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Leben hinter Stacheldraht

Tania Krämer21. Oktober 2012

Die Jugend von Gaza will nicht aufgeben - auch wenn es wenig Grund zur Hoffnung gibt. Denn: Israel riegelt den Gazastreifen weiter ab. Und: Hamas und Fatah stehen sich weiter unversöhnlich gegenüber.

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Egyptian soldiers walk on a border wall between Egypt, and Rafah, in the southern Gaza Strip, Friday, Feb. 8, 2008. Egypt boosted troop security along the volatile border with Gaza on Friday, a security official said, following an alleged threat by Hamas that the group would stage kidnappings of Egyptian troops if its militants arrested in the Sinai were not released. (ddp images/AP Photo/ Khalil Hamra)
Rafah Israel Ägypten Grenzposten GrenzeBild: AP

Zwischen gebrauchten Ersatzteilen und Motoröl schraubt Munzer Al Dayya an einem Generator. Der Mechaniker ist ein viel gefragter Mann in Gaza-Stadt. Täglich fällt hier der Strom aus, manchmal bis zu acht Stunden am Tag. Eigentlich profitiere er von der andauernden Elektrizitätskrise, meint al Dayya und lacht leise. Schwarzer Humor – auf den trifft man hier viel in Gaza. "Jeder Tag, der vorbei geht, ist gut. Aber was dann kommt, das weiß keiner", meint der Familienvater, der mit seinen älteren Söhnen die kleine Werkstatt betreibt. "Sicher ist nur, der nächste Tag wird noch schlechter als der Tag zuvor. Warum, wieso und weshalb, wer weiß. Was hier vor sich geht, ist unerklärlich." Das Gaza dieser Tage sei schwierig zu beschreiben, sagt er. Es komme auch darauf an, wen man frage.

Die Hamas hat die Macht

Gaza hat viele Gesichter: Von den engen Gassen der Flüchtlingslager, zu den neuen Shopping-Centern im Zentrum der Stadt. Über 70 Prozent der Bevölkerung ist laut UN auf Hilfe angewiesen. Eine Minderheit hat von der Dauerkrise profitiert und ist reich geworden. Sicher ist, die Hamas hat ihre Herrschaft über den kleinen Gazastreifen seit ihrer Machtübernahme vor fünf Jahren weiter ausgebaut. Weder die Blockade Israels noch die Isolationspolitik der USA und der Europäer haben daran etwas ändern können. Die Hamas, vom Westen als Terrororganisation eingestuft, hat freie Hand im Gazastreifen und sie genutzt, um ihre eigenen Strukturen zu schaffen: Von einer eigenen Verwaltung bis zu einem lückenlosen Sicherheitsapparat. Damit ist auch die politische Trennung zwischen den beiden Palästinensergebieten Gaza und Westjordanland weiter zementiert worden, sagen Beobachter.

Hamas-Führer Ismail Hanija und Fatah-Chef Mahmoud Abbas (Foto: dpa)
Hamas-Führer Hanija und Fatah-Chef AbbasBild: picture-alliance/dpa

Keine Kommunalwahlen in Gaza

Auch dass jetzt Kommunalwahlen im Westjordanland stattfanden, dürfte die politische Trennung weiter vertiefen. Die Hamas nahm daran nicht teil. So hatten die Wähler dort nur die Wahl zwischen Fatah-Politikern und einigen unabhängigen Kandidaten. "Die Wahlen können nicht transparent und fair sein. Viele unserer Hamas-Führer und Mitglieder sitzen im Gefängnis der Palästinensischen Autonomiebehörde," sagte Hamas-Sprecher Fawsi (Fausi) Barhoum. Deshalb habe man den Mitgliedern aufgetragen, gar nicht erst wählen zu gehen. "Wir können dafür keine Legitimität geben. Es sind Fatah-Wahlen und keine palästinensischen Wahlen", erklärt Barhoum. Auf der Straße in Gaza sind die Kommunalwahlen im Westjordanland kaum ein Thema. Für die meisten Menschen hier ist das Westjordanland ohnehin nicht erreichbar. Ohne eine Versöhnung zwischen Hamas und Fatah, die seit fünf Jahren nicht zustande kommt, macht man sich hier auch keine Illusionen mehr, dass es in naher Zukunft eine politische Lösung geben könnte.

Die Corniche von Gaza

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Gaza-Stadt hat jetzt eine neue Strandpromenade – stolz nennt man sie hier die "Corniche". Den Sommer über wurde ein Teil der alten Küstenstraße entlang des Mittelmeers mit Palmen und Sitzgelegenheiten hübsch gemacht. So wie hier wird an vielen Stellen gebaut. Auch Bau-Ingenieur Nahed El Nunu freut sich über volle Auftragsbücher. Zum ersten Mal seit fünf Jahren gab es in den letzten Monaten wieder mehr Arbeit. "Ja, wir erleben hier einen Bauboom. Aber das Problem ist, dass dies jederzeit wieder aufhören kann," meint El Nunu während er skeptisch vom Dach der Baustelle eines Privathauses blickt. "Man hat keine Garantie, dass es so weitergeht. Heute gibt es Arbeit, und wir können ein paar Arbeiter anstellen. Das geht eine Zeitlang gut, und dann ist wieder alles zu Ende." Das Leben in der Ungewissheit ist ein Dauerzustand im Gazastreifen.

Strand in Gaza
Im Sommer genießen die Menschen das StrandlebenBild: DW

Und seine Befürchtungen sind real: Schon jetzt gibt es wieder erste Probleme mit dem Nachschub von Baumaterialien. Stahl, Zement und alles, was man zum Bauen braucht, kommt durch die illegalen Tunnelanlagen zwischen Ägypten und dem südlichen Gazastreifen. Israel lässt Baumaterialien fast ausschließlich für genehmigte UN-Bau-Projekte über die Grenze.

Die Tunnel sind die eigentliche wirtschaftliche Lebensader der Hamas-Regierung, die auf jedes importierte Gut Steuern erhebt. Vor einigen Wochen jedoch hat die ägyptische Regierung begonnen, einige der Tunnel zuzuschütten. Prompt gibt es Engpässe in den Lieferungen, die Preise steigen. Die regierende Hamas drängt darauf, eine Freihandelszone zwischen dem Gazastreifen und Ägypten einzurichten. Doch auf diese Anfragen hat Ägypten bislang nur zögerlich reagiert. In Gaza spricht die Führung deshalb lieber über den neusten Geldsegen aus Katar. Mit rund 254 Millionen US-Dollar will das Emirat den Wiederaufbau finanzieren und die Infrastruktur fördern. Straßen und Wohnkomplexe sollen damit gebaut werden, die politische Anerkennung der international isolierten Hamas gibt es dazu.

Palästinenser in einem der Tunnel zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten (Foto: dpa)
Lebensgefährlich: Die Tunnel zwischen dem Gaza-Streifen und ÄgyptenBild: picture alliance / dpa

Gaza 2020 – eine schwierige Zukunft

Gaza braucht solche Investitionen dringend. Aber ohne eine uneingeschränkte Öffnung nach außen wird das Leben in Gaza immer schwieriger werden, warnen die UN in ihrem neusten Bericht "Gaza 2020". In acht Jahren werde die Bevölkerung des kleinen Küstenstreifens von rund 1,6 Millionen Menschen auf schätzungsweise über 2,1 Millionen Einwohner anwachsen, heißt es darin. Wasser und Elektrizität werden noch knapper werden. Über 70 Prozent der Bevölkerung ist schon heute auf Hilfe angewiesen.

"Um sich die Situation in Gaza vorzustellen, kann man sich München vorstellen, was in etwa die Größe von Gaza hat," sagt Robert Turner, Direktor des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza. "Dann nimmt man zu den Einwohnern aus München noch die aus Bonn zusammen – und man bekommt eine Idee von der Dichte, in der die Menschen hier leben. Und dann lässt man nichts hinaus – weder Menschen noch Güter."

Die Lage am Grenzübergang zu Ägypten hat sich zwar etwas gebessert: Bis zu 700 Menschen täglich dürfen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten ausreisen, so die Zahlen der UN. Aber Reisen hat oft eher Ähnlichkeit mit einem Glücksspiel: So manches Mal wird der Übergang von heute auf morgen geschlossen. Eine Ausreise über Israel bleibt den meisten Palästinensern verwehrt. "Man hat also diese eingeschlossene Gesellschaft", sagt UNRWA Direktor Robert Turner. "Natürlich kann man dann gerne über Staatsaufbau und Nationenbildung sprechen, aber was Gaza wirklich braucht ist die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von Menschen und Gütern, um eine  nachhaltige Wirtschaft und eine lebensfähige Gesellschaft zu entwickeln."

Palästinenser warten am Grenzposten Rafah auf die Ausreise nach Ägypten (Foto: Shawky Farra)
Geduldsprobe: Die Ausreise über den Grenzposten Rafah nach ÄgyptenBild: DW/Al Farra

Junge Menschen ohne Perspektiven

Für junge Menschen ist die Lage schwierig. Fast jeder zweite Palästinenser unter 25 Jahren in Gaza findet keinen Job und sie machen fast die Hälfte der Bevölkerung aus. "Vor allem junge Leute sind von extremer Armut betroffen", sagt Turner. "Was mich an Gaza beeindruckt, ist, was man hier für eine motivierte und sehr gut gebildete Bevölkerung findet, die aber immer mehr den Mut verliert. Und es betrifft vor allem die Jungen, denn hier gibt es keine wirkliche Zukunft für sie."

Samah Ahmed gehört zu denen, die unter der Perspektivlosigkeit leiden. Die junge Frau trifft sich oft mit Freunden in einer kleinen Kunstgalerie in Gaza-Stadt. Sie sehen sich als Spielball der Machthaber: "In Gaza ist man doppelt unter Druck",  meint Samah, die sich selbst als Aktivistin bezeichnet. "Auf der einen Seite haben wir die israelische Besatzung, auf der anderen Seite zwei Parteien, die sich nicht verständigen können." Dazu komme noch der soziale Druck, der unter der Hamas gewachsen sei. Die Jugend von Gaza, so sagt sie, wolle zwar nicht aufgeben, aber sie sei schlicht und einfach hoffnungslos.