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"AfD braucht Islam als Feindbild"

Volker Wagener9. September 2016

Die Zustimmung für die AfD wächst ungeachtet aller Skandale um ihre Führungspolitiker. Das ist typisch für rechtspopulistische Parteien, meint der Politologe Hajo Funke im DW-Interview.

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Deutschland Berlin Pressekonferenz AfD Petry und Holm
Bild: Reuters/H. Hanschke

DW: Herr Prof. Funke, die AfD wächst und gedeiht. Dabei bringt sie sich permanent in Misskredit durch ihre parteiinternen Machtkämpfe. Warum ist die AfD so wirkungsresistent gegenüber ihren eigenen Skandalen?

Funke: Das ist nicht untypisch für rechtspopulistische Parteien. Denen geht es ja nur um den Erfolg, mit was auch immer. Der Kern des Rechtspopulismus ist nicht: Wir repräsentieren das Volk, so wie wir es definieren. Wir haben Lösungen, obwohl wir sie eben nicht haben. Wir greifen die an, die wir als Sündenböcke identifizieren: Den Islam, die Migranten, früher waren es Juden, heute die Flüchtlinge und damit geht ein haltloses Chaos einher. Keine Orientierung, keine wirklich programmatische Verständigung, außer in der Feindbestimmung. Der Höhepunkt des AfD-Parteitages war die Botschaft: Der Islam ist unser Feind ohne Wenn und Aber. Man sagte sogar, der Islam sei aufklärungsresistent und die AfD habe auch kein Interesse ihn aufzuklären. Das heißt, sie brauchen ihn als puren Feind, um Angriffe zu provozieren. Eine solche Feindlogik zerstört das Gemeinwesen auf Dauer.

Die Partei sitzt im EU-Parlament und inzwischen in neun Landtagen. Wie lange dauert der Höhenflug der AfD noch an?

Man kann sagen, die CSU war immer rechtspopulistisch bei Gelegenheit, seit einem Jahr und einem Tag ist sie systematisch rechtspopulistisch. Herr Seehofer ist ein Pate für den Aufstieg der AfD. Solange das nicht zureichend von der Union gekontert wird, solange haben wir ein Doppelpassspiel zwischen der AfD-Spitze und Seehofer. Zuweilen wird ja auch noch der ungarische Ministerpräsident Orban von Seehofer als Kronzeuge aufgerufen. Das ist dann die doppelte Gefahr eines abweisenden und flüchtlingsfeindlichen Rechtspopulismus.

Was ist der ideologisch-intellektuelle Hintergrund der AfD-Führungsriege?

Ich vertrete die These, dass das dynamische Zentrum, siehe Parteitag, von dem radikalen Flügel bestimmt ist. Das heißt, man sieht es an dem Nichtausschluss des saarländischen Parteiverbandes, wegen deren Kontakte zu Rechtsextremen. Da blockiert der radikale Flügel. Der radikale Flügel, das dynamische Zentrum um Gauland, Höcke und Homburg ist völkisch rechtsradikal ausgerichtet. Das heißt, sie kämpfen um die ethnisch reine deutsche Nation. Die, die sich gemäßigt geben, werden in gewissen Maßen von diesem dynamischen Zentrum zurückgedrängt.

Sie sind zwar formal Vorsitzende oder in sonstigen Leitungsfunktionen, aber als Bewegungspartei ist viel entscheidender, was in der dynamischen Agitation passiert. Und da haben wir die rassistischen Reden von Höcke, die habe ich auf 20 Seiten auf der Basis von Zitaten aufgezeigt. Und wir sehen es am Parteitag. Die Delegierten waren begeistert, als einer aus Thüringen sagte: "Es gibt ja auch Leute mit denen wir als Muslime das Gespräch suchen können", da gab es Buhrufe. Das heißt, der Parteitag war in einer solch aggressiven Stimmung, dass jede Differenzierung an die Seite gedrückt wurde.

Hajo Funke Politikwissenschaftler Rechtsextremismus Experte Archiv 2013 (Foto: Tim Brakemeier/dpa)
Rechtsextremismusforscher Hajo FunkeBild: picture-alliance/dpa/T. Brakemeier

Im Zentrum des neuen Rechtsrucks steht die Islamfeindlichkeit. Will die AfD die Religionsfreiheit einschränken und damit die Verfassung brechen?

So, wie Sie sich da geäußert haben, ist es natürlich verfassungswidrig. Damit stößt die Partei an die Grenzen des Bundesverfassungsgerichts. Käme es soweit, würde die AfD eine Eskalation in der Gesellschaft bewirken, die das friedliche Zusammenleben entscheidend gefährdet.

15 Prozent - so die seit langem stabilen Werte der Demoskopen - stehen hinter der AfD. Haben die etablierten Parteien komplett den Draht zu Teilen der Bevölkerung verloren?

Ja, zu diesen 15 Prozent ist der Draht dünn geworden. Das ist noch eine höfliche Formulierung. Parteien sind gehalten, sich noch mehr mit den Motiven der Wähler auseinander zu setzen und das sind vielfach Motive der Enttäuschung, der politischen Entfremdung und vor allem der daraus resultierenden Nichtwahl. Dieses "nicht-mehr-wählen-gehen" hat dann auch ganz naheliegende Gründe.

Zum Beispiel fehlt es oft an sozialen Konzepten für die Region, für das Dorf, für die Landbevölkerung. Es wird zu viel zentralisiert, so wie in Mecklenburg-Vorpommern. Dort werden Gebietsreformen umgesetzt, die dazu führen, dass man 60 Kilometer fahren muss, um vom Amtsgericht eine Patientenverfügung zu bekommen. So etwas fördert Wut an der Basis. Und die wird dann aufgegriffen von der AfD.

Professor (em.) Hans-Joachim „Hajo“ Funke ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er lehrte von 1993 bis zur Emeritierung 2010 am Institut für Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin. Er zählt zu den führenden Rechtsextremismusforschern Deutschlands. Seine jüngste Studie, in der er sich vor allem mit der AfD auseinandersetzt, steht unter dem Titel "Über Wutbürger und Brandstifter".

Das Interview führte Volker Wagener.