"Wir lassen uns das nicht vermiesen"
31. Dezember 2016Ja, der Andrang sei doch wesentlich geringer als in den vergangenen Jahren. Aber nein, verzichten wolle man auf dieses farbenfrohe Event auf keinen Fall: So der Tenor unter vielen der Besucher der gigantischen Silvesterparty am Brandenburger Tor - nur wenige Tage nach dem verheerenden Lkw-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche mit zwölf Toten.
Das tragische Ereignis ist nicht schlicht zu verdrängen oder zu überspielen. Aber man habe nie daran gedacht, sich den Spaß zum Jahreswechsel verderben zu lassen, zitiert die Deutsche Presse-Agentur zwei Freundinnen auf der Party-Meile: "Wir lassen uns das doch nicht vermiesen", sagen die beiden Frauen mit blinkender Party-Brille auf der Nase. Dann bestellen sie den nächsten Glühwein.
Hunderttausende kamen, tanzten und sangen zusammen mit den Künstlern auf der Bühne und begrüßten mit einem Feuerwerk das neue Jahr. Schon am frühen Abend hatten sich so viele Besucher an den Kontrollen aufgereiht, dass die Eingänge geschlossen werden mussten.
Das Spektakel am Brandenburger Tor abzusagen, das hatten auch die Veranstalter nie ernsthaft erwogen. "Daran haben wir keinen Moment gedacht", sagt Sprecherin Anja Marx. Sofort war aber auch klargeworden, dass die Sicherheitsvorkehrungen nochmals massiv erhöht werden mussten. Bereits vor einem Jahr war das Konzept überarbeitet worden. Auslöser waren damals die Anschläge in Paris. In diesem Jahr ist Berlin selbst Schauplatz des Terrors geworden.
Für die Sicherheit sorgten 1700 Polizisten, Betonpoller, strenge Einlasskontrollen und gepanzerte Fahrzeuge. Polizisten mit Maschinenpistolen waren auf der Partymeile nur selten zu sehen.
Einige Beamte ließen sich offenbar von der ausgelassenen Stimmung anstecken, andere zeigten, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist, wenn die Situation ernst ist. So soll ein Besucher "Bombe, Bombe, Bombe" gerufen haben. Die Antwort beschreibt die Polizei kurz und knapp bei Twitter: "Festnahme & Anzeige. Er feiert nun îWelcome2017 bei uns."
Ein Jahr nach den massenhaften sexuellen Übergriffen
Gerade auch in Köln war man natürlich vorgewarnt. Enthemmte Männergruppen waren vor einem Jahr nahe des Doms außer Rand und Band geraten, zündeten wie wild Feuerwerk, begrapschten und beraubten Frauen. Unter den Beschuldigten waren viele Flüchtlinge. Die Ereignisse platzten mitten in die sogenannte "deutsche Willkommenskultur" und sorgten auch international für Entsetzen. In diesem Jahr wollten Stadt und Polizei alles besser machen, seit Monaten liefen die Vorbereitungen. 1500 Beamte waren aufgeboten, zehnmal so viele wie vor einem Jahr. In Trupps liefen sie etwa über die Domplatte, die in diesem Jahr von Absperrgittern umringt war.
Kölner Polizei greift gegen Nordafrikaner durch
Am Hauptbahnhof im Schatten des Domes fielen der Polizei in der Nacht 1000 Personen auf, die nun kontrolliert werden. Die meisten von ihnen seien augenscheinlich nordafrikanischer Herkunft, sagte Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies. Zudem seien knapp 300 Personen am Deutzer Bahnhof auf der anderen Rheinseite aus einem Zug geholt worden, die jetzt überprüft würden. Man habe Verstärkung angefordert, berichtete Mathies. Die Identität der Männer werde ermittelt, es werde "keiner zu früh gehen." Allerdings würden die Beamten mit Augenmaß vorgehen. "Ich hatte vorher bewusst eine niedrige Einschreitschwelle angeordnet."
Die Welt würde zusehen, was in diesem Jahr in Köln passiert, da waren sich die Stadtväter sicher - und wollten einen positiven Eindruck vermitteln. Auf der Kölner Domplatte inszenierte der Berliner Lichtkünstler Philipp Geist eine Multimedia-Show. Dabei wurden Wörter auf den Boden und an Häuser projiziert, die die Kölner in den Tagen zuvor vorgeschlagen hatten - etwa "Anstand" und "Erinnerung". Der Boden unter den Füßen driftete langsam weg, so die Illusion. Aus Lautsprechern tönten sphärische Klänge.
In Hamburg, wo sich 2015 ähnliche Szenen wie in Köln abgespielt hatten, feierten Tausende ebenfalls unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen an beliebten Punkten der Stadt friedlich ins Jahr 2017. Von der Reeperbahn, den Landungsbrücken und dem Jungfernstieg wurden keine besonderen Vorkommnisse gemeldet.
"Balldrop" am New Yorker Times Square
Sechs Stunden später feierten am New Yorker Times Square zehntausende Menschen mit dem traditionellen "Balldrop" den Beginn des neuen Jahres. Kurz vor 24 Uhr setzte sich ein mehr als fünf Tonnen schwerer Kristallball mit dreieinhalb Metern Durchmesser an einer Stange über dem Broadway in Bewegung und erstrahlte zum neuen Jahr. Bürgermeister Bill de Blasio und Ban Ki Moon, der am Samstag zugleich seinen letzten Tag als UN-Generalsekretär beging, starteten die Bewegung des Balls gemeinsam per Knopfdruck.
Nach Angaben der Veranstalter nehmen jedes Jahr eine Million Menschen an der Party teil, weitere Millionen verfolgen das Spektakel im Fernsehen und im Internet. Touristen und Einheimische harren wegen des großen Andrangs oft schon viele Stunden vor Mitternacht in der Kälte am Times Square aus, um die Party rund um die Kristallkugel mit anschließenden Konfettiregen zu erleben. Feuerwerk und Alkohol sind verboten. Von einem Wolkenkratzer am Times Square sowie im Central Park und nahe der Freiheitsstatue starten Pyrotechniker aber professionelles Feuerwerk.
Der für Besucher manchmal skurril wirkende Brauch, große Objekte zu Silvester in die Höhe zu ziehen und dann herabzulassen, ist in den USA nicht nur am Times Square bekannt. Landesweit lassen Städte andere Dinge herab, die teils Eigenheiten der jeweiligen Region repräsentieren sollen. Darunter sind etwa überdimensionale Skulpturen von Sardinen (Maine), Tacos (Arizona), Eicheln (North Carolina), Muscheln (Florida), Pilzen (Pennsylvania), Wassermelonen (Indiana), Kartoffeln (Idaho) und Weintrauben (Kalifornien).
SC/myk (dpa, afp)