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Für alles ein bisschen bereit

Heiner Kiesel28. April 2013

Die Bundeswehr muss sich ändern. Sie soll für eine Zukunft fit gemacht werden, in der Deutschland fern von den Landesgrenzen bedroht wird. Die vielen neuen Aufgaben bedrohen aber auch die Einsatzfähigkeit.

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Trupp der Kommando Spezialkräfte (KSK) beim Marsch in der Wüste, während der Klimazonenausbildung (Foto: Bundeswehr/PIZ Heer/F. Nägele, dpa - Bildfunk)
Bundeswehr KSK Kommando SpezialkräfteBild: picture-alliance/dpa

Da draußen im Morgennebel fährt die Vergangenheit der Bundeswehr auf: Panzerübung auf der Letzlinger Heide in Brandenburg. "Da will ich jetzt mal Aktion sehen", sagt der drahtige Hauptmann mit dem Fernglas vor den Augen. Vier Leopard-2-Kampfpanzer kommen ins Sichtfeld, dröhnen mit 50 km/h über die matschigen Hügel. Die Erde vibriert unter vier mal 60 Tonnen Stahl. "Na also", der Offizier grinst breit, "das ist jetzt richtig Heavy-Metal!" Er senkt die Gläser und seine Gesichtszüge werden wieder ernst. "Wir fahren jetzt weiter in unser Übungsdorf für den Auslandseinsatz", sagt er und steigt zu seinem Fahrer in den Geländewagen. "Das ist eher das, was von uns künftig verlangt wird." Dort, zwischen alten Baracken, üben seine Leute den Häuserkampf, werden geschult im Umgang mit selbstgebastelten Sprengfallen und aufgeregten Einwohnern.

Die Bundeswehr nimmt Abschied von vielem, was in den vergangenen Jahrzehnten ihr Selbstverständnis ausgemacht hat. Fast ein halbes Jahrhundert stand sie vor allem bereit, um einem massiven Angriff auf die Landesgrenzen trotzen zu können. Dann kam der Zusammenbruch des Warschauer Pakts. "Wir sind heute von Freunden umzingelt", fasst Generalmajor Frank Leidenberger, Amtschef des Planungsamtes der Bundeswehr, zusammen, "aber aktuelle Beispiele wie Afghanistan und Mali zeigen, dass die Sicherheit von Europa und Deutschland weiterhin gefährdet ist". Heute sei es nicht die Stärke eines Staates, von der eine Bedrohung ausgeht, sondern gerade das Gegenteil, dessen Schwäche, die sich Terroristen zu nutze machen könnten.

Porträt von Generalmajor Leidenberger (Foto: Zentralredaktion Bundeswehr/Andrea Bienert)
Generalmajor Frank Leidenberger koordiniert den ReformprozessBild: Zentralredaktion Bundeswehr/Andrea Bienert

Organisation straffen

Das Amt, dem der Generalmajor vorsteht, beschäftigt sich mit der langfristigen Einschätzung und Planung sicherheitsrelevanter Fragen. Mit Hilfe von Trendanalysen und wissenschaftlichen Methoden der Zukunftsforschung will man sicherstellen, dass die Bundeswehr gewappnet ist, für kommende Aufgaben. "Wir sind darauf aus, der Politik möglichst viele Handlungsoptionen offen zu halten", sagt Leidenberger. Das Weißbuch der Bundeswehr von 2006 und die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 geben Hinweise darauf, wie vielfältig sich das Aufgabenspektrum für das deutsche Militär auffächert: internationaler Terrorismus, Sicherung der Handels- und Transportwege, Einsatz im Verbund der Nato, im europäischen Sicherheitsverbund und für Missionen der UN, die Bedrohungen aus dem Cyberspace - die Liste ist damit noch lange nicht am Ende.

Kampfpanzer Leopard 2 A4 während einer Militärübung (Foto: imago)
Passt nicht zur global flexiblen Einsatzarmee - Kampfpanzer Leopard 2 A4Bild: imago

Das wäre schon für die alte Bundeswehr schwer zu stemmen gewesen, die neue muss das mit weniger Personal - sie schrumpft von 220.000 auf 185.000 Soldaten - und mittelfristig auch weniger Finanzmitteln bewältigen. Den Anforderungen ist mit den bisherigen Strukturen nicht mehr beizukommen, das hat bereits Anfang des Jahrtausends die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker festgestellt. Also unterwirft sich die Bundeswehr einer grundlegenden Reform, der "Neuausrichtung". Sie soll ihre Organisation straffen, streitkräfteübergreifend planen und effizienter werden.

Infanterist der Zukunft

Einiges wurde bereits auf den Weg gebracht: Die Kampfkleidung der Soldaten wurde so weiter entwickelt, dass sie für unterschiedlichste Klimazonen tauglich ist - wichtig im "Out-of-area-Einsatz". Dort ist der Infanterist der Zukunft, so heißt das Projekt, in dem die Ausrüstung für globale Aufgaben fit gemacht wird, inzwischen mit dem GTK Boxer unterwegs - einem modular aufgebautem gepanzerten Fahrzeug. Damit Mannschaften und Material ins Zielgebiet gelangen, bedarf es neuer Flugzeuge. In gut sieben Jahren soll das neue großräumige Transportflugzeug A400M einsatzbereit sein, derzeit wird über die Anschaffung von kampffähigen Drohnen diskutiert.

Die Truppe wird auf Flexibilität getrimmt, damit sie die vielen Aufgaben auch wahrnehmen kann. Dennoch werden die alten Fähigkeiten erhalten. Panzerverbände wie in der Letzlinger Heide sollen auch künftig zur Verfügung stehen - wenn auch nicht mehr in der bisherigen Anzahl. "Wir planen nach dem Grundsatz Breite vor Tiefe", beschreibt Frank Leidenberger die Herangehensweise. Die "Durchhaltefähigkeit" in den einzelnen Bereichen wird künftig nicht mehr so groß sein, dafür stemmt die Bundeswehr aber vieles, was sie früher so nicht konnte.

Gefahren für eine funktionierende Verteidigung

Es ist ein ambitioniertes Konzept, vielleicht auch ein gefährliches. Von Kritikern ist der Grundsatz "Breite vor Tiefe" scharf angegriffen worden. Der eigentliche Grund dahinter könnte die Angst vor dem Verlust der Eigenständigkeit sein - dann nämlich, wenn sich die Bundeswehr stärker auf Spezialisierung und Arbeitsteilung auf europäischer und transatlantischer Ebene konzentrieren würde.

Was bleibt, wenn man von allem ein bisschen kann? Christian Mölling, Experte für Verteidigungspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnt vor einer "Bonsai-Armee" ohne echte militärische Durchschlagskraft. "Der Schrumpfungsprozess wird weitergehen", sieht der Wissenschaftler voraus. "Am Ende werden wir möglicherweise nur noch eine 100.000-Mann-Armee haben." Zudem stehe die Bevölkerung den wachsenden Aufgaben im Ausland skeptisch gegenüber. "Wenn das alles nicht mehr gesellschaftlich konsensfähig ist", spekuliert Mölling, "dann sollten wir uns vielleicht überlegen, ob wir das mit der Bundeswehr nicht ganz lassen sollten und mit den 30 Milliarden Euro aus dem Wehretat nicht was Besseres anfangen könnten." Eine zivile Wiederaufbaumacht könnte das ja sein, meint Mölling. Das würde Deutschland internationales Renommee bringen und hätte enormes wirtschaftliches Potenzial.

Porträt von Christian Mölling, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) (Foto: Heiner Kiesel)
Sicherheitsexperte Christian MöllingBild: DW/H. Kiesel