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Jugend sieht keine Perspektiven in Gambia

Sarah Steffen29. April 2015

Über tausend Gambier haben in den ersten drei Monaten dieses Jahres versucht, Europa zu erreichen. Präsident Yahya Jammeh regiert seit über 20 Jahren mit harter Hand - und auch wirtschaftlich gibt es keine Zukunft.

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Boot mit Flüchtlingen vor Mauretanien (Foto: STR/AFP/Getty Images)
Bild: STR/AFP/Getty Images

Banka Manneh, Chef der Vereinigungen der gambischen Zivilgesellschaft (CSAG), ist wütend, wenn er an den jungen Mann denkt, der sich nun irgendwo zwischen Senegal und Mali befindet. 21, vielleicht 22 Jahre alt sei er, und hochqualifiziert. Ein Tüftler, ein Bastler, der sich aus ausrangierten Elektronikresten riesige Modellflugzeuge baute. Und der jetzt auf dem Weg nach Libyen sei, um dort mit anderen ein Boot nach Europa zu besteigen.

"Als ich junge Menschen fragte: Wisst ihr denn nicht, wie schlimm das ist, wie leicht ihr dort sterben könnt? Da sagten sie mir: 'Ja, das wissen wir. Aber was für eine Wahl haben wir denn? Entweder geben wir hier auf oder sterben unter dem jetzigen Führer [Jammeh]. Unsere einzige Option ist: rausgehen und es versuchen. Wenn wir es schaffen, werden wir ein besseres Leben haben.'"

Manneh sagt, die Jungen im Land hätten keine Chancen im autoritären Gambia unter Langzeitpräsident Yahya Jammeh. Der hat sich vor über 20 Jahren an die Macht geputscht und führt seitdem das Land mit eiserner Hand. "Es verschwinden mehr Menschen, es werden mehr Menschen umgebracht", so Manneh, der inzwischen in den USA lebt. Manneh und die CSAG stehen in regelmäßigem Kontakt mit den Menschen in Gambia. Wirtschaftlich gehe es mit dem Land weiter bergab - kein Wunder, so Manneh, denn alle großen Wirtschaftsbetriebe gehörten einer Person - nämlich Jammeh.

"Jammeh ist das Gesetz"

"Es gibt keine Regeln in diesem Land. Es ist eine Diktatur und Jammeh macht, was er will. Jammeh ist das Gesetz", sagt auch Sidi Sanneh, ehemaliger Außenminister unter Jammeh. 2006 ist er über den Senegal in die USA geflohen. "Es gibt viele Menschen, die im Gefängnis gelandet sind, obwohl sie nichts getan haben."

Yahya Jammeh (Foto: AP)
Präsident Jammeh führt das Land mit harter Hand, seit er sich 1994 an die Macht putschteBild: picture-alliance/AP/Rebecca Blackwell

Das jüngste Beispiel: Ein 14-Jähriger, dessen Vater an dem gescheiterten Putschversuch Ende Dezember 2014 beteiligt gewesen sein soll. "Er sollte mit seinen 14 Jahren in der Schule sein, aber er wurde verhaftet und keiner weiß, wo er ist." Der gescheiterte Putschversuch habe die Situation im Land noch verschärft. Jammeh sei jetzt sehr nervös, so Ex-Außenminister Sanneh.

Besorgniserregende Menschenrechtslage

"Es wird jeden Tag schlimmer", so Sannah. "Es gibt so viele Gambier, die im Gefängnis dahinsiechen. Und so viele Gambier, die bis heute vermisst sind."

Nach dem Umsturzversuch habe es eine erneute "Welle der Unterdrückung" gegeben, sagt auch Marta Colomer von Amnesty International. "Es gibt zunehmend willkürliche Verhaftungen und Festnahmen von Leuten, von denen angenommen wird, dass sie gegen das Regime sind."

Ende August habe Jammeh dazu noch die Straftat der "schweren Homosexualität" eingeführt, berichtet Amnesty International. "Viele der LGBT-Gemeinde (LGBT = Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) haben seitdem unter Unterdrückung zu leiden. Sie wurden festgenommen und gefoltert", so Colomer. Jammeh kreiere ein Gefühl der Angst im Land.

Wer kann, verlässt das Land. Die meisten von denen, die versuchten, das Mittelmeer zu überqueren, seien jung, sagt Sanneh. "Früher waren es meist junge Männer, aber nun sehen wir auch immer mehr Mädchen - einige von ihnen haben dabei ihr Leben verloren. Frauen sind immer mehr Teil des Exodus der Jungen."

Und es seien meist die Hochqualifizierten, die sich auf den Weg machten, sagen sowohl Sanneh als auch Manneh. "Man sieht auch junge Leute mit Universitätsabschluss auf den Booten", so Sanneh.

Mehr und mehr Gambier drängen nach Europa

Nach Angaben der europäischen Grenzschutzagentur Frontex haben sich in den ersten drei Monaten von 2015 bereits über 1400 Gambier auf den Weg nach Europa gemacht - auf der zentralen Mittelmeer-Route über Libyen. Damit führt das nur 1,9 Millionen Einwohner zählende Land Gambia die Liste der Staaten auf dieser Route an. Und Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zeigen, dass sich die Asylanträge von Gambiern in den Industriestaaten während der letzten drei Jahre verfünffacht haben: Waren es im zweiten Quartal 2012 noch 540 Anträge, so waren es im zweiten Quartal 2014 fast 2800.

Karte Gambia mit Hauptstadt Banjul (DW)

"Es ist nicht so, dass sie die Geschichten ihrer Freunde nicht kennen würden", sagt Manneh über die Flüchtlinge, die sich aufs Mittelmeer wagen. "Die es nach Italien schaffen, rufen ihre Freunde an und erzählen: 'Oh mein Gott, fünf meiner Kollegen sind auf der Überfahrt gestorben, oder zehn oder hundert.' Sie werden gefragt: 'Wo ist denn der andere Typ, mit dem du aufgebrochen bist?' 'Oh, er ist auf dem Weg verunglückt.' Also: Sie wissen Bescheid."

Sowohl Manneh, Chef der Vereinigungen der gambischen Zivilgesellschaft, als auch der ehemalige Außenminister Sanneh betonen, dass es wichtig sei, der Bevölkerung in Gambia zu helfen - allerdings sollte dafür kein Geld an Yahya Jammehs Regime fließen. Das würde nur in den Taschen korrupter Beamter verschwinden. Stattdessen sollte die internationale Gemeinschaft Reiseverbote für hohe Regierungsbeamte aussprechen, deren Konten einfrieren und NGOs und Oppositionsparteien unterstützen.