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Klima der Straflosigkeit

Hanns Schumacher25. Februar 2015

Berichte von Amnesty International zur Achtung der Menschenrechte sind nie aufmunternde Lektüre, meint Hanns Schumacher. Die Bilanz für 2014 deprimiert aber noch mehr als ihre Vorgänger.

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Füße unter einem Tisch gefesselt (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa

"2014 der ultimative Tiefpunkt - oder endlich Wende zum Besseren?", fragt Amnesty International-Generalsekretär Salil Shetty bei der Präsentation der aktuellen Bestandsaufnahme. Amnesty International bestätigt, was die Krisen in Syrien, im Nahen Osten und vielen afrikanischen Ländern erkennen ließen: zunehmende Erosion der mühsam aufgebauten internationalen Strafgerichtsbarkeit und Straflosigkeit der Verursacher auch vor eigenstaatlicher Verfolgung. Ein "Klima der Straflosigkeit" breitet sich aus. Die Reaktion der Staatengemeinschaft: "beschämend und ungenügend"!

Erschreckende Bilanz

Amnestys Jahresbilanz 2014 ist erschreckend. Von Damaskus bis Kabul, von Mexiko bis Baku, von Juba im Südsudan über Pjöngjang bis Colombo, von Abuja bis Moskau und Zentralasien, ja, auch von Washington bis Peking - Schauplätze, an denen völkerrechtliche Verpflichtungen grob verletzt werden, die Genfer Konventionen zum Schutz von Zivilisten in militärischen Auseinandersetzungen unbeachtet bleiben und humanitäre Hilfe willentlich erschwert wird. Vertreter der Zivilgesellschaft, die den Mut haben, Missstände aufzudecken und anzuprangern, werden mit immer konsequenterer Gesetzgebung und autoritärer Unterdrückung mundtot gemacht. Wer das Auftreten Chinas, Russlands, Sri Lankas und anderer gegen Vertreter der Zivilgesellschaft im diplomatischen Ambiente des UN-Menschenrechsrates je erlebt hat, teilt den Tenor des AI-Berichtes: "Ein niederschmetterndes Jahr für all jene, die Menschenrechte verteidigen und für die, die im Elend der Kriegs- und Krisenzonen leiden."

Hanns Schumacher (Foto: privat)
Hanns Schumacher, ehemaliger deutscher BotschafterBild: privat

Für Europa "ein Jahr des Rückschritts"

Nicht nur wegen der blutigen Kämpfe in der Ostukraine und der repressiven Maßnahmen des Sicherheitsratsmitglieds Russland gegen Meinungsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung: Europa, auch Deutschland, hat keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Diskriminierung gegen Minderheiten und die immer größer werdenden Schwierigkeiten eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlings- und Migrantenströmen sind weit verbreitet. Attacken von Regierungsparteien ausgerechnet aus Großbritannien und der Schweiz gegen den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof unterstreichen den verbreiteten Zeitgeist über Kontinente hinweg, zum angeblichen Schutz der "Sicherheit der Menschen" grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen. Foltern, das "bewusste Quälen eines Menschen, um eine Aussage zu erzwingen", so die allgemeine Definition der UN-Antifolterkonvention, wird von schrecklichen Juristen begrifflich ausgereizt – und die Veröffentlichung des US-Senatsberichtes enthüllt nicht nur das schockierende Vorgehen der CIA, sondern auch das Ausmaß europäischer Komplizenschaft.

Brandherde Afrika und Nahost

20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda schlagen zahllose Konflikte eine blutige Schneise in den Kontinent: im Elend heraus ragt der Südsudan, ein Land, das seine Unabhängigkeit mit internationaler Solidarität und Anteilnahme erreicht hat. Unter den Augen der Vereinten Nationen zerfleischt sich hier eine verantwortungslose Regierung mit ihren ethnischen Widersachen auf dem Rücken der Ärmsten und Verletzlichsten: Frauen und Kindern. Der "Frühling" von 2011 auf der arabischen Halbinsel ist längst winterlicher Erstarrung gewichen: Libyen und Jemen am Rande staatlichen Zusammenbruchs, Irak wankt vor den Horden eines selbsternannten, menschenverachtenden Kalifen, Ägypten erneut unter autoritärem Diktat im Kampf gegen den terroristischen Islamismus. Syrien mit seinem Blutzoll von über 200.000 Toten - die Vereinten Nationen haben es längst aufgegeben, die Opfer zu zählen - ist fast schon ein vergessener Konflikt. Israel und Gaza: jüngste Bilanz fast 2000 Toten. Politisch bleiben die Parteien in der Sackgasse zum Frieden und Israels Sicherheitsinteressen sensibel - seine Weigerung aber zur Zusammenarbeit mit den Gremien des Menschenrechtsrates ist eine Verletzung seiner Verpflichtungen als Mitglied der Vereinten Nationen.

Verzicht auf Veto?

Der Sicherheitsrat trägt die Verantwortung für Frieden und Sicherheit, wie auch die Durchsetzung der Achtung der Menschenrechte. Die Verbindung zwischen Konflikt und Instabilität einerseits, Ungleichheit, Armut und Versagung grundlegender Rechte andererseits, zieht sich wie ein roter Faden durch den Amnesty-Bericht. Hilft es, wenn seine fünf Ständigen Mitglieder vor diesem Hintergrund auf ihr Veto verzichten, wenn es um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit geht, wie Amnesty fordert? Seit 1993 dümpelt die Diskussion um die Reform des Sicherheitsrates ohne sichtbares Ergebnis vor sich hin – Ende offen. Provokation und Mahnung bleiben als kleinster gemeinsamer Nenner, die desolate Lage der Menschenrechte anzuprangern in der Hoffnung, mit kleinen Schritten Besserung zu erreichen. Deutschland hat dazu Gelegenheit: es hat 2015 den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat.

Hanns Schumacher ist ein deutscher Diplomat im Ruhestand. Er leitete zuletzt bis 2014 als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen die deutsche Ständige Vertretung in Genf.