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Literatur

Fünf Stars der israelischen Literatur

Christine Lehnen
1. November 2022

Nelly Sachs, Ephraim Kishon und Amos Oz sind weltweit bekannt. Wir stellen Ihnen fünf weitere israelische Autoren vor: vom Superstar bis zur Newcomerin.

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Autor Etgar Keret.
Er ist einer der zeitgenössischen israelischen Schriftsteller: Etgar KeretBild: Grgur Zucko/PIXSEL/picture alliance

Praktisch vom ersten Tag seiner Existenz an hat der israelische Staat Weltstars der Literatur hervorgebracht: Samuel Agnon wurde mit Franz Kafka verglichen, Nelly Sachs gewann als erste Frau den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Beide wurden 1966 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Dabei war das Hebräische erst Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Alltags- und Literatursprache entwickelt worden - im Rahmen jüdisch-israelischer Nationalbestrebungen. Zuvor hatte man es überwiegend für religiöse Zwecke verwendet, jüdische Autorinnen schrieben in den Sprachen der Länder, in denen sie lebten, zum Beispiel auf Ungarisch, auf Deutsch, oder auch auf Jiddisch. 

Seit dem ersten Nobelpreis hat die israelische Literatur, ob auf Hebräisch oder Arabisch, nicht nachgelassen: Auf Sachs und Agnon folgten international bekannte Autoren wie Ephraim Kishon († 2005), einer der erfolgreichsten Satiriker der Literaturgeschichte, und Amos Oz, der - mit zahllosen Preisen gewürdigt - 2018 verstarb.

Und auch heute mangelt es in Israel nicht an Schriftstellerinnen und Schriftstellern, deren Bücher weltweit Millionenauflagen erreichen. Wir stellen ihnen fünf Autorinnen und Autoren vor, deren Werke man lesen sollte:

1. Etgar Keret: der Superstar

Etgar Keret schaut in die Kamera, das Kinn in die Hand gestützt.
Etgar Keret veröffentlicht auch einen Newsletter: "Alphabet Soup" Bild: Alessandro Moggi

Er ist ein international bekannter, preisgekrönter Bestsellerautor, verfasst Romane, Drehbücher, Sachtexte, Graphic Novels und hat für die renommierten Tageszeitungen "New York Times", "Le Monde" und den britischen "The Guardian" geschrieben: Etgar Keret kann mit Fug und Recht von sich behaupten, ein Literaturstar zu sein. Seine Bücher erscheinen in 40 Sprachen, die New York Times nannte ihn ein "Genie", und sein indischer Kollege Salman Rushdie bezeichnete ihn schlichtweg als "brilliant".

Keret war schon bei der Premiere der Deutsch-Israelischen Literaturtage im Jahr 2005 dabei. 2016 kehrte er mit gebrochener Rippe als Stargast zurück, um seine Memoiren mit dem biblischen Titel "Die Sieben Guten Jahre" vorzustellen, übersetzt vom deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann.

Das humorvolle Understatement ist Kerets Markenzeichen. Der Autor hat unzählige Preise gewonnen, darunter - gemeinsam mit seiner Frau, der Filmemacherin Shira Geffen - sogar eine "Camera d'Or" beim weltweit renommiertesten Filmfestival in Cannes. 2020 lief die von beiden kreierte Miniserie "Mein Sprechender Goldfisch" im deutsch-französischen TV-Sender Arte.

Auch 2021 war Etgar Keret wieder bei den Deutsch-Israelischen-Literaturtagenin Berlin zu Gast. Er präsentierte seinen jüngsten Kurzgeschichtenband, der unter dem Titel "Tu's nicht" im S. Fischer-Verlag erschienen ist, übersetzt von Barbara Linner. Über die Literatur sagte er der DW bei seinem letzten Besuch der Deutsch-Israelischen Literaturtage: "Ich sage oft, dass Lesen im Prinzip den schwächsten aller menschlichen Muskeln trainiert: den Muskel der Empathie." Keret lebt in Tel Aviv und lehrt an der Ben-Gurion-Universität.

2. Maayan Eitan: die erfolgreiche Newcomerin

Autorin Mayaan Eitan sitzt auf einem blauen Sofa und sieht in die Kamera.
Mayaan Eitan war während der 15. Deutsch-Israelischen Literaturtage in Berlin zu GastBild: Silan Dallal

Sie ist ein neuer Stern, der am israelischen Literaturhimmel aufgeht: Maayan Eitans Debütroman "Love" machte sie in Israel praktisch über Nacht zur Bestsellerautorin. Darin erzählt sie vom Leben einer jungen Prostituierten, die in einer namenlosen israelischen Großstadt arbeitet. Den wahren Namen der Protagonisten erfahren wir nicht - wir kennen sie nur als "Libby". 2022 erschien der Roman auf Englisch im Verlag "Penguin Random House".

Nach einem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft in den USA und Israel promoviert Maayan Eitan zurzeit über den Schlaf in der Literatur an der Ben-Gurion-Universität. Sie lebt in Tel Aviv und arbeitet an ihrem zweiten Roman. Außerdem ist sie Redaktionsmitglied des englischsprachigen Online-Magazins "Tel Aviv Review of Books".

3. David Grossman: der engagierte Pazifist

Schriftsteller David Grossmann schaut in die Kamera und öffnet den Mund.
Schreibt für Kinder und Erwachsene: David Grossman Bild: Stephanie Pilick/dpa/picture alliance

Es dürfte nicht übertrieben sein, David Grossman schon jetzt als eine der bedeutendsten Stimmen der israelischen Literatur zu bezeichnen. Er schreibt Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, zeichnet sich durch einen feinen Humor und seinen menschlichen Blick aus. Mit dem Roman "Kommt ein Pferd in eine Bar" (2014) über den zynischen Comedian Dovele Grinstein, der bei einem öffentlichen Auftritt Kindheitstraumata und die Holocaust-Erinnerungen seiner Familie aufarbeitet, gewann er als erster israelischer Autor 2017 den International Booker Prize, einen der wichtigsten Literaturpreise weltweit. 2010 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, der auch schon literarischen Größen wie Hermann Hesse, Max Frisch, Astrid Lindgren, Margaret Atwood und seinen Landsleuten Amos Oz und Nelly Sachs verliehen wurde. Grossman wurde von der Jury insbesondere für sein Engagement in der Aussöhnung zwischen Israel und Palästina gewürdigt.

Interview mit David Grossmann, Preisträger Friedenspreis Deutscher Buchhandel

David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren, nachdem sein Vater 1936 aus Polen in das britische Mandatsgebiet Palästina emigriert war. Nach einem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften an der Hebräischen Universität in Jerusalem arbeitete Grossman zunächst als Journalist beim israelischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Weltweit bekannt wurde er, als er 1988 in seiner Reportagensammlung "Der gelbe Wind“ über das Verhältnis zwischen Israelis und Arabern berichtete. Als er sich im selben Jahr weigerte, seine Berichterstattung über die Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser zu zensieren, wurde er fristlos entlassen. Heute lebt Grossman in Jerusalem. 2006 verlor er seinen zweiten Sohn im Krieg; Uri Grossman fiel im Südlibanon.

Grossman ist Pazifist. Er greift auch politisch ein, schreibt gegen den Krieg und versteht sich als engagierter Künstler. Seine Romane und Sachbücher für Erwachsene erscheinen in Deutschland im renommierten Hanser-Verlag, zuletzt machte er 2020 mit dem Roman "Was Nina wusste" von sich reden. Seine Werke sind in über 30 Sprachen übersetzt. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels sagte er im Jahr 2010, dass er an den Frieden glaube, auch, wenn die Lage hoffnungslos erscheine, denn "die Geschichte zeigt, dass auch die schlimmsten Feinde am Ende Frieden schließen."

4. Zeruya Shalev: die "Schmerzensmeisterin"

Zeruya Shalev.
Zeruya Shalevs jüngster Roman heißt auf Deutsch "Schicksal"Bild: Jonathan Bloom/Piper Verlag

Ihr Blick auf das Leben und die Liebe ist schonungslos. Das hat ihr Erfolg gebracht: Zeruya Shalevs preisgekrönte Trilogie wurde in über 20 Sprachen übersetzt: Sie besteht aus den Romanen "Liebesleben", "Mann und Frau" und "Späte Familie". 2015 veröffentlichte sie ihren Roman "Schmerz", in dem sie ihre Erfahrungen als Überlebende eines Bombenattentats in Israel verarbeitete.

Schon davor hatten Literaturkritiker sie als "Schmerzensmeisterin" bezeichnet. Im Interview mit der DW kommentierte Shalev, dass sie das gut verstehen könne: "Meine Bücher haben etwas Düsteres, weil mich die seelischen Abgründe besonders interessieren. Da geht es immer um Krisen, um schmerzhafte Prozesse. Aber ich versuche immer, meine Figuren daran wachsen zu lassen." Das Böse sei ihrer Meinung nach nicht der Schmerz, sondern "der Wunsch, zu töten und der Wunsch zu sterben."

Ihre Leser schreckt das nicht ab - im Gegenteil: Ihre Bücher erreichen allein in Deutschland eine Millionenauflage. 

"Schmerz": Eine Begegnung mit Zeruya Shalev

Zeruya Shalev wurde 1959 in einem Kibbuz am See Genezareth geboren und lebt heute mit ihrer Familie in der israelischen Stadt Haifa. Sie studierte Bibelwissenschaften und wird als eine der bedeutendsten Erzählerinnen der Gegenwart gehandelt. Die preisgekrönte französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani sprach von Shalev in der New York Times als einer "außergewöhnliche(n) Schriftstellerin", die sie sehr bewundere.

2021 hat Zeruya Shalev einen neuen Roman in Deutschland veröffentlicht: "Schicksal" handelt von zwei Frauen im heutigen Israel: der 90-jährigen Rachel, die 1944 als 15-Jährige ihr Elternhaus verlassen hat, um Anschläge auf britische Soldaten im damaligen Mandatsgebiet Palästina zu verüben. Und das von der 40 Jahre jüngeren Architektin Atara, die sich im Israel der Gegenwart auf die Rekonstruktion alter Gebäude spezialisiert hat. Das Buch wurde von der Kritik als Meisterwerk bezeichnet und ist im Piper-Verlag erschienen.  

5. Lizzie Doron: die Grande Dame

Autorin Lizzie Doron.
Die Autorin Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und BerlinBild: Anke Fleig/Sven Simon/picture alliance

Der Holocaust und die vererbten Traumata sind das große literarische Thema Lizzie Dorons. Dabei hatte sie gar nicht vor, Schriftstellerin zu werden: Geboren 1953 als einzige Tochter einer Holocaustüberlebenden in Tel Aviv, studierte sie zunächst Linguistik und arbeitete als Sprachwissenschaftlerin an der Universität. Die Mutter erzählte ihr nichts von den traumatischen Erlebnissen in den Konzentrationslagern, sondern hielt die Tochter an, für die Zukunft zu leben. Zu ihrem aus Warschau stammenden Vater, der sich in einem Sanatorium aufhielt, hatte Doron Zeit seines Lebens nahezu keinen Kontakt; er starb, als sie acht Jahre alt war.

Erst, als Lizzie Dorons Tochter für einen Schulaufsatz mehr zu ihrer Familiengeschichte erfahren wollte, wurde Doron zur Autorin. Ihr erstes Buch, "Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?", ist in Israel längst Schullektüre. Zuletzt legte sie mit den Büchern "Who the fuck is Kafka" (2015) und "Sweet Occupation" (2017) zwei Werke über den israelisch-palästinensischen Konflikt vor.

Deshalb gilt die international gefeierte Autorin inzwischen manchen in Israel als "Verräterin". Ihr neuestes Buch, das 2021 in Deutschland bei dtv unter dem Titel "Was wäre wenn" erschienen ist, habe zunächst keinen israelischen Verlag gefunden, berichtete die Autorin der DW. Bei den 15. Deutsch-Israelischen Literaturtagen vom 1.9. bis 4.9. 2021 stellte sie ihren neuen Roman im Literaturhaus Berlin vor. Die Literatur, so Doron im Gespräch mit der DW, habe die Macht, Samen für die Veränderung zu setzen: "Für das Kommende."

Deutschlands besonderes Verhältnis zu Israel

Dies ist eine aktualisierte Version eines 2021 erschienenen Artikels.