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Freude mit Wermutstropfen

Das Interview führte Steffen Leidel4. Dezember 2003

Wolfgang Kaleck ist Anwalt und Mitglied der "Koalition gegen Straflosigkeit". Er vertritt Angehörige deutscher Opfer der argentinischen Militärdiktatur. Im DW-WORLD-Interview bewertet er die Entscheidungen aus Nürnberg.

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Für Wolfgang Kaleck hat sich die lange Arbeit ein Stück weit gelohnt

DW-WORLD: Wie ist die Entscheidung der Nürnberger Justiz, Strafanträge gegen Militärs wie Videla zu stellen, bei Ihnen angekommen?

Wolfgang Kaleck: Es war nur zum Teil eine Überraschung für uns. Wir hatten ja schon seit langem gehofft, dass die Staatsanwaltschaft in Nürnberg Haftbefehl gegen Videla erlässt. Wir hatten dafür auch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht beauftragt, ein Gutachten darüber zu erstellen, unter welchen Bedingungen Haftbefehl wegen Mordes gegen Videla und anders Militärs von Deutschland aus erlassen werden kann. Die Koalition gegen Straflosigkeit freut sich aber über die Entscheidung und wertet sie als Erfolg ihrer Arbeit. Als wir uns vor fünf Jahren das Ziel gesetzt haben, die Straflosigkeit in Argentinien von Deutschland aus zu bekämpfen, hätten wir nie gedacht, dass wir soweit kommen.

Was für eine Bedeutung hat die Entscheidung für die Menschen in Argentinien?

In Argentinien gibt es Hinweise, dass nach der Aufhebung der Amnestiegesetze die Straflosigkeit dem Ende zugeht. Allerdings trauen viele Argentinier dem Frieden nicht. Politisch hat die Nürnberger Justiz deshalb zu einem sehr guten Zeitpunkt gehandelt. Ihre Entscheidung ist eine große Unterstützung für die Menschen in Argentinien, die sich für ein Ende der Straflosigkeit einsetzen.

Als nächster Schritt liegt es nun bei der Bundesregierung, die Auslieferung zu beantragen. Wird sie das tun?

Ich habe da nicht die geringsten Bedenken. Die Bundesregierung hat uns immer wieder gesagt und signalisiert, dass sie uns in unserer Arbeit unterstützt.

Wie glauben Sie wird die argentinischen Justiz und Regierung auf Auslieferungsanträge reagieren?

Das ist die Probe aufs Exempel, ob sich in Argentinien wirklich etwas in punkto Straflosigkeit unter Präsident Kirchner verändert hat. Mal sehen, wie die Gerichte auf die Auslieferungsanträge reagieren. Das Parlament hat ja unter Kirchner die Amnestiegesetze aufgehoben, ebenso wie ein Präsidialdekret, das die Auslieferung von Militärs bislang verhinderte. Auf der Basis dieses Dekrets war ja auch die Auslieferung von General Suárez Mason, gegen den die deutsche Justiz schon 2001 einen Haftbefehl erlassen hatte, abgelehnt worden. Das gibt es nicht nun nicht mehr. Allerdings wird Kirchner natürlich eine Verurteilung der Täter im eigenen Land bevorzugen.

Es gab für Sie heute auch eine schlechte Nachricht: die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen den ehemaligen Produktionschef von Mercedes-Benz Argentinien eingestellt. Er soll Betriebsräte an Militärs denunziert haben.

Ich kenne bisher nur die Pressemitteilung der Nürnberger Justiz zur Einstellung des Verfahrens und habe die detaillierte Entscheidung nicht lesen können. Wir glauben, dass die Nürnberger Staatsanwälte nicht alle Möglichkeiten der Ermittlungen ausgeschöpft haben. So gibt es noch wichtige Zeugen, die nicht vernommen wurden. Ich verstehe auch nicht, dass sie das Verfahren zu diesem Zeitpunkt eingestellt haben. Nächste Woche wird DaimlerChrysler einen Bericht des Völkerrechtlers Christian Tomuschat veröffentlichen, der die Vorgänge in dem Werk bei Buenos Aires untersucht hat. Die Veröffentlichung hätten die Staatsanwälte ja noch abwarten können. Wir werden aber in jedem Fall, Rechtsmittel gegen die Einstellung einlegen und ich bin ganz sicher, dass die Ermittlungen dann wieder aufgenommen werden.