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PolitikBrasilien

Lulas Hitler-Gaza-Vergleich: "Israels Zorn ist verständlich"

Thomas Milz | Nilson Brandao
23. Februar 2024

Die Äußerungen von Brasiliens Präsident Lula zum Gaza-Konflikt haben international für Empörung gesorgt. Ein Teil der Kritik an Israel sei jedoch gerechtfertigt - so schätzen Ex-Diplomaten und Politologen die Lage ein.

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Präsident Lula begrüßt evakuierte Brasilianer aus dem Gazastreifen auf dem Flughafen in Brasilia
Präsident Lula empfängt brasilianische Staatsbürger, die im November 2023 aus dem Gazastreifen nach Brasilien evakuiert worden sind Bild: Evaristo Sa/AFP/Getty Images

Der diplomatische Disput zwischen Tel Aviv und Brasília schaukelt sich weiter hoch. Nachdem der brasilianische Botschafter in Israel in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zitiert worden war, berief die Regierung in Brasília ihn zurück. Die überlege derweil, Israels Botschafter auszuweisen, berichten Medien.

Brasiliens Präsident Lula da Silva hatte mit Aussagen zum Israel-Hamas-Krieg am vergangenen Sonntag eine diplomatische Krise mit Israel ausgelöst. Am Rande eines Treffens der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba erklärte er: "Was im Gaza-Streifen mit dem palästinensischen Volk passiert, hat es bisher zu keinem Moment in der Geschichte gegeben. Außer als Hitler sich entschloss, die Juden zu töten."

Lula ist offenbar nicht bereit, seine Worte zurückzunehmen und sich zu entschuldigen, auch nicht, nachdem Israels Premier Benjamin Netanjahu harte Worte an ihn gerichtet hatte und er in Israel zur unerwünschten Person erklärt worden war. Mit Ausnahme von Netanjahu verstand sich Lula bisher gut mit Israels Staatsführern. Über Jahrzehnte hatte er sich als Oppositionsführer und später als Präsident (2003 bis 2010) als enger Freund Israels gezeigt.

Was ist passiert, dass Lula diesen Vergleich zog? "Niemand versteht das, und es ist schwierig zu erklären", fasst der Ex-Diplomat und Ex-Minister Rubens Ricupero die Verblüffung unter brasilianischen Experten für Außenpolitik zusammen.

Punkten im linken Wählerlager

Eine mögliche Erklärung sei die veränderte Opposition. Zählte in Lulas vorherigen beiden Amtszeiten noch das gemäßigte Zentrum zu seinen Widersachern, so komme sie heute aus der extremen Rechten, was die innenpolitische Polarisierung verstärke. Deshalb übernehme Lula extreme Positionen der Linken und seiner Arbeiterpartei PT. Die scharfe Kritik an Israel gehöre dazu. 

Luftaufnahme: Eine Pro-Israel-Demonstration zieht eine Straße entlang. Links ist der Strand der Copacabana, rechts mehrstöckige Häuser zu sehen.
Bei einer Demonstration im Oktober 2023 an der Copacabana solidarisierten sich viele Einwohner Rios mit IsraelBild: Bruna Prado/AP/picture alliance

Allerdings stünden die Brasilianer weiterhin mehrheitlich an der Seite Israels, so Ricupero. "Diese Position Lulas und einiger Sektoren der Linken ist eine deutliche Minderheit. Ich denke, dass die öffentliche Meinung generell für Israel ist, genau wie die Medien. Da habe ich niemanden gesehen, der Lulas Vergleich verteidigt hat."

"Mit der Erklärung hat sich Präsident Lula nur Probleme gemacht", glaubt der Politologe Maurício Santoro vom Centro de Estudos Político-Estratégico da Marinha. "Er kann damit vielleicht Teile seiner linken Wählerschaft mobilisieren, die gegenüber Israel sehr kritisch ist. Aber in diesem Fall hat er seine eigene Basis gespalten."

Lula: spontan, aber nicht immer diplomatisch

Lula sei in Addis Abeba wieder einmal Opfer seiner Leidenschaft geworden, frei zu sprechen, glaubt Santoro. "Der Präsident mag es, in Reden oder Interviews frei zu improvisieren. Aber seine Äußerungen zur Außenpolitik stellen die Diplomatie vor Probleme."

Auch der ehemalige Botschafter Marcos Azambuja weiß um Gefahr der Improvisation. Lulas spontane, informelle Art in der Außenpolitik sei grundsätzlich positiv, erklärt er. "Diese Herzlichkeit, die menschliche Wärme, die Lust an der Kommunikation hilft sehr oft. Aber natürlich kann es da auch mal zu verbalen Ausrutschern kommen."

Die außenpolitischen Fettnäpfchen der brasilianischen PT

Für Roberto Abdenur, ehemaliger brasilianischer Botschafter unter anderem in China und Deutschland, ist es ebenfalls nicht neu, dass Lula und die PT außenpolitisch ins Fettnäpfchen treten. Er erinnert daran, dass Lula und sein damaliger Außenminister Celso Amorim 2010 versuchten, auf eigene Faust einen Atom-Deal mit Iran abzuschließen. 

Abdenur verurteilt Lulas Hitler-Gaza-Vergleich. "Das ist vollkommen unpassend, und Israels harte Reaktion ist durchaus verständlich", meint er. Aber auch Israel habe zur Erhöhung der diplomatischen Temperatur beigetragen. "Netanjahu hat seinerseits sehr harte Worte gewählt. Und der israelische Außenminister behält seine Linie bei, sich unpassender Beschimpfungen zu bedienen."

Für Abdenur hat Lula im Kern seiner Kritik am harten Vorgehen Israels in Gaza jedoch recht. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass dort Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverbrechen begangen werden. Doch es ist zu früh um zu sagen, ob es sich dabei um einen Genozid handelt. Das liegt derzeit in der Hand des Internationalen Gerichtshofes."

Warnung vor diplomatischer Eskalation zwischen Israel und Brasilien

Der Außenpolitik-Experte Feliciano de Sá Guimarães von der Universität in São Paulo (USP), warnt davor, die Temperatur zwischen den beiden Regierungen weiter anzuheizen. "Meiner Meinung nach herrscht im brasilianischen Präsidentenpalast eine Atmosphäre, die solche kriegerischen Äußerungen hervorbringt". sagt er.

Lulas außenpolitisches Team repräsentiere nicht seine breit aufgestellte Regierungsbasis. Und Lula höre nur auf eine Seite, "auf die linken, antiamerikanischen Stimmen, die von einem Umbruch der globalen Ordnung sprechen und die dies sehr aggressiv tun." Diplomatie dürfe jedoch nicht an eine ideologische Polarisierung gebunden sein, so Guimarães.

Nun gehe es um Schadensbegrenzung, erklärt Rubens Barbosa, der früher Brasiliens Botschafter in Washington und London war. "Das ist eine große Herausforderung für das Außenministerium." Dieses müsse nicht nur den Schaden für Brasilien begrenzen, sondern auch den eigenen Einfluss auf die Außenpolitik wiedererlangen.

"Es ist jetzt fundamental, Brücken und Kommunikationskanäle zwischen Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens zu schaffen", mahnt der Politologe Maurício Santoro. Dabei müssten Stereotype und ideologische Radikalisierungen  vermieden werden. "Die Welt ist derzeit bereits genug von Hass erfüllt."