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Für VW beginnt das Jahr der Wahrheit

Heiko Lossie, dpa29. Januar 2016

Der deutsche Erfinder und Geschäftsmann Robert Bosch soll einmal gesagt haben: "Lieber Geld verlieren als Vertrauen." Volkswagen verliert derzeit beides. Das Jahr 2016 soll in der Abgas-Affäre nun die Wende bringen.

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Symbolbild VW Motor
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Für den VW-Konzern hat mit dem Start des größten Rückrufs in der Firmengeschichte ein Schicksalsjahr begonnen. Rund 2,5 Millionen Autos müssen hierzulande wegen der Abgas-Manipulationen in die Werkstatt, Mittwochabend fiel der Startschuss. In Europa sind es 8,5 Millionen Wagen, Branchenexperten sprechen vom größten Rückruf der europäischen Autogeschichte.

Der Konzern blickt allein logistisch auf eine Riesenherausforderung. Doch es geht um mehr. "Wir bedauern sehr", schreibt VW aktuell den Kunden, "dass Ihr Vertrauen in die Marke Volkswagen derzeit auf die Probe gestellt wird. Und möchten uns zunächst in aller Form hierfür bei Ihnen entschuldigen."

Für die Werkstätten ist das Update der manipulierten Motor-Software eigentlich Routinearbeit. Den Anfang machen 8000 Pick-Up-Trucks vom Modell VW-Amarok. Im März sollen erste Passats folgen. Und obwohl rechnerisch locker 1000 zurückzurufende Autos auf jede VW-Werkstatt kommen, geht es nicht nur um die Summe der vielen Arbeit. Europas größter Autobauer ist vom "Dieselgate" mitten ins Herz getroffen.

600.000 Mitarbeiter bangen

Ein kleiner Teil seiner Belegschaft hat betrogen und damit den Ruf des ganzen Konzerns beschädigt, der mehr als 600 000 Menschen beschäftigt und über Jahre lief und lief und lief wie einst der legendäre Käfer, auf dessen Erfolg ein Konzern erwuchs. Die Dimension der Krise wird erst langsam klar.

Vor allem in den USA wächst das Diesel-Drama weiter zum Risiko heran. Bisher halten die Kunden VW die Treue, zumindest brachen bisher weder der Absatz noch der Bestelleingang dramatisch ein. Doch das ist für VW nur die halbe Miete. Die Vorzugsaktie der Wolfsburger hat seit dem Ausbruch des Skandals im Herbst gut ein Drittel an Wert eingebüßt. Im Vergleich zum jüngsten Kurshoch vor knapp einem Jahr ist er halbiert.

Die Refinanzierung ist für VW heikler geworden. Die Ratingagenturen trauen dem Konzern weniger zu, das macht die Kredite teurer. Auf der politischen Bühne ist VW nicht mehr nur ein Vorzeigebetrieb, der starke gewerkschaftliche Mitbestimmung mit viel Geschäftserfolg zu vereinen weiß. Inzwischen mehren sich die negativen Vorzeichen.

Dieseltechnologie in Musskredit

Auf dem Neujahrsempfang der Branche diese Woche in Berlin musste sich Verbandspräsident Matthias Wissmann aufs Neue dagegen verwahren, es gebe eine "Kumpanei" zwischen Autobauern und Aufsichtsbehörden wie dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Mehr noch: Die VW-Abgas-Affäre hat die gesamte Dieseltechnologie in großen Misskredit gebracht. Erst am Donnerstag sah sich Mercedes wieder einmal veranlasst, per Mitteilung zu betonen, dass Wagen der Schwaben keine illegale Software hätten.

In den USA, wo der Abgas-Skandal aufgedeckt wurde, steht VW noch viel mehr am Pranger. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben Volkswagen nicht nur wegen Betrugs und Umweltverstößen verklagt - es drohen milliardenschwere Strafen. Dort ist die Dimension der Vorwürfe auch weitaus größer als hierzulande. "Volkswagen hat die Entscheidung getroffen, bei Abgas-Tests zu schummeln und hat dann versucht, das zu verstecken", wirft die Chefin der US-Umweltbehörde, Mary Nichols, VW vor. "Sie haben weitergemacht und haben die Lüge noch verschlimmert, und als sie erwischt wurden, haben sie versucht, es zu leugnen."

Entsprechend der Gemengelage liegt der Rückrufstart in den USA für die dort knapp 600 000 betroffenen Diesel in weiter Ferne. Einen anfänglichen Rückrufplan wischten den US-Aufseher vor 14 Tagen vom Tisch. Anders als hierzulande droht VW in den USA sogar ein Rückkauf von gut 100 000 Wagen. Eine Welle an Zivilklagen rollt auch noch an.

Interner Unmut

Zu allem Überfluss knatscht es intern gewaltig. Die bei Volkswagen mächtige Arbeitnehmerseite kritisierte erst Anfang der Woche erneut öffentlich die Führungsqualitäten des VW-Markenchefs Herbert Diess. VW-Betriebsboss Bernd Osterloh warf ihm abermals Versäumnisse in der Kommunikation vor und verurteilte dessen Sparziele als realitätsfern.

Und - auch das noch - schon bald wird bei VW um den neuen Haustarif für die 120 000 Mitarbeiter im Mutterkonzern gerungen. Die rote Linie ist für Osterloh dabei schon klar. "Die Beschäftigten von Volkswagen haben mit den manipulierten Abgaswerten nichts zu tun. Deshalb muss uns in der Tarifrunde auch kein Manager Lohnverzicht predigen."

Erste Einschläge gibt es derweil schon längst. In Sachsen laufen die Verträge Hunderter VW-Leiharbeiter aus. Erste Medienberichte machen die Runde über angebliche Sparvorhaben des VW-Managements, die "weit mehr als 10 000" Jobs kosten könnten, also auch die Stammbelegschaft träfen. Der Konzern dementierte das umgehend. Doch die Unruhe blieb.

Im VW-Schicksalsjahr gibt es viele weitere absehbare Meilensteine. Etwa den 21. April, wo der Konzern auf seiner Hauptversammlung den Aktionären erklären will, was die Suche nach den Schuldigen ergab. Und schon vorher, am 10. März, gibt es die Jahresbilanz für 2015. Ende Oktober hatte der Dax-Riese den ersten Quartalsverlust seit mehr als 20 Jahren bekanntgegeben - natürlich auch eine Folge der Affäre.