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Gazastreifen im Schockzustand

Tania Krämer23. August 2013

Der Umsturz in Ägypten trifft den benachbarten Gazastreifen hart. Die Hamas-Regierung hatte auf die Muslimbrüder gesetzt. Nun ist der Grenzübergang zu Ägypten geschlossen. Und auch die Versorgungslage ist problematisch.

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Ägyptische Soldaten bewachen den gesperrten Grenzübergang in Rafah zwischen dem Gazastreifen und der ägyptischen Sinai-Halbionsel. (Foto: EPA/ALI ALI dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Heute ist wieder so ein Tag, an dem Reiseberater Nabil Shurafa in Gaza-Stadt vor allem eines machen muss: Flugtickets stornieren oder umbuchen. Seit dem politischen Machtwechsel in Ägypten ist der Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wenn überhaupt nur noch wenige Stunden am Tag geöffnet. Oft bleibt er gleich ganz geschlossen.

Shurafas Kunden stecken in Rafah fest. "Jedes Mal, wenn es ein Problem in der Region gibt, dann müssen es Gaza und die Leute hier ausbaden", klagt Shurafa, der ähnliche Situationen schon oft miterlebt hat. Die letzten Jahre seien aber für das Familienunternehmen besonders schwer gewesen: "Wir reservieren, stornieren, und reservieren wieder. Dabei versuchen wir, dass der Reisende so wenig Gebühren wie möglich zahlen muss“, erzählt Shurafa und schaut dabei konzentriert auf seinen Computerbildschirm. Er sucht nach einer günstigen Umbuchungsmöglichkeit für einen Kunden – das gelingt nicht immer.

Seine Reiseagentur in einem Gebiet am Leben zu halten, in dem der Großteil der 1,7 Millionen Menschen nicht frei reisen kann, ist besonders in diesen Tagen fast unmöglich. Die Ausreise über den Grenzübergang in Rafah war zwar auch in den letzten Monaten bis zum Sturz der Mursi-Regierung eine Geduldsprobe, doch zumindest wurden die Ausreisebestimmungen etwas gelockert.

Gaza Streifen Nabil Shurafa muss Tickets stornieren (Foto: DW/Tania Krämer, DWTV)
Reservieren, stornieren, reservieren: Nabil ShurafaBild: DW/T. Krämer

Ägyptische Armee setzt auf Restriktionen

Davon können die gestrandeten Passagiere in Rafah jetzt nur träumen. In der Wartehalle nahe dem Terminal wachsen Frust und Anspannung. Einige Reisende kommen täglich, um ihr Glück zu versuchen. "Ich habe eine wichtige Prüfung Anfang September an meiner Uni in Algerien", sagt Iyad Abu Zanouma. "Wenn ich nicht bald raus komme, läuft mein Einreisevisum in Algerien ab. Wir sind doch Menschen und keine Tiere, die man einsperren kann", klagt der junge Student. Am Tag zuvor sei der Grenzübergang von 11 Uhr bis 13 Uhr geöffnet gewesen, aber nur wenige Leute konnten ausreisen.

Sein Platznachbar in der Wartehalle berichtet Ähnliches: Der junge Palästinenser mit norwegischem Pass hat seine Eltern in Gaza während des Sommers besucht und will jetzt über den Flughafen Kairo zurück nach Norwegen. Dort warten seine Frau und Kinder auf ihn – und seine Arbeit. "Mein Arbeitgeber ist nicht gerade erfreut, dass ich nicht pünktlich zurück komme. Aber noch zeigt er Verständnis", sagt Abu Sharkh. Von Regierungsseite ist keine Hilfe zu erwarten. Die Hamas sei im Moment vor allem mit sich selbst beschäftigt, heißt es hier.

Kleine Protestaktion am Grenzübergang Rafah gegen die schwierigen Ausreisebedingungen (Foto: DW/Tania Krämer, DWTV)
Frustriert: Junge Männer protestieren in Rafah gegen die schwierigen AusreisebedingungenBild: DW/T. Krämer

Schockzustand der Hamas

"Für die Hamas ist der Sturz von Mursi wie ein politischer Tsunami", sagt der palästinensische Politikexperte Omar Shaban in Gaza-Stadt. "Ein Jahr lang hatten sie Unterstützung in jeglicher Form – ob politisch oder wirtschaftlich. Plötzlich ist alles anders." Während andere Verbündete in der Region wegbrachen, hatte die islamistische Hamas-Regierung in der Mursi-Regierung vor allem ideologische Unterstützung gefunden. Katar sicherte millionenschwere Finanz- und Aufbauhilfe zu.

Doch der Machtwechsel in Ägypten zwingt die Islamisten zum Umdenken. Beobachter gehen davon aus, dass die Hamas-Regierung künftig noch härter durchgreifen wird, um den kleinen Landstrich und seine Einwohner zu kontrollieren. Schon jetzt reagieren die Sicherheitsapparate nervös. Vor Kurzem wurden die Korrespondenten-Büros zweier unabhängiger Medien, Ma'an-News und Al Arabiya, geschlossen. Der Vorwurf: Sie würden in ihrer Berichterstattung gegen die Hamas aufhetzen. Auch ein im Internet kursierendes Video einer Gruppe, die sich "Tamarod Gaza" nennt, sorgt für Unmut. Darin rufen maskierte junge Männer zu friedlichen Demonstrationen gegen die Hamas auf – ganz wie junge Ägypter zuvor im Nachbarland. Vier Palästinenser wurden deswegen inzwischen laut Medienberichten festgenommen.

Nach außen gibt sich die Führung diplomatisch. "Die Ägypter sind jetzt sehr mit sich selbst beschäftigt“, sagt Hamas-Sprecher Ihab el Ghussein. "Aber wir hoffen, dass bald wieder Stabilität einkehrt, und dass sie sich dann wieder um die palästinensische Sache kümmern können.“ Nach einer baldigen Rückkehr zu besseren Beziehungen sieht es aber nicht aus, sagen Beobachter.

Tunnelgeschäft eingebrochen

Besonders zu spüren ist das im Süden des Gazastreifens. In den letzten Wochen hat die ägyptische Armee viele der unterirdischen Tunnel, die zwischen dem Grenzgebiet des Gazastreifens und dem ägyptischen Sinai verlaufen, gesprengt oder geflutet. Mehr als die Hälfte der wichtigen unterirdischen Versorgungswege sollen dabei zerstört worden sein. Die ägyptische Armee bezichtigt Hamas, Waffen und Terroristen auf den Sinai zu "exportieren". Dort hatten militante Kämpfer jihadistischer Gruppen zuletzt 24 ägyptische Polizisten getötet.

Auf palästinensischer Seite wird das Gebiet aufmerksam von Hamas-Sicherheitsleuten überwacht. Zutritt für Journalisten ist nur mit spezieller Genehmigung gestattet. Die ägyptischen Grenzposten blicken von ihren Wachtürmen von der anderen Seite auf die vielen weißen Plastikzelte und Erdhügel. Der sonst so geschäftige Betrieb ist in diesen Tagen eher verhalten.

Tunnelarbeiter im Gazastreifen (Foto: DW/Tania Krämer, DWTV)
Geschäft eingebrochen: Tunnelarbeiter im GazastreifenBild: DW/T. Krämer

Bei einem Tunnel herrscht Gedränge. Zementsäcke aus der ägyptischen Stadt El-Arish im Sinai werden im Fünfminutentakt über eine elektrische Seilwinde aus dem Tunnelschacht gezogen. "Es gibt im Moment viele Tage, da kommt weder Zement noch Stahl oder irgendwas anderes durch. Und das wird sich erst wieder ändern, wenn es da drüben eine politische Einigung gibt“, sagt Tunnelarbeiter Mohammad und wischt sich den weißen Zement-Staub von der Stirn.

Das Tunnelnetzwerk ist ein wichtiger Versorgungsweg für ganz Gaza, über das Lebensmittel, Baumaterialien aber auch Waffen in das abgeriegelte Gebiet geschmuggelt werden. Der Gazastreifen wird sonst nur mit Waren über den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom versorgt. Die Hamas-Regierung, die auf die Tunnelware Steuern erhebt, muss derzeit Einbußen in Millionenhöhe hinnehmen, heißt es im Wirtschaftsministerium.

Die Tunnelarbeiter sind froh, zumindest heute Arbeit zu haben. Etwa 120 Schekel, rund 25 Euro, verdient ein Arbeiter für eine Zehnstundenschicht. Man wisse nicht, wie es weitergeht, meint Mohammad. Aber sie hätten sich daran gewöhnt, nie vorausplanen zu können. "Unsere Situation ist von Ägypten abhängig. Wohin Ägypten geht, dahin geht auch Gaza", sagt der junge Mann und stapelt die Zementsäcke auf den Lastwagen. Die Ungewissheit ist ein ständiger Begleiter in Gaza – und in diesen Tagen noch mehr also sonst.