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"Verbrechen an Kashoggi niemals vergessen"

Diana Hodali
19. November 2020

Dass Saudi-Arabien den G20-Gipfel ausrichten darf, legitimiere dessen Taten, kritisiert Hatice Cengiz im DW-Interview. Es gehe um mehr als den Mord an ihrem Verlobten, den Journalisten Jamal Kashoggi.

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Schweiz Zürich Hatice Cengiz
Bild: Arnd Wiegmann/Reuters

Die türkische Wissenschaftlerin Hatice Cengiz war mit dem ermordeten saudischen Journalisten Jamal Kashoggi verlobt. Die damals 36-Jährige war erst spät in Kashoggis Leben getreten. Als sie beschlossen zu heiraten, kannten sie sich etwa ein halbes Jahr. Am 2. Oktober 2018 fuhren beide gemeinsam zum saudischen Konsulat in Istanbul, um ein Dokument abzuholen, das Kashoggi bescheinigte, ledig zu sein. Hatice Cengiz wartete damals vor dem Konsulat - vergeblich: Kashoggi kehrte nie zurück. Der 59-Jährige wurde von einem saudischen Tötungskommando ermordet. Erst unter internationalem Druck und nach wochenlangen Dementis räumte die saudi-arabische Regierung ein, Kashoggi sei "bei einem missglückten Einsatz zu seiner Festnahme" getötet worden. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) soll nach Einschätzung des US-Geheimdiensts CIA die Tötung des Journalisten Jamal Kashoggi angeordnet haben.

Seit dem Mord fordert Hatice Cengiz die Aufklärung des Verbrechens und Gerechtigkeit für ihren Verlobten. Sie hat sogar in den USA den mächtigen Kronprinzen des Öl-Staates, Mohammed bin Salman und 28 weitere Personen, auf Schadenersatz verklagt. Der Prozess in Istanbul geht derweil am 24. November in eine weitere Runde.

Menschenrechtsverletzungen in Saudi Arabien

Deutsche Welle: Frau Cengiz, seit der Ermordung ihres Verlobten prangern Sie die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien an. Was halten Sie davon, dass der virtuelle G20 Gipfel von Saudi-Arabien ausgerichtet wird?

Hatice Cengiz: Saudi-Arabien ist der Gastgeber eines sehr wichtigen Gipfels. Doch auch wenn dieser nur virtuell stattfindet, legitimiert das die Taten Saudi-Arabiens. Wir sollten laut sagen, dass etwas in dem Land nicht gut läuft. So viele westliche Länder werden an dem Gipfel teilnehmen. Was mit Jamal passiert ist, ist ein großes Verbrechen. Wir wissen nicht einmal wo seine Leiche ist. Das sollte keiner hinnehmen. Das alles ist größer als ich, als Sie, als wir alle. Wir sollten den Mördern nicht gestatten, mit diesem Verbrechen davon zu kommen.

 Uncensored Library | Reporter ohne Grenzen | Hatice Cengiz
Der saudische Journalist Jamal Kashoggi mit seiner Verlobten Hatice CengizBild: Reporter ohne Grenzen

Wenn Sie sagen, dass das Thema größer ist als der Fall von Jamal Kashoggi, meinen Sie damit auch die Situation von Menschenrechtlern wie Loujain al-Hathloul, die seit Mai 2018 im Gefängnis sitzt?

Ja, genau darum geht es. Ich habe keine Möglichkeit mehr, mein Leben mit Jamal zu verbringen. Er ist tot und wird nicht zurückkommen. Aber ich habe Hoffnung für Menschen wie Loujain al-Hathloul und andere politische Gefangene in Saudi-Arabiens Gefängnissen. Wenn wir über Jamal reden, dann reden wir automatisch auch von ihnen. Es ist wichtig, dass in den internationalen Medien weiter über sie berichtet wird. Ich habe Hoffnung für sie alle.

Würden Sie sagen, dass die Welt die Ermordung von Jamal Kashoggi einfach hingenommen hat?

Darüber zu reden, bedeutet mir viel. Es bedeutet, dass er nicht vergessen wurde und auch das Verbrechen an ihm nicht. Noch hat niemand die Mörder meines Verlobten zur Rechenschaft gezogen. Wir arbeiten auch daran, wahre Gerechtigkeit zu erzielen. Dieses Verbrechen darf nie vergessen werden. Wenn Jamal noch am Leben wäre, wäre er glücklich zu sehen, was gerade alles passiert.

Gerechtigkeit für Jamal Kashoggi

Seit zwei Jahren widmen Sie sich der Aufklärung des Mordfalls und suchen nach Gerechtigkeit. Sie haben auch MbS in den USA verklagt. Wie geht es Ihnen seither?

Ich habe nicht geplant, was ich gerade mache. Manchmal hat das Leben aber andere Pläne für einen als man selbst. Ich hätte nie gedacht, dass ich seit zwei Jahren Gerechtigkeit für Jamal fordere. Aber es geht eben nicht nur darum, dass ich das Trauma überwinde, das ich seit dem 2. Oktober 2018 durchlebe. Es geht auch nicht ausschließlich um Gerechtigkeit für Jamal. Ich habe das Recht vor Gericht zu ziehen, und ich suche überall nach Gerechtigkeit, in den USA und auch in der Türkei. Aber hatte ich geplant, eine Kämpferin zu werden? Nein, sicher nicht. Ich folge meinem Gefühl: Und ich fühle einen großen Schmerz. Ich gebe mein Bestes, auch um meine Selbstachtung zu wahren.

Bisher gibt es Indizien, die besagen, dass Mohammed bin Salman den Auftrag zur Ermordung ihres Verlobten gegeben hat. Viele nennen Sie seine größte Widersacherin. Sehen Sie sich als solche?

Ich denke, Saudi-Arabien hat seinem Ruf als muslimischem Land selbst Schaden hinzugefügt. Das ist eine Schande. Ich habe mir meine Situation nicht ausgesucht. Mein Engagement geht nicht gegen die Menschen in Saudi-Arabien. Aber das, was getan wurde, ist nicht hinnehmbar.

USA Washington | Mohammed bin Salmad während Treffen mit Jim Mattis im Pentagon
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman soll den Mord an Jamal Kashoggi befohlen habenBild: picture-alliance/AP Photo/C. Owen

"Manchmal habe ich Angst"

Sie prangern die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien an, schweigen aber zu denen in der Türkei. Wie kommt es, dass Sie dazu nicht Stellung nehmen?

Wissen Sie, jeder hat sein Thema. Plötzlich ging es in meinem Leben um ein großes Verbrechen. Und ich denke, ich sollte darüber sprechen. Ich repräsentiere ja auch nicht die türkische Regierung. Im Bezug auf die Ermordung von Jamal kann ich den türkischen Behörden keinen Vorwurf machen. Sie haben mich unterstützt. (Anm. der Redaktion: Die türkischen Behörden haben im März 2020 Anklage gegen 20 Personen erhoben. Sie suchen auch nach der Leiche von Kashoggi.) Die Türkei hat Saudi-Arabien nicht erlaubt, diesen Mord zu vertuschen. Diese Menschen haben meinen Mann, meinen Partner und meine Zukunft getötet.

Haben Sie manchmal Angst, dass Ihnen etwas zustoßen könnte?

Ja, manchmal habe ich Angst. Es ist keine alltägliche Sache, die ich mache. Ich rede jeden Tag über dieses Verbrechen und über die Mörder.

Was erhoffen Sie sich für die Aufklärung dieses Mordfalls?

Bitte vergessen Sie alle nie, was mit Jamal passiert ist. Wir sollten dafür sorgen, dass die Mörder von Jamal bestraft werden. Außerdem sollte sich die Welt für mehr Menschenrechte im Nahen Osten einsetzen. Das, was Jamal passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Die Menschen im Nahen Osten haben ein Recht darauf, ihre Meinung zu sagen, ohne jedes Mal dafür ihr Land verlassen zu müssen.