Neue Bedrohungen und Herausforderungen
In den vergangenen Wochen habe ich viel darüber nachgedacht, was im Jahr 2022 auf die Nordatlantische Allianz zukommen wird. Einerseits ist dies eine aufregende Zeit für die Arbeit in Brüssel. Die NATO ist dabei, ihr wichtigstes Strategiedokument, das Strategische Konzept, neu zu formulieren, um unserem veränderten Sicherheitsumfeld Rechnung zu tragen und die NATO auf die Zukunft vorzubereiten. Andererseits sieht sich die NATO mit Bedrohungen durch Russland und den Terrorismus konfrontiert, außerdem mit einem systemischen Wettbewerb, der sich durch ein selbstbewusstes und autoritäres China auf die westliche Sicherheit auswirkt, sowie darüber hinaus mit globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel.
Diese Aufgabenliste der NATO mag zwar einschüchternd wirken, aber ich bin zuversichtlich, dass das Bündnis und seine 30 Mitglieder über die Einigkeit, die Erfahrung und den Innovationsgeist verfügen, um nicht nur erfolgreich zu sein, sondern angesichts dieser Herausforderungen auch stärker zu werden.
Die gemeinsamen Werte der NATO verteidigen
In der Geschichte der NATO haben externe Akteure immer wieder versucht, ihre Entschlossenheit zu untergraben, indem sie eine Vielzahl von Taktiken angewandt haben - von terroristischen Angriffen über bösartige Cyberaktivitäten bis hin zu nuklearen Bedrohungen und Desinformationskampagnen. Alle diese Versuche sind an unserer Einigkeit und unserem Engagement für die kollektive Verteidigung gescheitert. Die NATO ist nach wie vor ein Bündnis mit gemeinsamen Werten: Demokratie, individuelle Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Sie ist ein unverzichtbares Forum, das Sicherheit für fast eine Milliarde Menschen auf zwei Kontinenten bietet.
Das bedeutet jedoch nicht, dass sich das Bündnis zurücklehnen und entspannen kann. Die NATO ist praktisch von allen Seiten mit Herausforderungen und Herausforderern konfrontiert. Am beunruhigendsten ist die Lage derzeit an der Ostgrenze der Ukraine und in der Schwarzmeerregion. Russland zieht dort seine Streitkräfte zusammen, was ernste Fragen über die Absichten von Präsident Wladimir Putin aufwirft. Plant er eine neuerliche Invasion in der Ukraine wie schon 2014? In seinem Videogespräch mit Wladimir Putin am 7. Dezember machte Präsident Joe Biden deutlich, dass die Vereinigten Staaten Russland erhebliche Kosten auferlegen werden, sollte es erneut aggressiv gegen die Ukraine vorgehen.
Die USA stehen mit dieser Botschaft nicht alleine. Unsere Verbündeten haben deutlich gemacht, dass wir der russischen Aggression geschlossen entgegentreten. Unsere Unterstützung für die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine ist unerschütterlich.
Eine umfassende Rolle für die NATO
Jenseits der geographischen Grenzen muss die NATO einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgen, der neue operative Bereiche wie den Weltraum und den Cyberspace einbezieht und sich gleichzeitig grenzüberschreitenden Herausforderungen wie dem Klimawandel stellt. Und wir müssen flexibel bleiben, wenn wir uns auf neue Probleme wie das aggressive Verhalten Pekings oder die zynische Ausnutzung gefährdeter Personen an der Ostgrenze des Bündnisses durch Belarus einstellen.
Für keine dieser Herausforderungen gibt es einfache Antworten oder schnelle Lösungen. Eines ist jedoch sicher: Kein Land kann auch nur eine dieser Herausforderungen im Alleingang lösen. Um unsere Gesellschaften zu schützen, müssen wir unsere Ressourcen bündeln und zusammenarbeiten, indem wir uns eng über unsere Perspektiven und Strategien beraten, um ein gemeinsames Konzept zu entwerfen. Genau das ist es, was wir bei der NATO jeden Tag tun.
Was die Volksrepublik China betrifft, so ist Peking auf dem europäischen Kontinent zunehmend aktiv und setzt auf Zwangsdiplomatie und subversive Einflussnahme, um den transatlantischen und europäischen Zusammenhalt zu schwächen. China hat es sich zum Ziel gesetzt, den technologischen Vorsprung des Westens herauszufordern und zu untergraben, um seine militärischen Modernisierungsbemühungen voranzutreiben. Die NATO muss sich dieser systemischen Herausforderung stellen, indem sie die auf dem NATO-Gipfel im Juni formulierten gemeinsamen Verpflichtungen umsetzt und das Engagement mit gleichgesinnten indo-pazifischen Partnern zur Stärkung der globalen Sicherheit vertieft.
Lebendiges Kollektiv
Was die Cybersicherheit betrifft, so konzentriert sich die NATO auf die Verbesserung unserer Widerstandsfähigkeit und unserer Fähigkeit, destabilisierende Cyberaktivitäten zu stören, zu verhindern und aufzudecken. In ähnlicher Weise hat das Bündnis gerade einen neuen Aktionsplan für Klimawandel und Sicherheit auf den Weg gebracht, der den Verbündeten dabei helfen soll, bewährte Praktiken auszutauschen, wenn wir gemeinsam gegen den Klimawandel vorgehen wollen.
Kurz gesagt ist die NATO ein aktives, anpassungsfähiges und lebendiges Kollektiv, dessen Mitglieder nachweislich innovative Ansätze zur Bewältigung einer Vielzahl gemeinsamer Herausforderungen entwickelt haben.
Wir müssen unseren Kurs beibehalten, um die Abschreckung und die Verteidigung gegen die unzähligen Bedrohungen und Herausforderungen zu stärken, denen wir jetzt und in Zukunft gegenüberstehen. Unsere Entscheidungsfindung muss schneller werden. Wir müssen mehr tun, um Lücken in den Verteidigungsfähigkeiten zu schließen und sicherzustellen, dass alle Verbündeten die Verantwortung für unsere kollektive Verteidigung gleichberechtigt teilen.
Profitieren von der Partnerschaft
Vor dem Hintergrund all dessen gibt es keine andere Organisation, die besser in der Lage ist, die transatlantischen Sicherheitsherausforderungen zu bewältigen, als die NATO. Meine Erfahrungen im Pentagon und im Weißen Haus haben mir aus erster Hand gezeigt, welche Vorteile eine Partnerschaft mit unseren engsten Verbündeten in Europa und Kanada bringt.
In seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres rief Präsident Biden dazu auf, "wieder mit Zuversicht zu führen, mit dem Glauben an unsere Fähigkeiten, mit dem Engagement für unsere eigene Erneuerung, mit dem Vertrauen ineinander und in die Fähigkeit Europas und der Vereinigten Staaten, sich jeder Herausforderung zu stellen, um unsere gemeinsame Zukunft zu sichern". Er schloss mit den Worten: "Ich weiß, dass wir es schaffen können".
Ich weiß es auch, Mr. President. Ich freue mich darauf, an die Arbeit zu gehen.
Botschafterin Julianne Smith trat ihr Amt als Ständige Vertreterin der USA bei der NATO Anfang Dezember 2021 an. Von 2009-2012 war sie Direktorin für Europa- und NATO-Politik im Pentagon. Von 2012-2013 war sie stellvertretende nationale Sicherheitsberaterin des damaligen Vizepräsidenten Joe Biden.
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert von Felix Steiner.