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Politik

"Rechtsschwenk ist destabilisierend"

3. Juli 2018

Merkels Sturz ist verhindert, Seehofers Rücktritt zurückgenommen. Aber der Konflikt zwischen CDU und CSU ist eine Eskalationspolitik, von der sich viele abgestoßen fühlen, sagt Extremismusforscher Funke im DW-Gespräch.

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Fraktionssitzung Union Seehofer Merkel
Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Deutsche Welle: Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Streit und der Einigung der Unionsparteien?

Hajo Funke: Eine höchst ambivalente. Es ist ein Kompromiss aus Not und nach Wochen der Destabilisierung, die von weit rechts kam - aus der CSU-Spitze. Sie will in die Räume der rechtspopulistischen AfD hineingehen, um die AfD zu entzaubern. Das ist eine Fehleinschätzung, wie Umfragen zeigen. Der Rechtsschwenk ist destabilisierend für die Regierung und das Parteisystem. Insofern ist die Parteispitze um Dobrindt, Söder und Seehofer - und zwar in dieser Reihenfolge - verantwortungslos.

Also heißt der Gewinner des Streits AfD?

Im Moment sieht es so aus. Es nutzt weder der CSU in Bayern, noch der CDU, noch dem Parteisystem in Deutschland. Die AfD betreibt dabei eine entsprechende Polemik und Rhetorik, z.B. sagt ihr Vorsitzender Gauland "wir jagen sie" (Merkel – Red.). Ob das insgesamt funktioniert, hängt an der Bevölkerung ab – bald wird man es bei den Wahlen in Bayern sehen. Gegenwärtig sieht es so aus, als seien sehr viele von dieser Eskalationspolitik abgestoßen.

Kann die Kanzlerin nach einem solch heftigen Streit, wo sie von ihrer Schwesterpartei auch persönlich angegriffen wird, noch ihre Integrität wahren? Zumal sie davon ausgehen muss, dass die CSU ihr das Leben nicht unbedingt einfacher machen wird.

Die Integrität von Angela Merkel besteht zunächst darin, dass sie versucht, die Bilanz zwischen Zuwanderungsbegrenzung und Humanverpflichtung aufrechtzuerhalten - gegen den Widerstand der CSU und kleinen Teilen der CDU. Ihre Autorität ist natürlich geschwächt. Dieser Streit kommt mir vor, wie der Boxkampf in der letzten Runde, wo alle Akteure angeschlagen sind – Horst Seehofer, aber auch die Regierungschefin. Und der Ringrichter Gauland jagt die beiden aufeinander.

Seehofer selber agiert eher als Getriebene der Radikalisierung der CSU. Gleichzeitig verliert die CSU so an Integrationskraft in der Mitte. Es ist ein äußerst destruktives Spiel. Vielleicht aber erkennt jemand an der CSU-Spitze, dass daraus kein Honig gezogen wird - weder machtpolitisch, noch für die Demokratie.

Wird Merkel Ihrer Meinung nach bis zum Schluss regieren wollen? Oder hat auch ihr Pragmatismus Grenzen?

Sie wird es versuchen. Merkel hat durchgehalten und ist nicht zurückgetreten. Dabei hilft ihr wichtigster Partner - Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Er ist überzeugt, dass man den Mitte-Kurs der Union für das Land sichern muss. Er ist die Autorität über Merkel und Seehofer in der konservativ-liberalen Union, die die Hand über der geschwächten Autorität von Merkel hält. Die Kanzlerin weiß, um was es geht: Um diesen Mitte-Kurs. Sie weiß auch, wofür und wogegen sie kämpft. Dennoch kann es sein, dass mit einer weiteren Eskalation in der Union, diese Koalition nicht die folgenden zweieinhalb Jahre halten wird. Dann gibt es eine neue Situation. Aber jetzt ist es immerhin gelungen, den Putschversuch von Seehofer zu verhindern. Das ist in diesem Stellungskrieg ein Erfolg für Merkel.

Welches Risiko geht für die Kanzlerin von ihrer eigenen Partei aus? Da sympathisieren einige mit dem harten Kurs der CSU...

Auch wenn sich Merkel vermutlich in ihrer letzten Legislaturperiode befindet, gibt es in der CDU enorm viele überzeugte Anhänger eines Mitte-Kurses. Das ist die Tradition von Adenauer und Kohl, die Tradition des Pro-Europäismus und nicht der deutsch-nationalen Alleingänge. Es ist auch eine Geschichtskonsequenz aus dem Versagen der Weimarer Republik als Republik. Man muss es als Erbschaft bedeutend machen und so hat auch Schäuble jetzt in der Fraktion Merkel verteidigen können. Die CDU hat einige starke Persönlichkeiten unterschiedlicher Altersstufen mit großer Überzeugungskraft, die in der CDU-Mitte verankert sind. Und das korrespondiert mit einer Mehrheit der Bevölkerung, die nicht nach rechtsradikal oder nach weit rechts will.

Also wird sich Deutschland dem Rechtsruck, der durch Europa geht, nicht unbedingt anschließen?

Es ist keine zwangsläufige Entwicklung, dass wir als Deutschland und Europa nach rechts rücken. Das beste Beispiel ist Frankreich, mit den Möglichkeiten des dortigen Präsidialsystems. In Deutschland haben wir eine andere Situation und immer noch eine beträchtliche Mehrheit in der Bevölkerung, die einem Verfassungspatriotismus folgt. Nur, es muss hier auch charismatische und glaubwürdige Persönlichkeiten in den Parteien geben, die es zum Ausdruck bringen.

 

Hajo Funke ist Parteien- und Extremismusforscher. Vor seinem Ruhestand lehrte er Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Das Interview führte Rosalia Romaniec.