Afrika-Cup: Fußball-"Legionäre" werden zu nationalen Helden
2. Januar 2024Es war auch am 20. Dezember so wie immer: Als die AS Monaco zum Auswärtsspiel der französischen Ligue 1 beim FC Toulouse antrat, hatte sich eine kleine Fangruppe auf der Tribüne versammelt, die lautstark Monacos Ismail Jakobs und den später eingewechselten Krepin Diatta feierte.
So geht es den beiden senegalesischen Nationalspielern eigentlich immer bei Punktspielen ihres Klubs. "Es gibt in ganz Europa Senegalesen, und die sind fast alle fußballverrückt. Egal, wo wir spielen, es gibt immer eine zumindest kleine Gruppe im Stadion, die uns senegalesische Nationalspieler supportet", sagt Jakobs der DW.
Seit Sommer 2022 ist der 24-Jährige senegalesischer Nationalspieler. Der Vater des gebürtigen Kölners stammt aus dem Senegal, sodass Ismail wählen konnte zwischen der Nationalmannschaft Deutschlands und der Senegals. Im Nachwuchsbereich spielte Jakobs für sein Geburtsland im Trikot mit dem Adler auf der Brust, 2021 wurde er mit der deutschen U21 sogar Europameister.
"Stolz, für den Senegal auflaufen zu können"
Als ihn 2022 aber Senegals Nationaltrainer Aliou Cissé anrief und ihm einen "Nationenwechsel" schmackhaft machte, war Jakobs gleich Feuer und Flamme: "Ich habe das noch am Abend mit meinem Vater und dem Rest der Familie besprochen. Die Entscheidung stand sofort. Ich war unheimlich stolz, für den Senegal auflaufen zu können."
Jakobs hält viel vom Land seiner väterlichen Wurzeln - dabei war er dort nur selten. Seine Kindheit und Jugend spielte sich komplett in Köln und Umgebung ab. Den Senegal und die dort noch verwurzelte Familie besuchte er allenfalls mal während kurzer Urlaube.
Solche oder ähnliche Geschichten hat mittlerweile ein Großteil der Fußballprofis, die ab dem 13. Januar in der Elfenbeinküste den Afrika-Cup 2024 ausspielen. Titelverteidiger Senegal um Superstar Sadio Mané hat nicht einen einzigen Spieler im 27-Mann-Kader, der im Senegal Klubfußball spielt. Alle sind im Ausland beschäftigt, hauptsächlich in Europa.
Marokko - WM-Erfolg mit "Europa-Auswahl"
Das gilt sogar für Marokko, dessen Spieler über viele Jahre als besonders heimattreu galten und in Nordafrika auch gar nicht so schlechte Verdienstmöglichkeiten hatten. Die Marokkaner erreichten bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar Platz vier, es war ihr bislang größter Erfolg bei einer WM. Er gelang vor allem mit Profis, die ihr Geld im Ausland verdienten. Die Entwicklung in dem nordafrikanischen Land ist geradezu beispielhaft für den ganzen Kontinent: Standen 1998 bei der WM in Frankreich lediglich zwei "Legionäre" in Marokkos Kader, trat das Team in Katar mit einer regelrechten "Europa-Auswahl" an: Von den 23 WM-Spielern waren 18 in Europa geboren.
Marokko geht als einer der Topfavoriten in den Afrika-Cup. 24 Teams kämpfen um die höchsten sportlichen Lorbeeren des Kontinents - und sie werden alles geben, um die Menschen ihres Landes mit sportlichem Erfolg stolz und glücklich zu machen. "Der Afrika-Cup ist alle zwei Jahre der Höhepunkt im gesellschaftlichen Leben fast aller Afrikaner", sagt Kultur-Anthropologe Kurt Wachter.
Keinerlei Neid oder Missgunst
Der Österreicher forscht seit vielen Jahren über gesellschaftliche Prozesse in Afrika. "Es gibt bei den Fans in der Heimat keinerlei Neid oder Missgunst bezüglich des Reichtums oder Erfolgs ihrer Landsleute, die als Fußballprofis weit weg von der Heimat arbeiten und vergleichsweise unheimlich viel Geld verdienen", sagt Wachter der DW. "Man ist einfach nur stolz auf seine Fußballhelden und betrachtet sie als Symbole für afrikanischen Erfolg und als wertvolle Botschafter ihrer Länder."
Ein solcher ist auch Stanley Ratifo, der beim Afrika-Cup im Trikot Mosambiks antreten wird. Der in der Stadt Halle im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt geborene Stürmer spielt schon seit 2017 international für das Heimatland seines Vaters und wird dort als Volksheld verehrt. Gleich in seinem ersten Länderspiel vor sechs Jahren hatte er in der Nachspielzeit der Begegnung gegen Sambia den 1:0-Siegtreffer erzielt. Mosambik hatte zuvor noch nie gegen Sambia gewonnen - noch heute wird Ratifo immer wieder auf sein Tor angesprochen.
Als Fünftligaspieler wie ein Held gefeiert
"Es ist verrückt", sagt der 29-Jährige, der in seinem Fußball-Alltag für den baden-württembergischen Oberligisten 1. CfR Pforzheim die Fußballschuhe schnürt - in der fünften Liga, das ist gehobener Amateurfußball. In Pforzheim kommen in der Regel rund 300 Zuschauer zu den Heimspielen des Vereins. Nationalmannschaftseinsätze sind für Ratifo entsprechend regelmäßig Feiertage: "Jedes Mal, wenn ich heute zur Nationalmannschaft nach Mosambik reise, werde ich schon am Flughafen wie ein Held gefeiert. Da fühle ich mich echt wie ein Star. Und das genieße ich."
Der 1,90 Meter große Mittelstürmer findet Besuche in dem Land seiner väterlichen Wurzeln stets aufregend. "Das Leben dort ist so anders, man kann es sich als Europäer, der noch nicht dagewesen ist, kaum vorstellen", sagt Ratifo der DW. "Diese Menschenmengen, dieses Durcheinander auf den Straßen, dazu stets diese Euphorie rund um den Fußball - so etwas kennen wir in Europa in der Intensität nicht."
Mit der Idee, vielleicht sogar einmal dauerhaft in Mosambik zu leben, kann der Deutsch-Afrikaner - in seinem "Nebenjob" als Musiker feiert er übrigens auf dem Streamingdienst Spotify bescheidene Erfolge - allerdings nichts anfangen. "Nein", sagt Ratifo. "Das würde für mich dann doch nicht funktionieren."