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Politik

G20 und die Klimaziele - die Chancen stehen schlecht

Barbara Wesel
30. Oktober 2021

Zum ersten Mal seit zwei Jahren treffen sich in Rom die Spitzen der wichtigsten Industrienationen wieder persönlich zu einem Gipfel. Aber es sind keine neuen Klimaziele zu erwarten. Aus Rom berichtet Barbara Wesel.

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Der britische Premierminister Boris Johnson und US-Präsident Joe Biden reden mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan
Bild: Kevin Lamarque/Pool/AP/picture alliance

Die Wagenkolonnen von Joe Biden und den anderen Regierungschefs der G20 rollten an diesem Samstag durch die abgesperrten Straßen der römischen Innenstadt, während 5000 Polizisten und Soldaten sie von Klimademonstranten trennten. Die Spitzenpolitiker sind in ihren Regierungsjets gekommen und werden damit nach Glasgow zu den COP26-Verhandlungen weiterreisen. Kritiker in den sozialen Medien nennen das "Heuchelei", aber schwerer wiegt wohl das zu erwartende Versagen: Obwohl die G20 den Klimagipfel vorbereiten sollten, sind kaum neue bindende Ziele zu erwarten. In der vorbereiteten Abschlusserklärung stehen alle ernsthaften Verpflichtungen noch in Klammern, das heißt: Es gibt Widerstände, sie zu unterschreiben.

Die Jungen bleiben draußen

Tausende junge Demonstranten von "Fridays for Future" und anderen Klimagruppen protestierten gegen die Inaktivität der Politik, während die Regierungschefs in der gläsernen Wolke, dem hypermodernen Kongresszentrum im abgesperrten Stadtteil Eur zunächst über die Mindesteuer und die Überwindung von COVID-19 sprechen.

Mit US-Präsident Biden, Italiens Premier Mario Draghi und der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel, die ihren mutmaßlichen Nachfolger Olaf Scholz schon zum Eingewöhnen mitgebracht hat, sind einige der erfahrensten Politiker auf der internationalen Bühne versammelt. Aber wichtig sind hier gerade die, die nicht gekommen sind: der chinesische Präsident Xi Jinping und Russlands Wladimir Putin. Beide wollen nur per Video teilnehmen, sowohl am G20 Treffen wie an den COP26-Verhandlungen.

G20 Gipfel in Rom | Proteste
NGOs, Klimagruppen oder kritische Forscher bleiben hier in Rom vor der Gipfel-TürBild: Yara Nardi/REUTERS

NGOs, Klimagruppen oder kritische Forscher bleiben hier vor der Tür. Rumen Grabow etwa ist aus Greifswald nach Rom gereist: "Wir sind eine verzweifelte junge Generation", sagt der 20-Jährige, "die letzte Generation, die es noch rumreißen kann". Er sei auch bereit, Gesetze zu übertreten, weil die friedlichen Mittel nicht mehr ausreichten. Rumen ist für das Klima auch schon in den Hungerstreik getreten und warnt vor Apathie: "Wir haben nur noch einige Jahre Zeit, in denen wir handeln müssen, das Haus steht in Flammen." Er hoffe, dass die nächste Bundesregierung mehr für das Klima tun werde, als Angela Merkel in den letzten 16 Jahren.

Seine Gefühle hat am ehesten UN-Generalsekretär Antonio Guterres getroffen, der zu Beginn des Treffens warnte: "Wenn die G20-Regierungen nicht aufstehen und die Anstrengungen gegen die Klimakrise anführen, dann bewegen wir uns auf furchtbares menschliches Leiden zu." Er fordert auch, dass zerstörte Vertrauen zwischen den G20-Nationen sowie den Entwicklungsländern wiederherzustellen. Dabei steht im Mittelpunkt ein Fonds von 100 Milliarden Dollar, der ihnen helfen soll, die Folgen des Klimawandels aufzufangen. Der französische Präsident Emmanuel Macron und andere Europäer bekennen sich dazu, aber es fehlen weitere Zusagen.

Die Erfolge in Rom sind tiefhängende Früchte

Die bereits vor Wochen bei den G20-Finanzministern vereinbarte globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen wurde in Rom schließlich auf Ebene der Regierungschefs abgesegnet. Sie soll es Großkonzernen erschweren, Steuern durch spezielle Deals oder Verschiebungen über Ländergrenzen zu minimieren. Nach jahrelangen Verhandlungen wird die Mindeststeuer jetzt als großer Erfolg gefeiert und soll auch helfen, Bürgerzorn gegen soziale Ungerechtigkeiten abzumildern. Wie wirkungsvoll sie tatsächlich ist und ob es keine neuen Schlupflöcher gibt, wird sich bei ihrer Umsetzung zeigen.

Bundeskanzlerin Merkel begrüßte die geplante Einführung einer weltweiten Mindeststeuer für Unternehmen. "Das ist ein klares Gerechtigkeitssignal", sagte Merkel am Rande des G20-Gipfels in Rom. Die Mindestunternehmensbesteuerung sei ein großer Erfolg.

Als Erfolg werden in Rom auch weitreichende Versprechen im Kampf gegen die Pandemie verbucht. Erst die Hälfte der Erdbevölkerung hat bis jetzt eine COVID-19-Impfung erhalten, noch immer sterben nach Angaben der WHO täglich mehr als 7000 Menschen an der Seuche. Die G20 verpflichteten sich auf das Ziel, bis Mitte nächsten Jahres 70 Prozent der Menschen weltweit zu impfen.

Allerdings bleibt trotz intensiverer Bemühungen etwa zum Aufbau von Produktionsstätten für Impfstoff in Afrika oder Südamerika offen, wie das gelingen soll. Die USA haben insgesamt über eine Milliarde Dosen Impfstoff für ärmere Länder zugesagt. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte einmal mehr, die Europäische Union sei der größte Impfstoffexporteur weltweit: Sie will bis Mitte nächsten Jahres 700 Millionen Dosen Impfstoff an die Entwicklungsländer liefern.  

Südafrika Covid-19 Impfung in Soweto
Die G20 verpflichteten sich auf das Ziel, bis Mitte nächsten Jahres 70 Prozent der Menschen weltweit zu impfenBild: Siphiwe Sibeko/REUTERS

Aber von den politischen Versprechen bis zum Eintreffen des Impfstoffs bei den Bedürftigen scheint ein weiter Weg. Bisher wurden von der EU nur rund ein Viertel der bis Ende 2021 versprochenen Mengen an ärmere Länder geliefert. Vielfach werden logistische oder rechtliche Probleme und die Bürokratie bei Covax, der Impfkampagne der WHO, als Grund für die Verzögerungen angeführt. 

Präsident Putin trägt zu diesem Thema in Rom die Forderung bei, russische Impfzertifikate sollten international anerkannt und die Genehmigung von Impfstoffen, wie dem russischen Sputnik, beschleunigt werden. Bisher ist die europäische Genehmigungsbehörde EMA bei ihrer Prüfung hier noch zu keinem Ergebnis gekommen.

Am Sonntag geht es um die Kohle

Die wirklich strittigen Punkte beim G20-Gipfel kommen an diesem Sonntag auf den Tisch: Der weltweite Kohleausstieg und die konkreten Klimaziele für die einzelnen Länder. Gastgeber Mario Draghi sucht Zustimmung für eine "weitgehend kohlefreie Energiegewinnung" bis in die 2030er Jahre und das sofortige Ende der internationalen Finanzierung für Kohlekraftwerke.   

Aber China als weltweit größter Emittent von CO2 hat schon vor dem G20-Treffen klar gemacht, wozu die Regierung in Peking bereit ist: Sie stellt zwar Bau und Finanzierung von Kohlekraftwerken international ein, sagt jedoch nichts zur nationalen Entwicklung. Und erst 2060 will das Land CO2-neutral sein. Ein schnelles Umsteuern ist auch von Indien nicht zu erwarten, wo der Kohleverbrauch wegen Störungen in der Energieversorgung zuletzt dramatisch angestiegen ist. Und Joe Biden wiederum konnte seine Klimaziele noch nicht durch den Kongress bringen.

Besonderes Ziel der Kritik ist auch der australische Premier Scott Morrison. Die italienische Wirtschaftszeitung "Il sole 24 hore" veröffentlichte auf ihrer Titelseite eine Anzeige mit der Forderung: "Lasst Australien beim Klimawandel nicht betrügen" und "Die australische Regierung will beim Klima nicht handeln". Australien ist weltweit führendes Exportland für Kohle. Die Regierung hat zwar gerade die Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel erklärt, reklamiert aber einen australischen Sonderweg, der die weitere Förderung fossiler Brennstoffe einschließt.  

Italy G20 Summit
Der G20-Gipfel begann mit Aufrufen zu einer engeren ZusammenarbeitBild: Ludovic Marin/Poo/AP/picture alliance

Das G20-Treffen soll politisch den Boden bereiten für die detaillierteren Verhandlungen bei der COP26 in Glasgow, aber die Stimmung deutet nicht auf weitergehende Zugeständnisse bei vielen Mitgliedern. Demgegenüber warnt der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung vor einer weit dramatischeren Erderwärmung als bisher erwartet: "Wir steuern auf die vier Grad zu", sagt Ottmar Edenhofer im Interview mit der "Osnabrücker Zeitung". Schreckensbotschaften wie diese finden jedoch in vielen Hauptstädten weiterhin kein Gehör.