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Politik

Schweigen heißt Billigen

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
21. Dezember 2019

Nicht was objektiv passiert, ist entscheidend. Sondern allein, wie es aktuell wahrgenommen und später einmal erinnert wird. Deswegen ist eine klare Sprache gegenüber Russland unumgänglich, meint Jörg Himmelreich.

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Paris Ukraine-Gipfel Merkel Putin
Bild: Reuters/C. Platiau

Die Beziehungen Deutschlands zu Russland sind auf einem neuen politischen Tiefpunkt angelangt. Aber trotz der Ermordung eines georgischen Bürgers in Berlin gehen Bundesregierung und fast alle deutsche Parteien eiligst zur Tagesordnung über, als wäre nichts gewesen. Alles wie immer: Man will es sich mit Putin nicht unnötig verscherzen. Denn man brauche ihn ja auf wichtigen anderen außenpolitischen Feldern - etwa im Nahen Osten, in der Ostukraine und bei den Nuklearwaffen - so die zweifelsohne zutreffende Binsenweisheit.

Aber gerade darin liegt die fatale Fehlkalkulation deutscher Russlandpolitik: zu glauben, durch das diplomatische Kleinreden von Putins völkerrechtswidrigen Angriffen auf die europäische Rechts- und Friedensordnung sei dieser vielleicht doch noch zu Zugeständnissen bei anderen Themen zu gewinnen. Das Gegenteil ist der Fall: Diplomatisches Beschweigen demonstriert für Putin Schwäche. Diese Schwäche Europas macht ihn stark - innenpolitisch und international. Denn wer heute in der von Fake News vernebelten öffentlichen Wahrnehmung von Ereignissen die Deutungshoheit gewinnt, ist der politische Mächtigere. Deswegen ist auch in der Außenpolitik die öffentliche Sprache in der modernen Kommunikationswelt von heute mit Internet und Sozialen Medien ein so entscheidender Gradmesser von zwischenstaatlicher Macht geworden. Wer kann sich erlauben, gegenüber wem was zu sagen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen?

Die Bundeskanzlerin beschwichtigt, Putin lügt

Wenn der französische Präsident Macron - genervt von Trump und frustriert über die Berliner Lethargie, eine deutsch-französische Rüstungskooperation voranzutreiben - der NATO forsch den "Hirntod" bescheinigt, eilt die Bundeskanzlerin schnell ans Mikro. Und dort erklärt sie dann, dass sie und die Bundesregierung diese Einschätzung Macrons nicht teilten. Wenn hingegen Ende August am helllichten Tag der Georgier Zelimkhan Khangoshvili im Kleinen Tiergarten in Berlin ermordet wird, dann herrscht im politischen Berlin erst einmal wochenlang betretenes Schweigen. Auch wenn die Spuren schon bald zu Vadim Sokolov und der offensichtlichen Unterstützung durch russische staatliche Stellen führen - es sich also um eine Auftragshinrichtung handelt, die wohl kaum ohne Putins Billigung stattgefunden hat.

Deutschland Jörg Himmelreich Politikwissenschaftler
DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

Doch schließlich kam der Generalbundesanwalt nicht umhin, die Ermittlungen an sich zu ziehen, weil Russland jede Mitarbeit verweigerte. Und als sich der Hintergrund der Tat nicht länger verheimlichen ließ, war die Bundesregierung gezwungen, zwei russische Botschaftsangehörige auszuweisen, wollte sie sich Putin gegenüber nicht völlig lächerlich machen - angesichts dieses flagranten Angriffs auf die bundesdeutsche Souveränität und Sicherheit eine sehr milde Reaktion.

Am Ende der Pressekonferenz des Treffens im Normandieformat in Paris in der Nacht zum 10. Dezember erklärte Putin in Gegenwart der Bundeskanzlerin, bei Khangoshvili habe es sich um einen "Banditen" gehandelt, dessen russische Auslieferungsersuchen von Berlin nicht beantwortet worden wären. Dabei handelte es sich natürlich um eine offene Lüge und eine stillschweigende Begründung und Bestätigung der Hinrichtung durch russische Regierungsstellen. Auch die Bundeskanzlerin wusste natürlich, dass das eine Lüge ist - und schwieg dennoch dazu. Am Folgetag erklärte der deutsche Regierungssprecher kleinlaut, ein solches russisches Auslieferungsersuchen habe nie vorgelegen.

Wer hat die Deutungsmacht?

Gegenüber Berlin darf Putin eben lügen ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Damit überlässt Berlin in sträflicherweise Putin die Deutungsmacht über seine Angriffe auf die deutsche Souveränität und über seine üblichen Erklärungsmuster: Russland ist eigentlich immer nur das schuldlose Opfer von Verleumdungen einer feindlichen Westens. Russische Soldaten waren nie in der Ostukraine. Der mit 298 Passagieren besetzte Flug MH17 der Malaysian Airlines wurde zwar mit einer russischen BuK-Rakete abgeschossen, die aber natürlich nicht aus Russland kam - alles nur verschwörerische Verleumdungen des Westens.

Solche Deutungen darf deutsche Russlandpolitik Putin nicht durchgehen lassen. Wer Putin unwidersprochen diese Deutungsmacht einräumt, billigt sein Vorgehen offiziell und erweitert so seinen Handlungsspielraum für offensichtliche Angriffe auf die deutsche Souveränität. Dies muss allen Vertretern der Bundesregierung und der politischen Parteien bewusst sein, die meinen, durch kurzsichtiges Beschweigen und Kleinreden solcher eklatanter Rechtsbrüche, Putin für irgendeine Kooperation oder wirtschaftliche Gefälligkeiten gewinnen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Wem ernsthaft an der zweifelsohne notwendigen Kooperation mit Putin gelegen ist, darf eine klare Sprache in der Öffentlichkeit nicht scheuen.

Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin.