"Demonstranten wollen Ende des Regimes"
17. Februar 2011DW-WORLD.DE: Für diesen Donnerstag (17.02.2011) hatten Oppositionelle zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen. Was genau fordern die Demonstranten denn?
Karim El-Gawhary: Die fordern im Grunde genommen genau das gleiche wie die ägyptischen Demonstranten, nämlich ein Ende des Regimes. Man hört genau die gleichen Rufe, die wir vom Tahrir-Platz kennen: "Schluss mit dem Regime, Schluss mit Gaddafi". Der Nachbarstaat Libyen liegt zwischen den beiden "befreiten Staaten" Ägypten und Tunesien, und das bringt die Leute auch dort auf die Straße.
Könnte Libyen denn jetzt zu einem zweiten Ägypten werden?
Die Situation für die Demonstranten ist dort sehr schwierig, weil auch die jeweiligen Regimes aus den Fehlern der Vorgänger lernen. Die ägyptischen und tunesischen Regimes sind häppchenweise gegen die Demonstranten vorgegangen. In Libyen haben wir eine andere Situation: Der Sicherheitsapparat geht mit voller Kraft voraus. Heute gehen nicht nur die Polizei, sondern auch die bezahlten Schläger auf die Demonstranten los. Gleichzeitig hat das Regime gelernt, selbst das Internet zu nutzen. Heute Morgen wurden über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter von Seiten des Regimes Nachrichten verbreitet. Man solle heute nicht auf die Straße gehen, weil die Polizei mit scharfer Munition schießen wird. Das Regime versucht die Mittel der Demonstranten zu nutzen, und es geht mit noch viel größerer Polizei- und Prügelgewalt vor. Das ist eine neue Situation. Und das macht es für die Demonstranten in Libyen sehr schwer.
Wie viel Ausdauer trauen sie den Demonstranten denn zu?
Ich glaube, dass sie inspiriert sind von Ägypten und Tunesien. Wenn sie sehen, was jetzt auch in Bahrain und anderen Ländern stattfindet, wird das ihren Durchhaltewillen zusätzlich stärken. Die libysche Regierung versucht jetzt schon die Aktivisten zu Hause festzunehmen. Am Vortag Proteste sind einige bekannte Leute, von denen dieses libysche Regime meint, dass sie hinter den Demonstrationen stecken, festgenommen worden. Das Regime versucht, von Anfang an aufzuräumen.
Wie gefährlich kann die Lage denn für Staatschef Gaddafi werden?
Das hängt davon ab, ob die Libyer das schaffen, was die Ägypter geschafft haben, nämlich mit jedem Tag mehr Leute auf die Straße zu bringen und diese kritische Masse zu erreichen, die dieser Sicherheitsapparat nicht mehr in den Griff bekommt. Das ist ja genau das, was das Regime zu verhindern versucht. Es versucht die Leute so weit wie möglich durch diesen Rundumschlag einzuschüchtern. Weder in Ägypten noch in Tunesien hat diese Strategie der Einschüchterung funktioniert. Bisher haben die arabischen Regimes auch in Bahrain keine andere Antwort auf diese Herausforderung gefunden als ihren Sicherheitsapparat einzusetzen, zwar etwas massiver, sonst hat man aber glaube ich wenig daraus gelernt.
Welche Mittel könnte Gaddafi neben Einschüchterung und Gewalt noch einsetzen, um sich die Macht zu sichern?
Gaddafi hat im Unterschied zu Mubarak relativ viel Geld zur Verfügung, durch sein Öl und ähnliches. Er kann also versuchen, die Forderung nach sozialen Rechten zu lindern. Das ist ein großes Thema in Libyen. Es geht den Leuten nicht nur um politische Freiheiten. Es gibt gerade in der Stadt Bengasi, wo wir jetzt die Demonstrationen haben, große Probleme. Da wurden den Leuten Sozialwohnungen mit billigen Krediten versprochen, und da warten die Leute heute noch darauf – viel zu lange, ihrer Meinung nach. Sie haben schon begonnen, diese Häuser zu besetzen. Also was diese soziale und wirtschaftliche Komponente angeht, hat das libysche Regime sicher einen größeren Spielraum als das ägyptische, um die Proteste etwas zu lindern.
Wenn sie jetzt eine Prognose wagen: Wie wird es in den nächsten Tagen und Wochen in Libyen weitergehen?
Wenn diesem Regime nichts anderes einfällt als dem ägyptischen, nämlich den Sicherheitsapparat einzusetzen, dann, glaube ich, werden sich dort die Leute langfristig nicht einschüchtern lassen.
Das Gespräch führte Katrin Ogunsade
Redaktion: Sven Töniges
Karim El-Gawhary, Jahrgang 1963, arbeitet seit fast zwei Jahrzehnten als freier Nahost-Korrespondent mit Sitz in Kairo für deutschsprachige Medien. Er leitet zudem das Nahost-Büro für den Österreichischen Rundfunk (ORF).