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PolitikEuropa

Wirtschaft und Politik gehen in Diktaturen Hand in Hand

Alexander Görlach
27. März 2022

Freie Länder dürfen niemals abhängig von Diktaturen und ihren unberechenbaren Herrschern sein. Denn wo das endet, macht in diesen Tagen nicht nur der Krieg in der Ukraine deutlich, meint Alexander Görlach.

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Zitattafel Alexander Görlach 250322

Diese Enthüllung von tagesschau.de hatte es in sich: Die vor allem bei jungen Menschen beliebte, aus China kommende App TikTok soll in den Augen der chinesischen Führung kritische Begriffe auch in Deutschland ausgefiltert haben. Konkret geht es um Schlagworte, die mit Rechten von Minderheiten zusammen hängen, insbesondere von Transgender-Menschen.

Darüber hinaus wurden im deutschen TikTok-Ableger Suchbegriffe zensiert, die das Verschwinden der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai thematisieren. Diese hatte den Missbrauch durch einen hochrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei Chinas öffentlich gemacht und war daraufhin wochenlang von der Bildfläche verschwunden. Zudem soll TikTok verhindert haben, dass Inhalte, die mit dem Völkermord an den Juden in der Nazi-Zeit zu tun haben, angezeigt werden. In Deutschland ist die Leugnung des Holocaust strafbar.

Allein China im Sicherheitsrat an der Seite Russlands

Diese Nachricht kommt in einem Moment, in dem viele Länder auf der Welt ihre Haltung zur Diktatur in Peking nach langem Zögern endlich ändern. Chinas Unterstützung für den grausamen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Am Mittwoch (23.03.) stimmte die Volksrepublik als einziges Land im UN-Sicherheitsrat gemeinsam mit Russland für dessen Resolutionsvorschlag zur Ukraine. In dem zynischen Papier war die Rede vom Leid in der Ukraine, ohne dass Russland mit nur einer Silbe erwähnt hätte, dass einzig und allein die Kreml-Diktatur für dieses Leid verantwortlich ist.  

Der UN-Sicherheitsrat tagt zum Krieg in der Ukraine
Mit seinen ständigen Mitgliedern und Veto-Mächten hat sich der UN-Sicherheitsrat längst überlebtBild: Jason Decrow/AP/dpa/picture alliance

Unterdessen mehren sich die Anzeichen, dass Peking, entgegen anders lautender öffentlicher Äußerungen, nun doch plant, Russland in der Ukraine militärisch zu unterstützen. Das in Brüssel gut vernetzte Magazin POLITICO berichtete, dass man für diesen Fall bereits auf höchster EU-Ebene Maßnahmen plane, die die wirtschaftliche Macht Chinas treffen sollen. Die Volksrepublik scheint also bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen, die aus der Unterstützung Moskaus folgen. Bislang waren Beobachter davon ausgegangen, dass Machthaber Xi seinen russischen Counterpart Putin nur so lange unterstützen werde, bis Konsequenzen im Reich der Mitte selbst spürbar werden.

Seidenstraße auch zur militärischen Nutzung

Peking nutzt seine Wirtschaftsmacht schon lange als verlängerten Arm seiner Ideologie. Die Gesellschaft soll demnach insgesamt umgebaut und militarisiert werden. Investitionen in Infrastruktur im In- und Ausland, dort besonders über das Projekt der "Neue Seidenstraße", werden vor allem dann getätigt, wenn China diese Infrastruktur auch militärisch nutzen kann. Angesicht der jüngsten Entwicklung und der Positionierung Chinas unter Xi Jinping kann davon ausgegangen werden, dass auch die Telekommunikations-Technologie des chinesischen Konzerns Huawei für die Ausweitung der Macht Pekings genutzt und missbraucht werden wird.

Luftbild der Baustelle für die bisher Rechenzentren für die "Huawei Cloud" in Chima
Gigantischer Datenspeicher - die Baustelle der bisher 14 Rechenzentren für die "Huawei Cloud"Bild: Ou Dongqu/Xinhua/dpa/picture alliance

Heute ist mehr als deutlich, dass die Ablehnung dieser Technologie, die vor allem die USA, Großbritannien und Frankreich gefordert haben, richtig war. Deutschland ist unter der Ägide von Angela Merkel, wie in vergleichbaren Fällen mit dem russischen Gegenüber auch, eine andere Strategie gefahren. Diese ging - prinzipiell wirtschaftsfreundlich - davon aus, dass Politik Politik, und Wirtschaft Wirtschaft sei, die beiden im Grunde nichts miteinander zu tun hätten. Diese falsche Annahme hatte weder die zunehmende Radikalisierung der Präsidenten Xi und Putin im Blick, noch zog sie in Betracht, dass es jenseits ökonomischer Beweggründe auch Motive für Handeln geben kann, die (ökonomische) Rationalität der Ideologie unterordnet.

Abhängig vom guten Willen von Diktatoren

Das Ergebnis ist die Abhängigkeit von russischer Energie, die es neben anderen europäischen Staaten auch Deutschland nicht erlaubt, völlig mit Russland und seinem Machthaber Putin zu brechen. Sollten neben der Energie weitere für die Sicherheitsarchitektur der freien Welt wichtige Elemente wie die Telekommunikation von Pekings gutem Willen abhängen, steht Deutschland und der EU die nächste Krise ins Haus.

Die Bundesregierung muss daher viel entschiedener mit Diktaturen brechen. Denn am Ende wird es viel, viel teurer, wenn durch Abhängigkeit von Moskau oder Peking die Wirtschaft in eine Rezession rutscht, weil kein Gas mehr geliefert wird oder das Internet nicht mehr funktioniert. 

Dass Peking und Moskau ihre wirtschaftlichen Stellschrauben nutzen werden, kann ohne Zweifel angenommen werden. Der Fall TikTok zeigt, dass Peking an der Kontrolle der öffentlichen Meinung weit außerhalb seiner Landesgrenzen gelegen ist. Auch Russland hat dieses "Interesse" durch seine Versuche der Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 bewiesen. Sicher kann man der letzten Regierung von Angela Merkel vorwerfen, dass sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt habe. Gleichzeitig bleibt es der freien Welt hoch anzurechnen, dass sie versucht hat, Russland und China einzubinden. Dass sich die Haltung Deutschlands gegenüber Xi und Putin nun aber grundlegend ändern muss, ist überdeutlich. Es kann eben der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.