1989 nicht gut integriert wurden. Diese Vereinigungs-Schwierigkeit setzt sich durch Generationen in den Familien fort. Denn auch die neue Generation ist Opfer der sozialen Verhältnisse oder des Umfeldes", erklärt Maaz. In seinem nach der Wiedervereinigung veröffentlichtem Buch "Gefühlsstau" beschreibt der Psychoanalytiker die Enttäuschung der ostdeutschen Bevölkerung über Erwartungen, die nach der Wende nicht erfüllt worden wären.
Diese Kränkungen oder seelischen Verletzungen sind laut Maaz ein Nährboden für Wut und Hass. "Der Hass sucht ein Objekt, an dem man sich ungefährlich abreagieren kann. Asylsuchende sind dafür geeignete Objekte, weil sie in einer besonderen sozialen Belastungssituation sind", bedauert Maaz. Die Flüchtlingsproblematik sei ein reales Problem in ostdeutschen Städten: Überforderte Kommunen und mangelnde Kommunikation mit den Mitbürgern verschärften das Problem.
Der Politologe Werner Patzelt sieht die tiefe Verwurzelung der Sachsen in ihrer Heimat als Grund für wachsende Sorgen und Ängste gegenüber Fremden. "Die meisten Sachsen identifizieren sich stark mit ihrem Land und wollen es wieder so schön haben wie vor der DDR- und Nazizeit. Dem kommt aber, wie es ihnen scheint, die Zuwanderung in die Quere, wobei sehr viele ganz besonders muslimische Migranten fürchten", erklärte Patzelt. Derlei "Behinderung des sächsischen Wiederaufstiegs zu einem prosperierenden Land" akzeptierten viele Menschen nicht und versuchten, das bereits in den Anfängen abzuwehren.
Patzelt: CDU für viele keine Alternative
Lange hat die sächsische Landesregierung diesen Hass unterschätzt, wenn nicht sogar ignoriert. Seit Anfang des Jahres bejubeln Tausende Pegida-Anhänger islam- und ausländerfeindliche Parolen. Sachsens konservativer Ministerpräsident Stanislaw Tillich widersprach noch im Januar Bundeskanzlerin Angela Merkel mit seinem Statement: Der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) gewann durch ihren islamfeindlichen und Anti-Asyl-Wahlkampf Sitze im sächsischen Parlament. Nach den jüngsten Ausschreitungen zeigt sich Tillich empört über Sachsens Rechte.
Patzelt sieht in der sächischen Politik eine Mitschuld. Die für die "rechte politische Spielfeldhälfte zuständige CDU" bemühe sich zu wenig darum, die Gewinnbaren vom rechten Rand an eine vernünftige Partei zu binden, sagt er gegenüber der Deutschen Presseagentur. "Zunächst hat sie der NPD freien Raum gelassen, später der AfD. Und so kam es, dass viele den Rechtsradikalen überlassen wurden, die zwischen der CDU und dem rechten Rand auf der Kippe standen."
"Problem nicht bagatellisieren"
Noch vor den Ausschreitungen in Sachsen überlegte der Dresdner Bürochef der Wochenzeitung "Die Zeit", Stefan Schirmer, unter der Überschrift "Dann geht doch!", ob der Freistaat den "Säxit" einleiten und somit die Bundesrepublik verlassen solle: "Wenn die vielen Anständigen die relativ wenigen Herzlosen - die das Bild dominieren - nicht einzuhegen vermögen: Dann sollen die Sachsen halt ihr eigenes Land aufmachen." Auch in einem Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung geht es um die sächsische Minderheit radikaler Ausländerfeinde. So stellt der Autor aber klar: "Die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen ist auch in Sachsen groß." Überhaupt sei es "Unsinn", dass "der Sachse ausländerfeindlicher sei als der Rest der Republik".
Der Blickwinkel auf bestimmte Regionen sei zwar notwendig, meint auch Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz, aber er dürfe nicht einseitig dazu dienen, das Problem zu bagatellisieren. Das Problem des Rechtsradikalismus sei kein spezifisch ostdeutsches, sondern ein bundes- und europaweites "Versäumnis unserer Vergangenheit", betont er.