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KonflikteNahost

Arabische Staaten gegen Gaza-Engagement

22. November 2023

Die Arabischen Staaten lehnen eine Rolle im Gazastreifen ab. Trotz Israels Vorgehen gegen die Hamas zeigen sie sich zurückhaltend und kritisieren die aktuelle Lage, scheuen jedoch vor direkter Verantwortung zurück.

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Einzelnes halbzerstörtes Gebäude in einem Trümmerfeld
Zerstörte Häuser im Gazastreifen, November 2023Bild: Leo Correa/AP Photo/picture alliance

Der jordanische Außenminister Aiman Safadi äußerte sich in aller Schärfe: Der Krieg, den Israel im Gazastreifen gegen die Hamas führe, sei eine "eklatante Aggression" gegen palästinensische Zivilisten und drohe den gesamten Nahen Osten zu destabilisieren. Indem es die Lieferung von Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff unterbinde, begehe Israel "Kriegsverbrechen", sagte der Außenminister Jordaniens. Sein Land gilt innerhalb der Nahost-Region als pro-westlich und unterhält seit Mitte der 1990er-Jahre - wenn auch politisch eher unterkühlt - sogar offizielle Beziehungen zu Israel.

Dass das Verhältnis zur Zeit noch schlechter ist als sonst, daran ließ der Minister keinen Zweifel: "Wir alle müssen laut und deutlich auf die Katastrophe hinweisen, die der israelische Krieg nicht nur für den Gazastreifen, sondern für die gesamte Region bedeutet", sagte Safadi beim sogenannten Manama-Dialog des International Institute for Strategic Studies in Bahrain.

Das Leid der Palästinenser im Blick

Safadis Worte lassen klar erkennen: Auch die arabischen Staaten, die Israel diplomatisch anerkannt haben, gehen derzeit deutlich auf Distanz zu dessen militärischer Antwort auf den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober. Dass die Hamas in Deutschland, der Europäischen Union, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, spielt derzeit kaum eine Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Solidarität, die viele Bürger in arabischen Ländern für die Palästinenser im Gazastreifen empfinden - gerade angesichts der hohen und weiter ansteigenden Todeszahlen dort seit Beginn von Israels militärischer Reaktion auf den Hamas-Terror vom 7. Oktober.

Insbesondere sind die arabischen Staaten bisher nicht willens, sich am Aufbau einer neuen politischen Ordnung nach dem - derzeit ohnehin noch nicht absehbaren - Ende des Kriegs im Gazastreifen zu beteiligen. Die arabischen Staaten seien nicht bereit, Israel gewähren zu lassen und später dessen "Durcheinander"  aufzuräumen, betonte der jordanische Außenminister Safadi. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabiens.

"Nicht als Feind angesehen werden"

Die Zurückhaltung hat vor allem politische Gründe. Da ist zum einen die Frage nach der Sicherheit - und ob es Israel wirklich gelingt, die Hamas zu zerschlagen und unschädlich zu machen. Safadi glaubt das nicht. "Ich verstehe einfach nicht, wie dieses Ziel verwirklicht werden kann", zitiert ihn die Deutsche Presseagentur (dpa) in Manama: "Hamas ist eine Idee." Eine Idee könne nicht durch Bomben ausgemerzt werden, so der Außenminister.

Ein runder Schacht in der Erde
Blick in einen - laut israelischen Angaben - von der Hamas genutzten Tunnel am Al-Schifa-Krankenhaus in GazaBild: Israel Defense Forces/UPI Photo/Newscom/picture alliance

Künftig eine politische oder gar militärische Verantwortung im Gazastreifen zu übernehmen, wo Strukturen der Hamas oder zumindest Sympathien in der Bevölkerung für die Terrororganisation möglicherweise fortbestehen könnten, würde Jordanien in eine überaus heikle Situation bringen - bis hin zum möglichen, innenpolitisch gefährlichen Vorwurf einer "Komplizenschaft".

Die politische Zukunft des Küstenstreifens sieht der Außenminister daher nicht in jordanischer oder anderer arabischer Verantwortung: "Lassen Sie es mich ganz klar sagen", so Aiman Safadi, "es werden keine arabischen Truppen nach Gaza gehen. Keine. Wir werden nicht als Feind angesehen werden."

Ambivalente Haltung

Dass der jordanische Außenminister sich mit seinen Vorbehalten besonders hervortut, dürfte kein Zufall sein, sagt Nicolas Fromm, Politologe an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. "Jordanien hat ja bereits seit langer Zeit einen Friedensvertrag mit Israel. Beide Länder arbeiten seit Jahrzehnten vielfach zusammen. Darum wurde und wird das Königreich in Teilen der arabischen Welt vielfach kritisiert."

In vergleichbarer Lage dürften sich auch andere arabische Staaten befinden, insbesondere die am Golf. Einige von ihnen, etwa die VAE und Bahrain, haben erst vor wenigen Jahren Normalisierungsabkommen mit Israel geschlossen. Andere, wie etwa Saudi-Arabien, pflegten bis vor kurzem immerhin inoffiziell gute Beziehungen dorthin. Auch sie dürften sich jetzt auf einem schmalen Pfad sehen, da Teile der Bevölkerung diesem Kurs ablehnend gegenüberstehen.

"Die palästinensische Frage spielt nach wie vor eine große Rolle in der arabischen Welt und hat auch sehr großes emotionales und politisches Mobilisierungspotenzial", meint Eckart Woertz, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Die Stimmung in der Bevölkerung könnten die Herrschenden nicht ignorieren.

Außenministerin Baerbock im DW-Interview

Allerdings dürften zumindest einige Golfstaaten in Wirklichkeit eine eher ambivalente Haltung zum Krieg in Gaza haben, sagt Woertz: Einige arabische Staaten hätten ein "sehr kritisches Verhältnis" zur Hamas: "Sie ist ja ein Ableger der Muslimbruderschaft, die in Ägypten, in Saudi Arabien und den Emiraten als Terrororganisation gilt."

So könnte es den Regierungen dieser Länder insgeheim durchaus recht sein, wenn die Hamas im Gazastreifen neutralisiert oder zumindest in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werde. Zugleich sehe man in den arabischen Hauptstädten aber auch das Leid der Zivilbevölkerung, so der deutsche Experte.

Finanzielle Zurückhaltung

Eine weitere große Herausforderung nach Ende des Krieges dürfte werden, dem schon vor Kriegsbeginn wirtschaftlich verarmten Gazastreifen ökonomisch auf die Beine zu helfen. Aus eigener Kraft dürfte das von Israel und Ägypten seit Jahren immer wieder blockierte Gebiet dies kaum schaffen.

"Doch niemand - weder Israel, noch Amerika, noch arabische Staaten oder palästinensische Führer - will die Verantwortung dafür übernehmen", resümierte das Magazin "The Economist" die Ergebnisse des Dialogtreffens in Manama. Schon vor dem Krieg seien die wohlhabenden Golfstaaten der Scheckbuchdiplomatie überdrüssig geworden, heißt es in dessen Analyse. Daher könnten diese zögern, einen späteren Wiederaufbau zu finanzieren.

"Sie haben den Gazastreifen bereits mehrmals wiederaufgebaut", zitiert das Blatt einen namentlich nicht genannten westlichen Diplomaten. Wenn der Wiederaufbau des Gazastreifens "nicht Teil eines ernsthaften Friedensprozesses ist, werden sie nicht zahlen", wird der westliche Diplomat weiter zitiert.

Von den Huthis entführtes Frachtschiff "Galaxy Leader"
Von den Huthis entführtes Frachtschiff "Galaxy Leader"Bild: Owen Foley/REUTERS

Eine dauerhafte politische Lösung, konkret eine Zweistaatenlösung, betrachtet auch Nahost-Experte Woertz als Mindest-Voraussetzung für ein mögliches späteres arabisches Wiederaufbau-Engagement im Gazastreifen: "Es kann ja nicht sein, dass man alle paar Jahre wieder aufbaut, und dann wird es erneut zerstört. Das sieht man in der Europäischen Union und in den Golfstaaten vermutlich ähnlich."

Auch generell hätten sich die Golfstaaten in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten finanziell zurückhaltender gezeigt, ergänzt Politikwissenschaftler Fromm. Die finanzielle Ausgabenbereitschaft sei dort aus wirtschaftlichen Gründen allgemein deutlich zurückgegangen. "Damals hatte man die ökonomische Rationalität etwas zurückgestellt. Inzwischen ist aber in der Bevölkerung ein größeres Kostenbewusstsein entstanden. Viele Bürger plädieren inzwischen für stärkere Zurückhaltung."

Sorge vor Ausweitung

Die politische Elite der Golfstaaten sei zudem darauf bedacht, den Konflikt so gut wie möglich aus der eigenen Region herauszuhalten, heißt es ergänzend in einer Analyse des Nahost-Magazins "Al-Monitor". Sie setzten darauf, dass der Krieg irgendwann auslaufe, so das Magazin.

Dass es so kommt, ist längst nicht garantiert. Die Hisbollahim Libanon, die Huthi-Rebellen im Jemenbeide gelten als  verlängerter Arm des Iran, könnten ebenso wie der Iran selbst den Konflikt noch weiter eskalieren lassen. Ebenso pro-iranische Milizen im Irak. Die Huthis etwa haben erst vor wenigen Tagen im Roten Meer ein Frachtschiff gekapert, dem sie Verbindungen zu Israel vorwerfen. Auch ein solcher Vorgang könnte schnell zu einer Eskalation führen.

Die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts könnte umgekehrt auch Motivation für einige arabische Länder sein, sich doch selbst stärker für eine Lösung zu engagieren - um der eigenen Sicherheit willen. Das sieht auch Experte Nicolas Fromm so: Gleichgültig, wie eine politische Lösung aussähe: Sie müsste nicht zuletzt darauf setzen, den Palästinensern eine angemessene Perspektive zu verschaffen, meint er. "Gelingt das nicht, wird es weiterhin Frustration, Zorn und damit Gewalt geben."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika