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Politik

Idlib in der Verantwortung der Türkei

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
22. September 2018

Die Vereinbarung zwischen den Präsidenten Putin und Erdogan hat den Kampf um Idlib zeitlich etwas aufgeschoben, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber eben nur vorerst.

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Russland Sotschi Treffen Putin Erdogan
Bild: Reuters/A. Zemlianichenko

In Idlib ist Zeit gewonnen, abgewendet ist die drohende Katastrophe aber nicht. Während der jährlichen Hauptversammlung der Vereinten Nationen, die in dieser Woche begonnen hat, wäre ein Blutbad in Idlib nicht das Signal an die Welt gewesen, das sich der russische Präsident Wladimir Putin wünscht. Er hat daher am Montag in Sotschi dem Drängen des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan nachgegeben, eine bis zu 20 Kilometer breite entmilitarisierte Pufferzone entlang der Grenze, die das Rebellengebiet Idlib vom syrischen Regime trennt, einzurichten. Zudem wird Putin die Türkei brauchen, um Teile der Opposition an den Verhandlungstisch zu bringen, wenn es um eine Nachkriegsordnung gehen soll.

Legen die Rebellen die Waffen nieder?

Das Ergebnis der fünfstündigen Verhandlungen von Sotschi zeigt, dass die Türkei in Syrien durchaus eine konstruktive Rolle spielen und in Idlib Verantwortung übernehmen kann. Sie hat nun vier Wochen Zeit, das zu verwirklichen, was Erdogan zugesagt hat: Die Rebellen zu überzeugen, die schweren Waffen niederzulegen und ihren bewaffneten Kampf gegen das Regime sowie deren Verbündete Russland und Iran einzustellen.

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Helmut Fricke

Viele der auf rund 50.000 geschätzten Kämpfer der nichtextremistischen Gruppen werden dazu bereit sein. Wer es nicht ist, soll die Provinz Idlib verlassen. Für sie in Frage kommt lediglich die von der Türkei verwaltet syrische Grenzregion um Dscharabulus westlich des Euphrats, wo sie weiter eine Gefahr sein würden. Die Terrorgruppe Haiat al-Tahrir al-Sham, die Al Kaida nahesteht, hat bereits erklärt, dass ihr Feind ist, wer verlangt, dass sie ihre Waffen niederlegen soll. Nicht ausgeschlossen ist daher, dass sie aus Vergeltung innerhalb der Türkei Terroranschläge verüben könnte.

Die Schaffung einer entmilitarisierten Pufferzone eröffnet für die Türkei eine Chance, die jedoch mit keinem geringen Risiko verbunden ist: Ankara baut nun seine zwölf militärischen Beobachtungsposten in Idlib aus. Damit erweitert die Türkei ihre Präsenz in Nordsyrien und kann hoffen, dass es einen Teil von Syrien bekommt könnte, sollte das Land zerfallen. Putin muss in Sotschi diese Möglichkeit gesehen haben, weshalb er das türkische Ansinnen einer Flugverbotszone über Idlib abgewiesen hat. Über Idlib fliegen weiter nur russische Flugzeuge.

Türkische Soldaten zwischen den Fronten?

An den Beobachtungsposten sind bereits mehr als 10.000 gut bewaffnete türkische Soldaten stationiert. Sie sollen einerseits die Rebellen zurückhalten, damit sie nicht das Regimegebiet angreifen, und sie sollen andererseits den Grenzverlauf sichern helfen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass die Türkei nicht alle Rebellen entwaffnen kann, was Russland einen Vorwand für neue Angriffe auf Idlib liefern würde. Und dass das syrische Regime unverändert darauf drängt, Idlib wieder unter seine Kontrolle zu bringen.Schließlich hat das Damaszener Regime erklärt, die Vereinbarung von Sotschi sei zeitlich begrenzt. Dann könnten die türkischen Soldaten zwischen die Fronten geraten, und sie fänden sich in einem Krieg wieder, in dem sie sich auch gegen Russland stellen müssten.

Zunächst einmal aber ist Zeit gewonnen in einem Krieg, in dem die Akteure meist der Überzeugung waren, dass ihnen die Fortsetzung der bewaffneten Auseinandersetzung mehr Vorteile bringt als eine Verhandlungslösung.