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Gastkommentar: Je suis Nigeria

Richard Dowden /sst15. Januar 2015

Wo bleibt eigentlich die "Je Suis Nigeria"-Bewegung nach den Anschlägen von Boko Haram, fragt Richard Dowden, Direktor der britischen Royal African Society - und sagt, warum er bei "Je suis Charlie" nicht mitmacht.

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Charlie-Kampagne: Reaktionen in Afrika (Foto: Getty Images))
Bild: AFP/Getty Images/S. Kambou

Die große Masse an Demonstranten in Paris war beeindruckend und sehr berührend, aber wofür standen die Proteste eigentlich? Wir wissen, gegen was sie sich richteten: Dass das Töten von Karikaturisten - oder jedem anderen Menschen - schlimm ist und nicht passieren sollte. Aber was war die Botschaft an die Welt?

Politiker werden diese Reaktionen begrüßen, weil sie damit viele neue Sicherheitsmaßnahmen rechtfertigen können, die niemand in Frage stellen wird. Frankreichs Sicherheitsdienste werden jede Menge Geld bekommen. Ich nehme an, dass wir bald viele Festnahmen von muslimischen Aktivisten in Frankreich sehen werden. Politisch erwarte ich, dass Frankreich nach rechts rücken wird und sich zu einer weniger toleranten Gesellschaft entwickelt (besonders was Muslime betrifft).

Kein Respekt für Gläubige

Ich werde der "Je Suis Charlie"-Bewegung nicht beitreten. Warum? Weil ich zwar ihr Recht verteidige, zu zeichnen und zu sagen, was sie möchten - aber diese Karikaturisten haben keinen Respekt und keine Umsicht für normale, aufrichtige Gläubige, die von den brutal entmenschlichten Bildern von den Gründern der Weltreligionen gekränkt sein könnten. Das waren nicht nur Muslime, sondern auch Christen, Sikhs und Buddhisten. Manche der Bilder ähnelten der Art von Karikaturen, in denen die Nazis in den 1930er Jahren Juden darstellten.

Ich bin nicht gläubig. Ich wurde katholisch erzogen und habe zehn Jahre für die katholische Kirche auf verschiedene Weise gearbeitet. Aber nun würde ich mich selbst als Skeptiker, als Agnostiker bezeichnen. Als ein guter Liberaler verteidige ich das Recht eines jeden Einzelnen, zu schreiben, zu zeichnen oder zu dichten, was auch immer sie wollen. Lasst ein erwachsenes Publikum entscheiden, ob es die Resultate sehen will oder nicht. Sie können Politiker oder den Papst verhöhnen so viel sie wollen.

Aber wenn Autoren und Karikaturisten die Kraft ihrer Stifte nutzen, um den aufrichtigen Glauben der Armen und derjenigen ohne Stimme in der Gesellschaft anzugreifen und lächerlich zu machen, dann ist das nicht nur gemein, es ist ungerecht. Es ist außerdem provokativ und wird zu Gewalt führen. Das ist kein moralisches Urteil. Es sind die Fakten.

Paris: Trauer nach den Anschlägen (Foto: Getty Images)
Menschen weltweit zeigten Solidarität mit den Opfern in FrankreichBild: David Ramos/Getty Images

Frankreich verbindet eine dunkle Geschichte mit der arabischen Welt. Der barbarische Krieg um Algerien in den 1950er und 1960er Jahren und die Ermordung von vielen Arabern in Paris 1961 - manche Berichte sprechen von über 200 - sind nicht vergessen. Muslime fühlen sich immer noch diskriminiert in der Arbeitswelt und in Schulen. Nordafrikanische Araber in Frankreich, die ich getroffen habe - und immer noch treffe - , beschweren sich, dass sie mehr Rassismus erleben als andere Afrikaner. Araber bleiben am untersten Ende der Gesellschaft.

Aber es gibt hier eine schreckliche Ironie. Der Wahhabismus, der die islamische Kampfbereitschaft geschaffen hat, stammt aus einem Land, das ein enger Verbündeter des Westens ist: Saudi Arabien. Reiche Saudis, wie zum Beispiel Osama bin Laden, stammen aus einem Land, das durch unsere Nachfrage nach billigem Öl reich wurde und das nun Terrorismus gegen uns finanziert. Das ist genauso wie in den 1970er und 1980er Jahren, als der Großteil der Gelder der IRA (Irisch-Republikanische Armee) von den USA - Großbritanniens Verbündetem - stammten.

Wird Frankreich nach rechts rücken?

Die Solidarität mit den Opfern und ganz generell mit den Menschen in Frankreich war sehr bewegend. Aber war es auch ein nationalistischer Marsch, der eine Aussage über die Stärke Frankreichs getroffen hat? Wird Frankreich nun nach rechts rücken und die Proteste nutzen, um eine weniger offene Gesellschaft zu erschaffen?

Oder wird die "Je Suis Charlie"-Bewegung aufbrechen und all diejenigen dazu zählen, die durch Extremisten Leid erfahren? Ich denke an andere Länder - Mali, Kenia und Nigeria, um nur drei zu nennen - die kürzlich viel mehr erleiden mussten. Vielleicht 2000 Menschen wurden letzte Woche im Nordosten von Nigeria von Boko Haram umgebracht, die von derselben Philosophie angefeuert wird und dieselben Terrortaktiken nutzt. Wie viel Berichterstattung gab es dazu?

Selbstmordanschlag in Nigeria (Foto: Getty Images)
Was ist mit den Opfern von Extremisten in Nigeria, fragt Richard DowdenBild: Aminu Abubakar/AFP/Getty Images

Die Redakteure könnten argumentieren, dass Paris lediglich ein paar Stunden entfernt ist und Frankreich sowie Großbritannien enge Verbündete sind, die unsere Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen teilen. Aber heutzutage ist Distanz weniger ein Thema. Die Fanatiker, die in Paris gemordet haben, sind inspiriert von und inspirieren wiederum die Fanatiker von Boko Haram. Das Thema ist nicht lokaler Missstand. Der Tod der Distanz bedeutet, dass wir nah dran sind. "Jeder Mensch ist ein Teil des Kontinents", wie es John Donne vor 400 Jahren formuliert hat. Wir sind alle "Teil der Menschheit." Also wo ist die "Je Suis Nigeria"-Bewegung?

Wir haben vor kurzem hier in Großbritannien viele Zeremonien, Bücher und TV-Programme gesehen, die alle die britische Rolle im Ersten Weltkrieg beleuchten. Aber ich sehe keinen Versuch der Regierung oder der Medien, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als globale Katastrophe zu thematisieren. Oder die Frage, wie die Einigung danach den Zweiten Weltkrieg kreierte. Wir begehen unsere historischen Ereignisse immer noch als Volksstämme und nicht als Erdenbürger.

Das Wochenende war Zeuge einer großen emotionalen Solidaritätsbekundung mit den Franzosen. Aber ich möchte anmerken, dass zurzeit ein Riesenfest geplant wird, um das Jubiläum der Schlacht von Waterloo zu gedenken - ein weiterer großer britischer Sieg über einen bösen Feind. Wen haben wir da nochmal besiegt? Ach ja - die Franzosen.

Richard Dowden ist der Direktor der Royal African Society und Autor des Buches "Africa: altered states, ordinary miracles". Twitter: @DowdenAfrica