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Kolumbiens starke Frauen

Lia Valero
16. September 2021

Afrokolumbianische Frauen leiden nicht nur unter Gewalt, sondern auch unter den ökologischen Folgen von Bergbau und illegalem Holzeinschlag. Gemeinsam schützen sie nun sich und ihre Umwelt.

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Eine Frau mit einer Gesichtsmaske steht in einer Küche
Esneda Montaño bereitet Piangua zu. Nach einem Tag im Mangrovensumpf kümmert sie sich nun um Essen und Hausarbeit

Jeden Morgen, wenn die Sonne über der kolumbianischen Westküste aufgeht, machen sich etwa ein Dutzend Frauen in Kanus und Motorbooten auf den Weg. Sie fahren zwei Stunden flussaufwärts durch dichte Mangrovenwälder, um "Piangua" zu ernten - eine Herzmuschel, die es nur an der Pazifikküste gibt. 

Diese Arbeit, die traditionell von Frauen erledigt wird, ist sehr mühsam. Esneda Montaño verbringt den Großteil des Tages zusammengekauert im Schlamm, wo es nicht nur Piangua gibt. Auch Schlangen und Krötenfische lauern hier, von Moskitos ganz zu schweigen.

Esneda Montaño macht diese Arbeit seit ihrem achten Lebensjahr. Mittlerweile geht sie auf die 50 zu und ist fest entschlossen, auch weiterhin Piangua zu ernten. "Ich habe das von meiner Großmutter gelernt", erinnert sie sich. "Es ist eine Tradition und ein Vermächtnis, das unsere Vorfahren uns hinterlassen haben.” 

Esneda Montaño lebt in Quiroga, einer kleinen Gemeinde im Südwesten Kolumbiens, in der die Mehrheit der Bevölkerung afrikanischer Abstammung ist. Sie leitet die "Asociación de Mujeres Construyendo Sueños" ("Vereinigung von Frauen, die Träume bauen”), eine Gruppe von 20 lokalen "piangueras". Viele von ihnen sind alleinerziehende Mütter und Vertriebene aufgrund der bewaffneten Konflikte in der Region.

Eine Frau pflückt Mollusken
Die Mangroven an der Pazifikküste Kolumbiens sind essentiell für die Tradition und das Überleben der schwarzen GemeindenBild: Lia Beltrán Valero

Die Frauen schlossen sich 2013 erstmals zusammen, um sich vor den bewaffneten Gruppen, die damals die Region beherrschten, zu schützen. Der Verkauf von regionalen Meeresfrüchten - Krabben, Muscheln und Piangua - bietet ihnen wirtschaftliche Unabhängigkeit in einem Umfeld, in dem es kaum Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen gibt. "So können wir unsere Söhne und Töchter unterstützen, haben ein kleines Einkommen und sind nicht von unseren Partnern abhängig", sagt Esneda Montaño, die verheiratet ist.  

Frauen leiden am meisten unter den Folgen der Umweltzerstörung 

Diese wirtschaftliche Unabhängigkeit ist untrennbar mit dem Zustand der Mangrovenwälder und der umliegenden Gewässer verbunden. Diese empfindlichen Ökosysteme sind durch Abholzung, Bergbau und den Anbau von Koka, der Pflanze, aus der Kokain gewonnen wird, in Gefahr.

"Früher haben wir unsere Häuser einfach mit Mangrovenzweigen gebaut”, sagt Esneda Montaño. "Jetzt kommen Fremde und fällen alles. Und das Kettensägenöl, das sie hinterlassen, tötet die Piangua. Wenn das so weitergeht, haben wir bald nichts mehr zu essen, denn die Mangroven sind unsere Lebensgrundlage." 

Zwei Frauen rudern in Booten
Auf dem Weg zu den Mangroven: Piangua sind die Haupteinnahmequelle und Lebensgrundlage dieser FrauenBild: Lia Beltrán Valero

Die Notlage der Piangueras spiegelt ein globales Problem wider: Wenn Umweltzerstörung Existenzgrundlagen vernichtet, triff es überdurchschnittlich häufig Frauen. Weltweit ist die große Mehrheit der Menschen, die in Armut leben, weiblich. 

Laut der Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Scott, Autorin des Buches "The Double X Economy”, befinden sich global 80 Prozent des Ackerlandes im Besitz von Männern.

Frauen haben weniger Ressourcen, auf die sie in Zeiten von Knappheit oder Katastrophen zurückgreifen können und sie haben weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Gerät eine Gesellschaft durch den Klimawandel unter Druck, nimmt Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu. 

Ein Großteil der von Frauen geleisteten Arbeit - Pflege, Hausarbeit, landwirtschaftliche Selbstversorgung und Wasserbeschaffung - hat nur geringe Auswirkungen auf die Umwelt. Gleichzeitig aber werden diese Tätigkeiten besonders schwierig, wenn die natürlichen Ressourcen erschöpft sind. Doch gerade weil für Frauen von diesen Ressourcen so viel abhängt, können sie auch eine Schlüsselrolle für deren Erhalt spielen

"Durch ihre Ausgrenzung waren Frauen schon immer gezwungen, sich zu organisieren", sagt Diana Ojeda, feministische Geografin und Professorin an der Universität der Anden in Bogota. "Andernfalls überleben sie nicht. Frauen organisieren sich, um die Pflege zu teilen, Wasser zu holen, Kranke zu versorgen und mit Kriegstraumata zurechtzukommen."   

Mangroven schützen und Existenzen sichern

Seit Generationen sammeln Frauen auf nachhaltige Weise Piangua. Jetzt ist ihre Existenz eng mit dem Schicksal des Ökosystems verknüpft. Deswegen arbeiten die Frauen von Construyendo Sueños aktiv daran, beides zu erhalten.

Seit 2020 haben Esneda Montaño und rund 100 andere Frauen aus verschiedenen Organisationen 18 Hektar Mangroven wiederhergestellt, die durch illegalen Holzeinschlag in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Jede Woche machen sie sich mit Kanus auf den Weg, um die Mangroven zu vermessen und zu überwachen. 

Stella Gómez, Leiterin des Meeresprogramms des Worldwide Fund for Nature in Kolumbien, sagt, dass immer mehr Frauen durch das Sammeln von Piangua ihre Unabhängigkeit erlangen.  

"Das hat direkte Auswirkungen auf den Schutz des Mangrovensumpfes und die Existenzsicherung ihrer Familien", sagt Gómez. Das helfe ihnen nicht nur, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die Mangroven seien auch wichtige Kohlenstoffsenken und Hotspots für Artenvielfalt und sie schützten die Küste vor Stürmen, fügt sie hinzu.   

Vergiftete Gewässer  

Die Piangueras sind nicht die einzige Gruppe von Frauen, die gegen die Umweltzerstörung in der Region kämpfen. An diesem Abschnitt der kolumbianischen Pazifikküste gibt es keine Straßen und die Flüsse sind die Hauptverbindungswege zwischen den Gemeinden. Entlang der Flussufer mit den traditionellen Holzhäusern, gebaut auf hohen Stelzen, fahren Motorboote und Kanus mit Lebensmitteln und Waren rege die Wasserstraßen auf und ab. Doch dieses lebhafte Treiben täuscht über die Schäden hinweg, die durch den Bergbau verursacht wurden. Viele Menschen hier sind krank.

Die Gemeinde Timbiquí, ebenfalls an der Westküste, ist seit dem späten 18. Jahrhundert ein Goldabbaugebiet. In den letzten 20 Jahren hat der illegale Abbau mit Tieflöffelbaggern - riesigen Maschinen, die die Vegetation ausreißen und Sedimente aufwirbeln - die alten handwerklichen Methoden ersetzt. 

Frauen und Kinder der Gemeinde San Miguel baden und spielen am Fluss Timbiqui, Kolumbien
Frauen und Kinder der Gemeinde San Miguel baden und spielen am Fluss TimbiquiBild: Lia Beltrán Valero

Gleichzeitig haben die beim Goldabbau verwendeten Chemikalien das Wasser und den Boden verseucht. Öl, Treibstoff, Zyanid und Quecksilber, Umweltgifte, die von illegalen Minenarbeitern in die Wasserläufe gekippt werden, töten die Pflanzen, Fische und Krustentiere entlang des Flusses.  

Luz Nery Flórez ist in dieser Gegend bekannt für ihr kulinarisches Gespür, und wie die meisten Frauen in der Region ist sie für die Ernährung ihrer Familie verantwortlich. Jeden Morgen steht sie bei Sonnenaufgang auf und bereitet das Essen über einem Holzfeuer zu. Zum Beispiel Fischgerichte, die mit Bananen und Kräutern aus den traditionellen Hochbeeten ihres Gemüsegartens zubereitet werden.  

Doch diese alltägliche Versorgung der Familie wird schwierig, wenn Nahrung und Wasser nicht mehr sicher und die Wasserwege, die einst das Lebenselixier der Gemeinde waren, verseucht sind.   

Quecksilber aus dem Bergbau gelangt durch Hautkontakt, über die Atemwege oder die Nahrungskette in den menschlichen Körper. Mütter können es sogar über die Plazenta oder über die Muttermilch an ihre Kinder weitergeben. In hohen Konzentrationen kann das zu körperlichen Missbildungen führen und die Gehirnentwicklung beeinträchtigen.   

Eine Frau steht am Ufer und blickt auf das Wasser
Luz Nery Florez engagiert sich lokal und ist darüber hinaus als wunderbare Köchin bekanntBild: Lia Beltrán Valero

"Als der illegale Bergbau im Jahr 2010 begann, wurden viele Frauen krank", sagt Flórez. "Die Kinder bekamen Durchfall und Infektionen. Man ging baden im Fluss und kam noch schmutziger wieder raus."  

Die Frauen sagen, sie müssen heute weit fahren, um sauberes Trinkwasser zu finden. 

Nachhaltige Einkommen fördern die Unabhängigkeit von Frauen  

Die Umweltzerstörung ist hier, wie so oft, ein Teufelskreis. Je mehr nachhaltige Lebensgrundlagen - zum Beispiel traditionelle Fischerei- und Landwirtschaftspraktiken - wegfallen, desto stärker zieht Goldschürfen oder Kokaanbau Menschen an, die versuchen der Armut zu entkommen. Und die ökologischen Ressourcen werden noch stärker ausgebeutet.   

Deshalb sind die wirtschaftlichen Strategien, die von lokalen Frauengruppen angeboten werden, so wichtig, erklärt Flórez. Sie ist Präsidentin von "El Cebollal", einer kleinen Organisation von Frauen und Männern, die mit traditionellen Körben Flussgarnelen fängt und für lokales Kunsthandwerk Pflanzen anbaut, wie zum Beispiel Kalebassenbäume. 

"Anstatt Bäume zu fällen, um Koka anzubauen, fördern wir andere Wege, um mit unseren Pflanzen und Garnelen Geld zu verdienen - und zwar ohne dabei die Umwelt zu zerstören", sagt Flórez. 

Die Unabhängigkeit, die all diese Initiativen bieten, kann den Frauen auch mehr Selbstbestimmung geben - die Macht, sich gegen diejenigen zu wehren, die nicht nur ökologische Ressourcen schädigen und ausbeuten, sondern auch die Frauen selbst.  

Eine Frau pflückt Mollusken
Früher ernteten die Frauen durchschnittlich 200 Minchia-Flussgarnelen in zehn Tagen, heute nur etwa 60Bild: Lia Beltrán Valero

Die "Chiyangua Foundation", eine von Frauen geführte Organisation, die sich seit 26 Jahren für die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Region einsetzt, greift auf das botanische Wissen ihrer Vorfahren zurück. Die Frauen stellen Mehl aus der einheimischen Wurzelpflanze Papa China her. Außerdem bauen sie Kräuter an für die Verwendung in Lebensmitteln, Kosmetika, für medizinische Zwecke und als Insektenschutzmittel.

"Wir wissen, dass einer der Hauptfaktoren für bestimmte Arten geschlechtsspezifischer Gewalt die wirtschaftliche Abhängigkeit oder Unterordnung von Frauen gegenüber Männern ist", sagt Marilyn Caicedo, Koordinatorin der Chiyangua-Stiftung. "Bei der Umsetzung produktiver Projekte können Frauen also sagen: 'Ich kann auch selbst Geld verdienen und muss mir so etwas nicht gefallen lassen'."