Sinnloses Kräftemessen in Venezuela
Die Ereignisse der beiden vergangenen Tage in Venezuela ermöglichen viele unterschiedliche Interpretationen - zu unübersichtlich ist bislang noch die Lage. Eines aber lässt sich mit großer Sicherheit feststellen: Das Kräftemessen in Caracas vollzieht sich auf Kosten der Bevölkerung, die immer weniger einen Ausweg aus dem Patt zwischen Juan Guaidó und Nicolás Maduro sieht und zunehmend an politischer Erschöpfung leidet.
Geschwächte Protagonisten, hilfloses Ausland
Die Folgen der Ölsanktionen und anhaltende Versorgungsengpässe werden für eine weiter steigende Migration in die Nachbarländer sorgen. Die wachsende Frustration betrifft in besonderer Weise Juan Guaidó, dessen Strategie im Kampf um die Macht auf der Mobilisierungsfähigkeit seiner Anhängerschaft beruht. Die falsche Behauptung vom Dienstagmorgen, relevante Teile des Militärs seien in sein Lager übergelaufen, hat ihm und seinem Projekt geschadet. Auch die Befreiung von Leopoldo López aus seinem Hausarrest hat die Menschen nicht in Massen auf die Straße getrieben. Der gewünschte Knockout-Effekt ist nicht eingetreten. Ernüchterung und Ermüdung nach monatelangen Massendemonstrationen machen sich breit, verbunden mit der Angst vor den gewalttätigen Aktionen der Sicherheitsorgane des Regimes.
Die Versuche aus Washington, einen unmittelbar bevorstehenden Sturz von Maduro herbeireden zu wollen, entwerten zunehmend auch die von der Anhängerschaft Guaidós so hoch geschätzte Unterstützung des Auslands. Es sieht nicht nach einem abrupten Regimewechsel aus. Guaidós Strategie scheint nicht aufzugehen. Doch auch Maduro ist geschwächt: Bei jedem Ereignis muss er sich erneut der anhaltenden Unterstützung durch die Militärführung vergewissern.
Als einziger Akteur geht das Militär gestärkt aus dem Kräftemessen hervor: Es konnte sich bislang als weitgehend autonomer Akteur erhalten, die Abspaltungen einzelner Kräfte haben sich nicht als relevant erwiesen. Doch damit wird eine gefährliche Dynamik in Gang gesetzt: Die beiden Kontrahenten um die Regierungsmacht buhlen um die Armeeführung, und das Heft des Handelns entgleitet ihnen zunehmend - es liegt immer mehr bei den Generälen. Das wird perspektivisch eine politische Lösung des Konfliktes nur erschweren, die für die Auflösung des Patts zwischen Guaidó und Maduro aber unverzichtbar ist. Dem Militär wächst die fragwürdige Rolle des Garanten jedes möglichen Reformszenarios in Venezuela zu. Zum Beispiel könnten Guaidó und López in Zukunft als "Doppelspitze" auftreten. Ein solches Kalkül, bei dem von Guaidó die Konfrontationslinie fortgesetzt und López den smarten Unterhändler spielen würde, könnte Bewegung in die harten Fronten bringen.
Die Logik des "Alles oder Nichts" überwinden
Das fruchtlose Kräftemessen in Caracas, das die Bevölkerung immer weiter polarisiert und aufreibt, kann nur politisch beendet werden. Doch beide Kontrahenten spielen weiterhin auf Sieg und stellen Bedingungen. Die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es jetzt, beiden Protagonisten die Ausweglosigkeit des Patt zu verdeutlichen, um den Schwenk zum Dialog zu vollziehen. Eine Konfrontation um jeden Preis geht nur auf Kosten der Menschen, das Warten auf die Ermüdung der Protagonisten und die Erschöpfung des Volkes führt nicht weiter. Deutschland, Europa und die lateinamerikanischen Staaten müssen jetzt ihre Zuschauerrolle verlassen und dürfen sich der Verantwortung für die Lage der Menschen in Venezuela nicht entziehen. Es ist Zeit für eine Initiative auf der Ebene der Außenminister, um die sinnlose Konfrontation in Caracas zu beenden.