G7 ringen um Ukraine-Hilfspaket
19. Mai 2022Der Schah von Persien war schon hier, auch die Queen, Michail Gorbatschow, Bill Clinton, Nelson Mandela und Kaiser Akihito von Japan. Das Luxushotel auf dem 340 Meter hohen Petersberg nahe Bonn hat schon viele berühmte Menschen beherbergt. Von hier oben hat man einen wunderbaren Blick auf den Rhein, der unterhalb vorüber zieht, und auch auf die Skyline der 30 Kilometer entfernten Millionenstadt Köln - oder zu den Hügeln der Eifel, wenn man in die andere Richtung schaut.
Nicht verwunderlich, dass der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP), der in Bonn studiert hat, diesen Ort für das Treffen mit seinen Amtskolleginnen und -kollegen der G7 ausgewählt hat. Wobei der Ort des Geschehens und der Zustand der Welt in keiner Weise zusammenpassen. Hier ein Idyll, dort eine Welt, die seit Russlands Krieg gegen die Ukraine aus den Fugen gerät. Entsprechend beherrscht das Thema die Tagesordnung des zweitägigen Treffens.
Ukraine-Krieg verändert die Tagesordnung
Ursprünglich sollte es um die Stärkung der Widerstandskräfte der Volkswirtschaften gehen, die durch milliardenschwere Konjunkturhilfen während der Corona-Krise und durch die von der Pandemie ausgelösten Lieferketten-Probleme ziemlich angezählt sind, erst recht durch eine immer höhere Inflation. Jetzt aber rückt der Überfall Russlands in den Mittelpunkt der Beratungen der G7.
Die sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten (USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien) - ein Kreis, der Mitte der 1970er Jahre vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem französischen Präsidenten Valérie Giscard d'Estaing ins Leben gerufen worden war. Hintergrund damals waren schwere wirtschaftliche Verwerfungen in Folge einer Ölpreiskrise.
Jetzt sind es wieder Energiesorgen, die auf den Volkswirtschaften lasten. Russlands Invasion lässt den Westen über ein Ölembargo nachdenken, auch von sibirischem Gas will man loskommen. Das alles ist leichter gesagt als getan, denn die Abhängigkeit von diesen Drogen ist hoch, besonders in Deutschland. Und es treibt die Preise, was nicht nur Autofahrer an den Tankstellen bemerken - sondern praktisch alle Unternehmen. All das lässt die Inflation in Besorgnis erregende Höhen steigen, die Briten vermeldeten gestern einen Anstieg von neun Prozent, Deutschland ist nicht mehr weit davon entfernt.
Strafzoll auf russisches Öl?
Die russische Aggression verschärft zudem den Hunger in der Welt. "Russland hat einen Kornkrieg begonnen, der eine globale Nahrungsmittelkrise anfacht", so hatte es die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwoch in New York gesagt. Auch das ist ein Thema bei den Gesprächen der Finanzminister auf dem Petersberg, genau wie die heikle Schuldenlage vieler Entwicklungsländer.
Die Entwicklungsorganisation One forderte von den G7 einen klaren Plan für Schuldenerleichterungen. Allein in Afrika drohe 23 Ländern der Staatsbankrott. "Wenn die G7 im Angesicht von Corona-Pandemie, Wirtschafts- und Schuldenkrise sowie Hungersnot in Afrika nicht liefern, dann muss die Frage erlaubt sein, warum sie sich überhaupt treffen", erklärte der Direktor von One Deutschland, Stephan Exo-Kreischer, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Besprochen wird auch die Frage, Auslandsvermögen der russischen Zentralbank zu beschlagnahmen, um damit den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Da müsse man sehen, was rechtlich möglich sei, hatte Bundesfinanzminister Lindner vor dem Treffen in einem Interview gesagt: "Wir müssen die Rechtsstaatlichkeit respektieren, auch wenn wir es mit russischen Oligarchen zu tun haben", so Lindner.
Auf den Verhandlungstisch kam auch eine neue Idee, die US-Finanzministerin Janet Yellen mitgebracht hatte. Ihr Vorschlag: Das geplante Öl-Embargo mit einem "Preismechanismus" zu kombinieren und russische Öl-Importe mit einem Strafzoll zu belegen. Das würde man, so Yellen, schneller umsetzen können als das innerhalb der EU umstrittene Embargo. Russisches Öl würde im Markt bleiben (damit könnte eine Entspannung beim Ölpreis einher gehen), gleichzeitig würden die Geldströme nach Moskau eingedämmt.
Deutschland gibt eine weitere Milliarde für die Ukraine
Ging es am Vormittag des ersten Tages auf dem Petersberg noch vergleichsweise entspannt zu - vor dem sogenannten Familienfoto hatte es ein Symposium mit prominenten Wirtschaftswissenschaftlern zu verschiedenen Themen gegeben - so wurde es am Nachmittag in den Arbeitssitzungen spannend: Würde es gelingen, die von der Ukraine gewünschte schnelle Finanzhilfe von 15 Milliarden Dollar für die nächsten drei Monate zusammen zu bekommen? "Es geht darum, die Handlungsfähigkeit des ukrainisches Staates sicherzustellen", hatte Lindner zu Beginn des G7-Treffens gesagt. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal war dabei zugeschaltet, auch der Finanzminister des Landes nahm teil. Schmyhal twitterte, es seien praktische Schritte besprochen worden, um seinem Land zu helfen." Die Ukraine verteidigt die gesamte zivilisierte Welt. Hilfen unserer Partner werden unseren Sieg beschleunigen."
Kiew braucht das Geld, um weiterhin Gehälter für Lehrer und Beamte zahlen zu können und staatliche Betriebe der Infrastruktur am Laufen zu halten. Die Amerikaner hatten bereits 7,5 Milliarden Dollar im Gepäck, als sie hier auf dem Petersberg ankamen. Der deutsche Gastgeber war zunächst noch zurückhaltend, Lindner wollte seine Finanzzusage noch in die in Berlin laufenden Haushaltberatungen einbringen. Entsprechend zogen sich die Verhandlungen in die Länge. Am Nachmittag verkündete der Minister, Deutschland werde die Ukraine mit kurzfristigen Budgethilfen von rund einer Milliarde Euro unterstützen. Auch andere Staaten wollten laut Lindner einspringen. Insgesamt wollen die G7 offenbar 18,4 Milliarden Dollar an Transferleistungen und Krediten zusagen. Diese Zahl wird in einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Treffens genannt, die der Nachrichtenagentur Reuters am Abend vorlag.
Da hatten die Delegationen vorerst den Petersberg verlassen, um sich auf der anderen Seite des Rheins, in Bonn, ins Goldene Buch der Stadt einzutragen. Später dann war ein gemeinsames Abendessen vorgesehen in der Villa Hammerschmidt in Bonn, ein ebenfalls historisches Haus. Die spätklassizistische Industriellenvilla am Rhein war bis 1994 Amts- und Wohnsitz des Bundespräsidenten und wird seit dem Umzug der Regierung nach Berlin weiter als zweiter Amtssitz genutzt. Am Freitag werden die Beratungen auf dem Petersberg fortgesetzt, gegen Mittag soll dann die Abschlusserklärung der G7 veröffentlicht werden.