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Politik

"Führungskrise als ernstes Problem"

14. Februar 2020

Sinkendes Vertrauen in die Top-Politiker weltweit, aber Hoffnung auf Europa - so das Ergebnis einer Umfrage in 50 Ländern. Gallup-Chef Kancho Stoychev erläutert, warum Angela Merkel und der Papst weiter populär sind.

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Vatikan Angela Merkel Papst Franziskus
Gelten als vertrauenswürdig und verantwortungsvoll: Papst Franziskus und Angela Merkel. Bild: Reuters/E.Ferrari

DW: Herr Stoychev, welche sind die großen Trends weltweit, die Sie aus der diesjährigen Gallup-Umfrage zur Bewertung von Spitzenpolitikern ablesen?

Kancho Stoychev: Wenn wir uns das Global-Leaders-Rating ansehen, ist die wichtigste Tendenz, dass diese Ratings weltweit schlechter werden, fast ohne Ausnahme. Wir registrieren also eine Leadership-Krise, die sich verschärft. Und das ist ziemlich gefährlich, denn wir haben zwölf politische Führungspersönlichkeiten gemessen, und diese Politiker repräsentieren über vier Milliarden Menschen, das ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Das heißt, wir haben eine politische Krise bezüglich der Spitzenpolitiker. Wenn wir eine Krise bei den politischen Führungspersönlichkeiten in mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung haben, ist das ein ernstes Problem.

Ganz oben auf der Skala stehen der Papst und die deutsche Bundeskanzlerin - sie haben weiterhin die positivsten Bewertungen. Was bedeutet das?

Das war eine klare Botschaft von den Menschen rundum den Globus: Sie bevorzugen ein reflektiertes und maßvolles Herangehen, ein verantwortungsvolleres Handeln. Der Papst wird eher als eine Art Referenzgröße, nicht als politische Person wahrgenommen. Er ist ein spiritueller Führer. Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel verhält es sich so: Im Vergleich zu vor drei Jahren hat sie fünf Prozent verloren. Trotzdem ist sie immer noch weltweit die am positivsten bewertete und am meisten akzeptierte Politikerpersönlichkeit. Und das zeigt klar, welche Art von globalem Verhalten die Menschen sich wünschen.

Schlechte Ratings bekommen die politischen Führer der Weltmächte. Was sagt das aus?

Einige politische Führer haben ernsthaft Vertrauen und Ansehen verloren. Und unter diesen haben wir in den letzten drei Jahren einen deutlichen Vertrauens-Rückgang gesehen, zum Beispiel beim indischen Premierminister Modi. Aber auch der russische Präsident Putin und einige andere Spitzenpolitiker sind abgefallen. Bei US-Präsident Trump  ist das Rating im Vergleich zu vor drei Jahren noch so negativ wie es war. Und laut unseren Messungen ist er nach wie vor ganz am Ende der zwölf Global Leader unseres Rankings. Wir befinden uns in einer Zeit in der wir zwei Tendenzen beobachten: Eine "Me-first"-Welt-Tendenz, die Nationalismus etc. befördert und eine "We-are-the-world"-Tendenz. Das heißt: Wir sind verbunden. Wenn die Welt von einer Supermacht dominiert wird, führt dies sofort Richtung Globalisierung, denn die gegenseitige Abhängigkeit wächst. Wenn bildlich gesprochen nur ein Polizist in der Stadt ist, verändern sich die Machtverhältnisse nicht. Aber wir haben diese Situation nicht mehr. Die Welt hat mindestens vier ernsthafte Super-Mächte: USA, Russland, Europa und China. Und in dieser Situation hat sich der Globalisierungs-Prozess nicht nur verlangsamt, sondern es hat gleichzeitig ein neuer Prozess begonnen, der Prozess der Regionalisierung. Regionalisierung nicht nur im geographischen, sondern auch im politischen und kulturellen Sinne.

Kancho Stoychev Präsident Gallup International Association
Sieht Spitzenpolitiker in der Krise - Gallup-Präsident Kancho Stoychev. Bild: Gallup International Association/Tony Tonchev

Ist es nicht paradox - Europa schwächelt, aber die europäischen Spitzenpolitiker genießen das höchste Vertrauen weltweit.

Wie immer gibt es zwei Seiten der Medaille: Europa wird mit großem Abstand weltweit als die große stabilisierende Macht angesehen. Auf der anderen Seite leidet Europa unter einer Reihe von Problemen, etwa dem gerade beendeten Brexit-Prozess. Europa ist vielleicht die letzte große Hoffnung der Menschheit in diesen Tagen für eine vernunftgeleitete, verantwortungsvolle, friedliche Entwicklung in der Welt mit ihrer berühmten "Soft Power". Das Problem ist, dass diese Soft Power vielleicht nicht mehr ausreichend ist. 

Was sind aus Ihrer Langzeit-Beobachtung die großen Trends in Bezug auf Freiheit und Frieden?

In der Langzeitbeobachtung ist der Trend positiv. Gallup macht diese Umfragen seit 73 Jahren. Vor 73 Jahren war überall in den Köpfen der Menschen Krieg etwas normales - und nicht nur in den Köpfen, sondern auch in ihrer Lebenswirklichkeit. Heute ist Frieden die akzeptierte Norm. Und das gleiche gilt nicht nur für eine normative Verhaltensweise der Menschen bezüglich des Friedens, sondern auch bezogen darauf, dass Wachstum die Norm ist. Wir wissen, dass Wachstum in der Geschichte nicht immer da war. Die Menschheit verändert sich. Aber leider verändert sie sich nicht nur, sondern sie ist auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Und wenn wir das globale politische Bild in diesen Tagen betrachten, sehen wir, dass die Konfrontation wächst. Und im Bewusstsein der Massen ist eine wachsende Angst, dass diese neue Weltordnung, die wir errichten müssen, nicht schnell genug gelingt. 

USA Präsident Trump
Macht am liebsten "Me-first-Politik" - US-Präsident Donald Trump.Bild: Imago-Images/UPI Photo/C. Kleponis

In dem Zusammenhang ist wichtig zu sehen, dass die Hoffnung weltweit wächst, dass Europa eine wichtigere Rolle in der Weltpolitik spielt. Und die klare Botschaft ist, dass die europäischen Politiker das nicht nur verstehen, sondern so schnell wie möglich versuchen sollten, ihre internen Kämpfe und Probleme zu überwinden und sich neu aufzustellen, damit sie so schnell wie möglich, am liebsten morgen, die globalen Themen angehen können.

Kancho Stoychev ist der Präsident des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup International.

Das Interview führte Adelheid Feilcke