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Frust schieben in der Terrorismus-Debatte

Barbara Wesel25. November 2015

Das Europaparlament debattiert über die Terrorgefahr in Europa - und über die Versäumnisse der EU-Mitgliedsstaaten. Viele Maßnahmen werden seit Jahren diskutiert, ohne Fortschritt. Aus Straßburg berichtet Barbara Wesel.

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Europaparlament Rede Juncker (EPA/PATRICK SEEGER)
Bild: picture-alliance/epa/P. Seeger

Natürlich betonen alle Redner ihre Solidarität mit Frankreich und ihre Betroffenheit über die Opfer der Anschläge von Paris. Allen voran EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der sorgenvoll wirkt und gestresst. Denn aus den jüngsten Terrorattacken sind für ihn weitere Herausforderungen erwachsen: Er muss in Europa eintreffende Flüchtlinge vor der Diffamierung von Rechtspoplisten schützen: "Diese Menschen flüchten vor Terror, sie haben diese Attacken nicht begangen", sagt Juncker.

Schengen ist gefährdet

Sorgen macht er sich auch wegen der Zukunft des freien Grenzverkehrs in Europa: "Der Geist von Schengen ist teilweise komatös. Aber [das Abkommen] ist eine der Säulen von Europa, die gemeinsame Währung macht ohne Schengen keinen Sinn". Einmal mehr beklagt er auch, dass weiter Geld fehle für die Trust Fonds zur Unterstützung der Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien. Und dann folgt die Liste der Versäumnisse in der EU, wo Parteigruppierungen oder Mitgliedsländer seit vielen Jahren den Fortschritt blockieren: Eine gemeinsame Gesetzgebung für die Waffenkontrolle, die Fluggast-Datenspeicherung, die Zusammenarbeit der Geheimdienste. Vieles wird seit den Angriffen vom 11. September in New York debattiert – passiert sei nichts, ärgert sich der Kommissionspräsident. Hoffnung setzt er zumindest auf den Gipfel mit der Türkei am kommenden Sonntag, um den Schutz der EU-Außengrenzen zu verbessern.

Bewegung bei Fluggastdatenspeicherung

Auch der Vorsitzende der Europäischen Volksparteien EPP warnt vor der Verteufelung einer Religion nach den Attacken von Paris: "Nicht der Islam ist unser Problem, sondern wahnsinnige Terroristen". Darin wird Manfred Weber von einer großen Mehrheit im Parlament unterstützt, besonders eindrucksvoll vom britischen Konservativen Syedd Kamall: "Wir dürfen nicht in Hass und Schuldzuweisungen verfallen". Denn das sei genau die Reaktion, die die Terroristen provozieren wollten.

Nach Attentaten von Paris - Grenzkontrolle
Angst nach den Attentaten: Grenzkontrolle bei StraßburgBild: picture-alliance/dpa

Was konkrete Gegenmaßnahmen angeht, überwiegt aber auch bei Fraktionssprecher Weber der Frust: "Seit Jahren halten wir die gleichen Reden, und es passiert nichts". Jetzt müsse wenigstens die Regelung zur Speicherung von Fluggastdaten kommen, und zwar für Einreisende von außerhalb wie innerhalb der EU. Das war bislang am Widerstand der Sozialdemokraten gescheitert, die im Laufe der Debatte allerdings das Signal gaben, dass sie jetzt zu einer Einigung noch bis Weihnachten bereit seien.

Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten stockt

"Hört auf mit den großen Sprüchen", rief der Vorsitzende der Liberalen Guy Verhofstadt. Die Mitgliedsstaaten täten einfach ihre Pflicht nicht - zwölf von ihnen etwa leiteten einfach keine Daten an das Schengen Informationssystem zum Schutz der Grenzen weiter. "Schaut euch Abdeslam an! Er ist immer noch auf der Flucht. Er wurde an der Grenze gestoppt, und die französische Polizei kannte ihn nicht. Aber die Belgier kannten ihn sehr wohl." Wären diese Daten ausgetauscht worden, hätten die Franzosen den mutmaßlichen Terroristen noch in der Nacht nach dem 13. November verhaften können. Verhofstadt plädiert angesichts dessen für einen Europäischen Geheimdienst, die meisten anderen Fraktionen lehnen dies jedoch ab. Aber alle argumentieren für mehr Zusammenarbeit der Geheimdienste, sogar die Grünen: "Die Zusammenarbeit von Polizei, Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten muss gestärkt" werden, erklärt der Abgeordnete Philippe Lamberts. Außerdem müssten sie finanziell und personell besser ausgestattet werden. Er argumentiert allerdings weiter gegen die Speicherung von Fluggastdaten und eine generelle Überwachung der gesamten Bevölkerung.

Flughafen Frankfurt am Main Sicherheitskontrolle
Wer darf wissen, wann wer landet? Auch darüber wird gestrittenBild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Auch der langjährige Europaabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Elmar Brok hält den EU-Staaten in einer zornigen Wortmeldung ihre Versäumnisse vor: "Nur fünf Mitgliedsstaaten geben Daten an Europol weiter. Die Kooperation mit Frontex findet nicht statt. Die Staaten versagen dabei, ihre Pflicht zu erfüllen und ihre Bürger zu schützen". Der Chef der Grenzagentur Frontex Fabricio Leggeri hat sich inzwischen selbst darüber beklagt, dass Mitgliedsstaaten an ihn keine Daten weiter leiteten. Auf der Mängelliste von Brok stehen weiter die seit Jahren diskutierten Regeln zum Kampf gegen illegalen Waffenhandel sowie gegen Geldwäsche und sonstige Terrorfinanzierung

Front National macht Wahlkampf

Die Parteivorsitzende des Front National tat als einzige in dieser Debatte, was viele ihrer Vorredner verdammten: Sie warf Flüchtlinge in einen Topf mit Terroristen und nutzte die Gelegenheit zum Wahlkampf. "Terroristen werden mit den Flüchtlingen kommen, das ist eine Tatsache", erklärte Marine Le Pen. Man könne keinen unkontrollierten Strom von Migranten dulden, und die EU sei unfähig irgendetwas zu kontrollieren. Frankreich aber leide unter "idiotischen europäischen Regelungen", zu denen sie die Migration an sich zählt. Man müsse die nationalen Grenzen wieder schließen, so verlangt Le Pen, und Frankreich solle seinen Anteil am EU-Haushalt selbst für die eigene Sicherheit ausgeben. Anfang Dezember sind Regionalwahlen in Frankreich. Ihre Partei, mit ihrer strikten Ablehnung von Migration und deutlichen Ausländerfeindlichkeit, könnte von der Stimmung nach den Terrorattentaten von Paris profitieren.