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"G20-Treffen werden vage bleiben"

30. November 2016

Deutschland übernimmt den Vorsitz bei der G20, dem Club der großen Wirtschaftsmächte. Doch das wird dem Treffen kein neues Leben einhauchen, glaubt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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China G20 Gipfel in Hangzhou Kanzlerin Merkel
Bild: Reuters/N. Asfonri

Deutsche Welle: Deutschland übernimmt jetzt für ein Jahr die Präsidentschaft der G20, einem Club der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer plus Vertreter der Europäischen Union. Weit oben auf der deutschen Agenda steht das Thema Migration. Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft, dass weniger Flüchtlinge aus Afrika nach Europa kommen, wenn sie den Herkunftsländern Geld für den wirtschaftlichen Aufbau anbietet. Was ist von einer Diskussion dieses Themas im Rahmen der G20 zu erwarten?

Heribert Dieter: Die anderen Länder in der G20 werden von diesem Vorschlag nicht begeistert sein. Wir haben in diesem Jahr gesehen, wie kritisch das Thema Migration in vielen Gesellschaften gesehen wird, es spielte im US-Wahlkampf ebenso eine Rolle wie bei der Entscheidung der Briten gegen eine Fortsetzung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Von daher ist nicht zu erkennen, dass die anderen Staaten darauf warten, das Thema nun im Kreis der G20 zu diskutieren.

Das Thema freier Handel steht ebenfalls auf der Agenda der Deutschen. In einem Papier der Bundesregierung heißt es, in den Industriestaaten gebe es "Zweifel an den Vorteilen der Globalisierung und des freien Handels, die teilweise von populistischen Bewegungen aufgegriffen werden". Nicht erwähnt, aber wohl gemeint ist hier auch der künftige US-Präsident Donald Trump. Der hat sich ja im Wahlkampf deutlich gegen Freihandelsabkommen ausgesprochen. Ist bei diesem Thema ein richtiger Streit in der G20 zu erwarten?

Ja, bei diesem Thema wird es eine heftige Diskussion geben. Wobei man noch nicht genau weiß, ob Herr Trump wirklich gegen Freihandel oder nur gegen spezifische Freihandelsabkommen ist. Kritik an den Folgen der liberalen Handelspolitik der letzten Jahrzehnte gibt es vor allem in den Industrieländern. Sie ist weniger verbreitet in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Für diese Länder ist die Liberalisierung des Handels eher ein Anlass zur Hoffnung als zur Sorge. Die Frage ist natürlich, wie man damit umgeht. Wird man versuchen, die multilaterale Handelsordnung wieder zu vitalisieren, also Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO? Noch ist völlig offen, wie das Thema in der G20 diskutiert werden wird.

Heribert Dieter, Wirtschaftsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
Heribert Dieter, Wirtschaftsexperte der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

Der nächste G20-Gipfel wird im Juli 2017 in Hamburg stattfinden. Das ist zwei Monate vor der Bundestagswahl und für die Bundeskanzlerin eine gute Gelegenheit, sich im Wahlkampf mit den Mächtigen der Welt zu zeigen. Wie wichtig ist es für Merkel, den Gipfel als harmonisch und erfolgreich darstellen zu können?

Vielleicht verläuft das Treffen harmonisch. Aber ob es Erfolge bringen wird, steht völlig in den Sternen.

Größere Bedeutung erlangten G20-Gipfel erst durch die Finanzkrise ab 2008, als es um die Stabilisierung der Weltwirtschaft ging. Im Lauf der Jahre wurde die Beschlüsse dann zunehmend vage, das diesjährige Treffen im chinesischen Hangzhou wurde sogar "Gipfel des Unkonkreten" genannt. Wird sich das in Zukunft wieder ändern?

Die Treffen werden vage bleiben. Die G20 wird erst dann wieder Erfolg haben, wenn die nächste Finanzkrise kommt. In der Bewältigung von Krisen ist die Gruppe besser als in der Verhinderung neuer Krisen. Ein Mitglied des amerikanischen Zentralbankrates hat gerade vorgeschlagen, die Eigenkapitalausstattung großer Banken massiv zu erhöhen. Das werden die Amerikaner aber nicht in der G20 vorantreiben, sondern auf nationaler Ebene. Und das ist das Dilemma der G20: Die Probleme werden erkannt, aber sie werden auf nationaler Ebene gelöst und nicht gemeinsam.

Woran liegt das?

Den Amerikanern dauert das zu lange. Sie haben eine schwere Finanzkrise erlebt und die G20 genutzt, um einen Absturz der Weltwirtschaft zu verhindern. Aber in den Monaten nach der Krise hat sich die G20 als vergleichsweise schwerfällig erwiesen. Deswegen sind die Amerikaner mit eigenen Initiativen vorgeprescht. Die anderen machen das jetzt alle nach. Mit der Folge, dass wir jetzt überall kleine Regulierungsinseln haben. Der britische Economist nennt das die 'Balkanisierung der Finanzmärkte'. Die Kooperation auf globaler Ebene tritt dabei in den Hintergrund.

Das Treffen in Hamburg wird der erste G20-Gipfel mit Donald Trump sein. Wird er dem Treffen seinen Stempel aufdrücken?

Ich glaube, dass er in Hamburg nicht als Zampano auftreten wird, sondern vergleichsweise moderat. Aber es ist einfach noch zu früh, um sagen zu können, wie er sich auf der internationalen Bühne verhalten wird. Wir wissen noch nicht, wie er sich positioniert. Wir wissen ja nicht mal, ob er überhaupt kommt.

Heribert Dieter ist Wissenschaftler bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit den Arbeitsschwerpunkten Global Governance sowie Entwicklungs-, Handels-und Finanzpolitik. Außerdem ist er Gastprofessor für Internationale Politische Ökonomie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

Die Fragen stellte Andreas Becker.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.