Hat Europa diesen Knall gehört?
Wo steht Europa zu Beginn des Jahres 2019? Offensichtlich haben sich eine Menge Probleme aufgestaut: Wie wird Europäische Union nach den Europa-Wahlen im Mai aussehen? Wie wird der Brexit Europa verändern? Wie geht es mit der Finanzkrise in Italien weiter? Wird Frankreichs Präsident Macron mit seinen Revoluzzern, den "Gelbwesten" fertig? Werden sich Nationalismus und Ressentiments gegen die EU weiter ausbreiten? Wie stark wird sich Deutschland für die EU engagieren?
Ein Vielzahl von Problemen also bereits innerhalb der EU. Aber auch in der unmittelbaren Nachbarschaft - in Südosteuropa - sieht es nicht anders aus. Auch hier weiß niemand, wie sich die Dinge in diesem Jahr entwickeln werden.
Probleme in ganz Südosteuropa
In Serbien erleben wir offene Demonstrationen gegen Präsident Vucic. Er sitzt zwar fest im Sattel und führt Serbien Schritt für Schritt nach Europa. Es bleibt allerdings noch die hohe Hürde der Anerkennung des Kosovos, die von der serbischen Politik bisher ausgeschlossen wird.
In Kosovo können sich Premier Haradinaj und Präsident Thaci nicht einigen, ob sie nun einen Gebietsaustausch mit Serbien anstreben wollen oder nicht. Dass ein solcher Schritt der neuerlichen Grenzkorrektur die ganze Region in eine Krise stürzen könnte, durchschauen nur wenige. Einig ist man sich aber, dass das Kosovo ab sofort eine eigene Armee braucht.
Mazedonien hofft auf ein Ende des Streits mit Griechenland wegen seines Namens, der bisher das größte Hindernis auf dem Weg in EU und NATO ist. Athen hat aber bisher jeden Kompromiss verhindert.
Aus Kroatien, welches schon seit über fünf Jahren Mitglied der EU ist, wandern so viele arbeitsfähige Menschen nach Deutschland ab, dass die Präsidentin Grabar-Kitarovic diesen Umstand als "höchste Bedrohung" für Kroatien bezeichnet hat. Doch statt sich um dieses Kernproblem zu kümmern, mischt sich die kroatische Politik zunehmend in die inneren Angelegenheiten seines Nachbarn Bosnien-Herzegowina ein. Es wird bereits von einer "diplomatischen Offensive" gesprochen, die an die Politik Tudjmans in den 1990er-Jahren erinnert.
Sorgenkind Bosnien-Herzegowina
Damit sind wir beim größten Sorgenkind Südosteuropas: Bosnien-Herzegowina. Die Wahlen, die im vergangenen Oktober stattfanden, haben auf den ersten Blick nicht viel verändert. Aber wer genauer hinsieht, kann doch einige Lichtblicke feststellen: Aus dem dreiköpfigen Staatspräsidium wurde der nationalistische Kroate Covic herausgewählt, an seine Stelle rückte der Demokrat Komsic, der sich als Präsident aller Bürger Bosniens-Herzegowinas bezeichnet. Damit ist eine bedrohliche Zusammenarbeit der Nationalisten Dodik und Covic innerhalb des Präsidiums fürs Erste verhindert. Auch das Wahlergebnis in der Hauptstadt Sarajevo zeigt, dass die demokratischen Kräfte langsam im Kommen sind. Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft.
Doch hat das neue Jahr in Bosnien-Herzegowina (BiH) gleich mit einem unglaublichen Knall begonnen: Seit Jahren feiert die Republika Srpska - die serbische Entität in BiH - am 9. Januar den "Tag der Republik", obwohl das Verfassungsgericht und die Venedig-Kommission diesen Tag als verfassungswidrig erklärt haben. An diesem Tag 1992 haben bosnische Serben die von der damaligen Republik Bosnien und Herzegowina unabhängige "Republika Srpska" ausgerufen.
Grundsätzlich hat niemand etwas dagegen, an diesem Datum einen religiösen orthodoxen Feiertag zu begehen. Aber diesen Tag zu einem staatlichen Feiertag zu erklären, war für Bosniaken und bosnische Kroaten zu viel. Sie verbinden dieses Datum mit dem Auftakt zu Krieg, Völkermord und Vertreibung.
Verfassungswidriger Feiertag
Obwohl also jede politische Feier an diesem Tag verfassungswidrig ist, unterzieht sich niemand der Mühe, etwas dagegen zu unternehmen - weder national noch international. So viel zur Herrschaft des Rechts in diesem Land!
Dass Politiker aus Serbien an diesem Tag in Banja Luka anwesend sind, ist kein Wunder. Aber dass die Premierministerin Serbiens, Brnabic, die den Genozid von Srebrenica offiziell leugnet, dort die gleiche Auszeichnung in Empfang nimmt, wie die Kriegsverbrecher Karadzic, Plavsic und Krajisnik, verletzt jedes Rechtsempfinden.
Und doch gab es dieses Jahr noch einen Knall oben drauf: An der Feier nahmen nämlich auch hoch positionierte Politiker aus den Kreisen bosnischer Kroaten teil. So zum Beispiel der HDZ-Vorsitzende und aus dem Staatspräsidium abgewählte Dragan Covic sowie Vjekoslav Bevanda, der Finanzminister von BiH.
Der Botschafter Kroatiens in BiH, Del Vechio, war ebenfalls in Banja Luka. Aufgrund des darauf in BiH und Kroatien entstandenen Skandales über seine Anwesenheit bei dieser Feier sah sich die kroatische Außenministerin Pejcinovic Buric gezwungen, eine Erklärung abzugeben, dass Del Vechio nicht in offizieller Funktion unterwegs war. Der Botschafter wurde unverzüglich nach Zagreb zu "Konsultationen" zurückgerufen.
Wie ist es zu erklären, dass Covic, Bevanda und Botschafter Del Vechio dort brav sitzen und beobachten, wie Milorad Dodik den in Kroatien zu 15 Jahren Haft verurteilten serbischen Kriegsverbrecher Lisac posthum dafür auszeichnet, dass er in Sibenik kroatische Einwohner beschossen und umgebracht hat?
Wie ist es zu erklären, dass Covic, Bevanda und Del Vechio an einer Feier der Repubika Srpska teilnehmen, die im jüngsten Krieg über 150.000 Kroaten aus Banja Luka und der Region Posavina vertrieben hat?
Wie ist es zu erklären, dass sie alle einer verfassungswidrigen Feier beiwohnen?
Egoisten, keine Vertreter des Volkes
Ganz einfach: Sie kümmern sich weder um das bosnische noch das kroatische Volk, sie denken nur an sich! Sie sind dort gewesen, um Milorad Dodik in seinem Ziel zu unterstützen, die Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina abzuspalten. Das öffnet für den Kroaten Covic die Tür zur dritten Entität und im Ergebnis zu einer endgültigen Teilung Bosnien-Herzegowinas.
So sind wir am Anfang des Jahres 2019 wieder da angekommen, wo wir bereits Anfang der 1990er-Jahre waren. Hat Europa diesen Knall gehört?
Die Europäische Union muss jetzt endlich alles Erforderliche tun, um in Bosnien-Herzegowina einen starken Rechtsstaat aufzubauen. Europa muss endlich klar sagen, dass Bosnien-Herzegowina ein eigenständiger, souveräner Staat ist! Und dass Versuche, diesen Staat von innen und von außen aufzuteilen, zum Scheitern verurteilt sind!
Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling war von 1982 bis 1992 Bundesminister für Post und Telekommunikation. Aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnien-Krieg trat er vom Ministeramt zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsentant und Sonderbeauftragter der Europäischen Union für Bosnien-Herzegowina.